Niels Rudolph

Die Weberin der Magie


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der Wahl des Standortes seiner Hauptstadt im Sinn hatte, oder dieser vielmehr seinem Rheuma geschuldet war.

      Aus dem Standort der Stadt ergab sich noch ein weiterer Vorteil: Man brauchte sich keine Sorgen zu machen, dass plötzlich irgendwelche Seestreitmächte im Hafen vor Anker lagen. Das bedeutete aber nicht, dass der Kaiser, oder im Moment die Kaiserin von Ardavil, nicht selbst eine stattliche Armada unterhielt. Diese ankerte im nächsten Hafen, der sich etwa hundert Kilometer östlich der Stadt an der Küste befand. Hier stand der erste - und bis jetzt Einzige - Leuchtturm Ardavils an der Spitze des Scherbenrandes, der es den Schiffen erleichtern sollte, die dortige Landzunge zu umschiffen. Schnell hatten sich eine Ansiedlung und der Hafen um das wegweisende Bauwerk gebildet und man nannte die Ortschaft Heimleuchtung. Gerüchten zufolge sollte der Kaiserpalast in Verhandlungen mit den Zwergen von Dunnheim stehen, um ein neues, ehrgeiziges Projekt in die Tat umzusetzen. Eine Anbindung der Kaiserstadt an den Hafen, mit einer Art Lorensystem, wie es die Zwerge oft in ihren Bergwerken verwendeten. Nährboden für diese Spekulationen waren ein paar zwergische und sogar gnomische Ingenieure gewesen, die für ein paar Tage dabei beobachtet wurden, wie sie in der Stadt und dem Palast aus- und eingingen. Eine Lorenstrecke von über hundert Kilometern Länge war sicherlich auch für diese Baumeister eine große Herausforderung. Das Haupttransportmittel bestand aber aus Ochsen- oder Pferdegespannen, wenn Waren bewegt werden mussten, oder dem Pferd als Reittier. Wer Geld genug hatte, benutzte jedoch die schnellste und sicherste Methode der Lieferung, die Magie.

      Wir wenden uns dem südlichen Teil von Ardavil zu, wo der Siegesfluss, der weiter nördlich, tief in den Bergen des Todes entspringt, in das Meer des verlorenen Tropfens mündet. An der Mündung sehen wir ein kleines Fischerdorf, das aus schäbigen Hütten besteht und einen ärmlichen Eindruck macht. Es ist in der Tat so arm, dass sogar am Namen gespart wurde. Eine Brücke führt im Westen über den Siegesfluss und eine Straße führt nach Osten. Wir folgen dieser Straße mit dem Blick und stoßen auf eine Kreuzung, die nach Norden durch den verwunschenen Forst in Richtung der Hauptstadt des Landes führt und als Feldweg weiter nach Osten durch hügeliges Land, direkt an der Küste entlang, an einem finsteren Turm endet.

      Wir nähern uns diesem Turm und können jetzt Einzelheiten entdecken. Der Turm ist aus schwarzem Gestein errichtet und an seiner Basis befindet sich ein hüttenartiger Anbau, der mit einem Dach aus Stroh gedeckt ist. Ein weiß gestrichener Zaun umrahmt einen gepflegten Garten. Trotz der Düsternis des Gebäudes macht alles einen sauberen und ordentlichen Eindruck.

      Hier nun beginnt unsere Geschichte ...

      Kapitel 2: Ein Held wird geboren ...

      »Jungchen, du könntest wirklich mal wieder die Fenster putzen. Man kann ja gar nicht mehr durchsehen!« Diese krächzende Stimme gehörte Martor (dem Großen), seines Zeichens mächtigster Zauberer des Landes Ardavil. Er war gerade damit beschäftigt, seinem Lehrling Wulfhelm die täglichen Ausbildungsinhalte zu vermitteln.

      Die meisten Magier ließen sich bei ihrer Ausbildung nicht gern über die Schulter sehen, denn jeder Meisterzauberer, der etwas auf sich hielt, hatte ein Repertoire an ganz eigenen Zaubersprüchen, die ihn zu einem Spezialisten in bestimmten Gebieten machten und die kein anderer Zauberer beherrschen sollte. Martor machte da keine Ausnahme. Die Entwicklung solcher Sprüche kostete natürlich viel Zeit und Mühe, daher bewahrten Zauberer ihre größten Geheimnisse eifersüchtiger, als ein Drache seinen Goldschatz.

      »Und wenn du schon dabei bist ... Das Toilettenhäuschen könnte einen neuen Anstrich vertragen!« Martor strich sich nachdenklich über seinen langen, grauen Bart, der einen ehrwürdigen Kontrast zu seiner roten Robe bildete. »Das wäre erst mal alles, Junge«, sagte der Magier und verschwand in seinem Arbeitszimmer.

