Natalie Bechthold

Dem Feind versprochen


Скачать книгу

sagte sie und hielt das graue Kleid aus grober Wolle vor ihrer Herrin.

      „Ziehen Sie dieses an. Ich werde das Ihre verbrennen.“

      Gräfin Stephania tat, wie ihr geraten wurde. Während sie ihr schmutziges Kleid auszog, suchte die Köchin für ihre Herrin eine Haube und wurde bald fündig.

      „Damit kein Fremder einen Verdacht schöpfen kann, dass Sie das Burgfräulein sind“, sagte sie, als sie sie ihr auf den Kopf setzte.

      „Danke.“

      Dann sahen sich beide Frauen für einen Augenblick an.

      „Am besten ist, wenn Sie warten, bis es dunkel geworden ist und dann schleichen Sie sich aus der Burg.“ Waltraud wusste nichts von einem Geheimgang, aber sie ahnte, dass es einen geben musste, dass ihre Herrin in das Innere der Burg gelangen konnte. Denn die Burg wurde von den fremden Rittern gut bewacht.

      Die Gräfin ergriff ihre Hand und fragte: „Willst du nicht mit mir kommen?“

      Doch zu ihrer Überraschung schüttelte Waltraud den Kopf.

      „Ich habe hier fast mein ganzes Leben verbracht. Burg Rosenstein ist mein Zuhause. Wenn ich aber die Burg verlasse, dann weiß ich nicht, zu wem ich gehen soll. Vielleicht wird der neue Herr uns nicht schlechter behandeln, als Sie und Ihr Vater es getan haben. Wer weiß.“

      Waltraud zuckte ahnungslos mit den Schultern.

      Wer weiß, dachte Gräfin Stephania und ließ die Hand der Köchin los.

      „Bleiben Sie hier. Ich werde Ihnen etwas zu essen bringen, wenn sich mir eine Gelegenheit bietet. Aber sobald es dunkel wird, verlassen Sie die Burg. Hier sind Sie nicht sicher.“

      Gräfin Stephania nickte einverstanden. Dann verließ die Köchin die Kammer, in der auch saubere Tischdecken, Vorhänge und Bettwäsche aufbewahrt wurden. Die Gräfin setzte sich in eine schattige Ecke, neben einem Regal, und hielt sich versteckt. Sie wartete.

       ***

      Sie war sehr müde. So lange sie konnte, versuchte sie wach zu bleiben. Aber irgendwann gab sie den Kampf auf und schlief schließlich ein. Als die Gräfin wieder erwachte, fiel ein heller Lichtstrahl durch das winzige Fenster oben. Sie rieb sich den Schlaf aus den Augen und blinzelte zum Fenster hinauf. Sie wusste, jetzt stand die Sonne ganz oben am Himmel. Es war Mittag. Vielleicht auch etwas später. Dann senkte sie wieder ihren Blick und saß schweigend da. Sie wartete. Hin und wieder vernahm sie Schritte im Flur, wie jemand vorbei ging. Es konnte jeder sein. Manchmal sprach jemand mit seinem Begleiter, doch an ihren Stimmen konnte sie keinen erkennen.

      Gräfin Stephania zog ihre Beine an, umschloss sie mit ihren Armen und legte ihre Wange auf die Knie. Noch durfte sie nichts tun, außer warten und hoffen, dass sie hier niemand fand. Irgendwann ging die Tür auf und die Gräfin erschrak. Ihr Kopf schoss hoch. Mit dem Zeigefinger auf den Lippen kam Waltraud herein. Sie schloss die Tür hinter sich.

      „Ich habe Euch etwas zu essen gebracht.“ Die dickliche Frau nahm aus der Tasche ihres Rockes ein Stück Brot, das sie noch heute Morgen gebacken hatte, und reichte ihrer Herrin. „Hier, das habe ich für Sie verstecken können.“

      „Danke.“ Die junge Gräfin lächelte und biss hungrig hinein. Es war nicht mehr so frisch, wie sie es sonst gewohnt war, doch besser dies als gar nichts.

      „Leider konnte ich für Sie nichts zu trinken bringen. Es wäre sonst zu auffällig. Die Fremden beobachten jeden unserer Schritte, als ob sie etwas von uns zu befürchten hätten.“

      „Wissen sie, dass Graf von Rosenstein eine Tochter hat? Mich?“, fragte die Gräfin kauend, ihre guten Manieren völlig vergessend.