      Seufzend machte sich der Junge an die Arbeit. Zugegebenermaßen war Wulfhelm keine besonders imposante Erscheinung, überhaupt nicht heldenhaft. Er war schlaksig, etwas zu groß für sein Alter und hatte strohblonde Strähnen, immer etwas zu fettigen Haares, die unter seinem Zaubererhut hervorlugten. Die meisten Menschen neigten dazu, ihn als schwächlich zu bezeichnen, doch das war nicht so wichtig, weil körperliche Stärke keine relevante Eigenschaft für einen Zauberer war. Genau genommen war es sogar dieser Umstand, der ihn damals in die Hände von Martor (dem Wohlwollenden) getrieben hatte. Jene Mängel, die ihm eine Karriere als Kämpfer, oder im Hoch- und Tiefbau als aussichtslos erscheinen ließen, machte er durch Wissensdurst und Fleiß wieder wett. Wenn er erst einmal genug gelernt hatte, würde er wohl eines Tages den großen Martor ablösen und seinerseits mächtigster Magier Ardavils werden. Die Konkurrenzangst Martors war also nicht ganz unbegründet. Wenn Wulfhelm seinen Platz einnehmen würde, wo bliebe dann sein Verdienst? Die Rente gab auch nicht so viel her, als dass es für einen Gelehrten mit luxuriösem Lebensstil reichte. Daher war es nur verständlich, das Martor sich Zeit ließ, Wulfhelm in die Geheimnisse der Magie einzuweihen. Es war ja auch ganz praktisch so. Wer konnte schon von sich behaupten einen Bediensteten zu haben, der für ein Lehrlingsgehalt (sprich: Kost und Logis) arbeitete?

      Aber zurück zu Wulfhelm. Unser Held war damit beschäftigt, die ihm aufgetragenen Hausarbeiten zu erledigen und dachte gerade darüber nach, wer ihm diesen tollen Job verschafft hatte. Er nahm sich vor, sich bei gegebener Zeit bei ihm zu bedanken. Dabei hatte alles so gut angefangen ...

      Wulfhelm lebte damals in einem kleinen Dorf, welches den klangvollen Namen Schwertheim trug. Die meisten Einwohner waren Krieger und Waffenschmiede und stellten die namhaftesten Kämpfer des Landes.

      Da Wulfhelm allgemein als körperlich unterbemittelt galt, konnte er keine Laufbahn als Krieger einschlagen und war dem Spott der anderen Kinder hilflos ausgeliefert. Sein Vater zerbrach sich lange Zeit den Kopf, was aus seinem Sohn einmal werden sollte. Da dieser selbst ein großer Kämpfer war, konnte er sich keinen anderen Job vorstellen als ... na ja, eben das Ausüben der Kriegskünste. Das war ein angesehener Beruf und man verdiente nicht schlecht dabei. Man hatte eine gesicherte Altersversorgung und eine starke Gewerkschaft, was wollte man mehr? Doch wenn sein Sohn nicht gerade von den anderen Kindern verhauen wurde, tollte er über die Wiesen und pflückte Blumen! Es war einfach zum Haare ausreißen.

      Eines Tages, bei einem der standesgemäßen Saufgelage, trat ein befreundeter Axtkämpfer auf Wulfhelms Vater zu und gab ihm einen Tipp: »Warum schickst du deinen Sohn nicht zu einem Magier? Wenn er auch nicht das Zeug dazu hat, eine Waffe in der Hand zu halten, so ist er doch nicht total verblödet. Wulfhelm liest doch viel, oder? Ich sage dir, schicke ihn zu so einem alten Zausel, die sind alle ein bisschen wunderlich. Genau der richtige Ort für einen Versager.«

      Auch wenn es Wulfhelms Vater in der Seele wehtat, dass SEIN SOHN ein Versager genannt wurde - und nachdem er dies dem Axtschwinger in seiner einmaligen, leicht begreiflichen Art klargemacht hatte - wusste er doch, dass sein Freund recht hatte. Also sah er sich nach einem geeigneten Lehrherrn für seinen Sohn um. Auch wenn Wulfhelm etwas aus der Art geschlagen war, so sollte er doch die beste Ausbildung genießen und schließlich fiel die Wahl auf Martor (den nicht gerade Billigen), der sich nach zähen Verhandlungen bereit erklärte, den Jungen in die arkanen Künste einzuweihen.

      Der Fairness halber sollte vielleicht erwähnt werden, dass Wulfhelms Mutter nicht ganz unbeteiligt bei der Wahl des Lehrherren war und wenige Tage später brach Wulfhelm auf, um seine Ausbildung anzutreten. Seine Mutter gab ihm noch eine Menge Ratschläge mit auf den Weg und ermahnte ihn vorsichtig zu sein. Sie hatte sich einfach immer noch nicht daran gewöhnt, dass ihr Sohn bereits vierzehn Jahre alt war und beim Abschied standen ihr Tränen in den Augen. Wulfhelm spielte den harten Mann. Wenigstens einmal sollte sein Vater stolz auf ihn sein. Aber in Wirklichkeit hätte er auch gern geheult, um seinem Heimweh Luft zu machen.

      Ja, schon der Gedanke, sich weiter von seinem Zuhause zu entfernen, löste riesiges Heimweh in ihm aus. Sein Vater saß auf der Veranda, als Wulfhelm ging und blickte ihm stolz nach. Er rief seinem Sohn noch ein paar aufmunternde Worte nach. Wulfhelm war sich sicher, sie falsch verstanden zu haben, aber es klang ungefähr so wie: »Ja, verpiss dich bloß! Schnorr dich zur Abwechslung mal woanders durch!«

      So war das damals gewesen und in der Zwischenzeit hatte Wulfhelm durchaus einiges gelernt. Abgesehen von einem wirklich ausgedehnten Hauswirtschaftskurs, hatte er sein Heimweh überwunden. Etwas wofür