      Die ältere Frau sah sie nachdenklich an und meinte daraufhin: „Ich kann mir das gut vorstellen, ja. Weil ich Ritter Balthasar oft mit dem Schreiberling sprechen gesehen habe. Simon von Heine ist zwar sehr klug, aber noch recht jung. Er ist leicht zum Reden zu bringen.“

      „Dann weiß Ritter Balthasar, dass er etwas zu fürchten hat“, sagte die junge Gräfin. Die Köchin sah ihre junge Herrin mit einem fragenden Blick an.

      Gräfin Stephania strich Krümel von ihrem Rock, sah zu der älteren Frau auf und verzog ihre Lippen zu einem Lächeln. „Mich.“

      „Würdet Ihr wirklich versuchen die Burg Eures Vaters zurückzuerobern?“

      „Wenn ich das könnte, ja“, antwortete sie, ohne mit der Wimper zu zucken. Nachdenklich sah die Köchin auf ihre Herrin herab. Gräfin Stephania erkannte Zweifel in Waltrauds Augen.

      „Ich muss nur zu der Burg meines Onkels gelangen. Mein Onkel, Graf von Bärenfels, wird mir bestimmt helfen, da bin ich mir sicher.“

      „Bärenfels ...“, wiederholte die ältere Frau kopfschüttelnd. „Das ist so weit weg.“ Waltraud war zwar noch nie dort gewesen, aber hatte so einiges davon gehört.

      „Ihr würdet wochenlang unterwegs sein. Allein. Räuber und Frauenschänder könnten Euch begegnen. Nein, Gräfin, das ist viel zu gefährlich.“

      „Waltraud, ich bin nirgendwo sicher. Weder in der Burg, noch da draußen. Wenn ich überleben möchte, dann muss ich irgendwohin. Warum dann nicht nach Bärenfels, zu meinem Onkel?“

      Die ältere Frau überlegte. Ihre Herrin hatte vollkommen recht.

      „Macht was Ihr für richtig haltet, aber passt auf Euch gut auf.“

      Die Gräfin gab ihr Wort.

      „Ich muss wieder in die Küche, bevor mich jemand vermisst.“ Die Ältere nahm die Jüngere in die Arme und drückte sie ein letztes Mal. „Gott sei Euer Begleiter!“, wünschte sie ihr auf ihrem Weg. Dann verließ sie die Kammer. Als sie über den Flur in die Küche eilte glänzten ihre Augen. Waltraud glaubte nicht, dass ihre Herrin die Burg ihres Onkels jemals erreichen würde. Doch die Gräfin hatte keine Wahl. Sie musste gehen, wenn sie überleben wollte, egal wohin und zu welcher Verwandtschaft.

       ***

      Das Licht aus dem Fenster veränderte sich, färbte sich langsam in ein helles Orange und nahm immer mehr ab. Die Gräfin saß nach wie vor in der Ecke und hörte, wie im Flur immer weniger Schritte zu hören waren. Sie lehnte den Kopf gegen die Wand und wartete mit geschlossenen Augen. Es konnte nicht mehr lange dauern, bis es draußen dunkel wurde. Alle würden schlafen gehen, bis natürlich auf die Burgwache.

      Und dann war es endlich so weit. Der Mond schien silbern durch das winzige Fenster. In der Kammer war es dunkel und die Gräfin konnte fast nichts erkennen. Sie stand auf, tastete sich leise an den Regalen entlang, bis zur Tür. Legte ihr Ohr an die Tür und lauschte. Nichts. Dann öffnete sie sie einen Spalt und sah hinaus. Der Flur war mit Fackeln beleuchtet. Sie schlich leise aus der Kammer und ging den Flur zurück zur Schreibstube ihres Vaters. Mit einem schnellen Seitenblick vergewisserte sie sich, dass ihr niemand gefolgt war oder entgegen kam und drückte mit der Hand gegen die Tür. Diese ging geräuschlos auf. Sie schlich hinein. Ohne die Tür nach sich zu schließen, eilte sie zum Regal und wollte es gerade zur Seite schieben, als sie Stimmen auf dem Flur vernahm.

      „Ich habe erfahren, dass der alte Graf eine Tochter hat“, erzählte jemand.

      „Das ist ja interessant.“

      „Sie ist zu Besuch bei ihrer Tante.“

      Einen Augenblick später fragte der erste von den beiden seinen Begleiter: „Meinst du, sie wäre eine Gefahr für mich?“

      Neugierig horchte die Gräfin auf.

      „Nicht, wenn sie nicht den König auf ihrer Seite hat.“

      Die Schritte kamen näher.

      „Seltsam, die Tür zu meiner Schreibstube steht offen.“

      Ritter Balthasar zog sein Schwert und rannte auf seine Kammer zu. Stürmte mit gehobenem Schwert hinein und ... Doch in der Kammer fand er niemanden vor.

      „Vielleicht