Niels Rudolph

Die Weberin der Magie


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hatte sich sein Heimweh nach und nach in Fernweh verwandelt. Wulfhelm wollte eigentlich gar nicht mehr zurück nach Hause zu seinen Eltern. Der einzige Ort, wo es ihn hinzog, lag weit entfernt von Martors Domizil, die Richtung spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Er wollte endlich die Welt kennenlernen und die vielen wundersamen Dinge entdecken, von denen er schon so viel gehört und gelesen hatte.

      Wulfhelm hatte sich die Ausbildung bei einem Magier etwas anders vorgestellt. Gut, er hatte gleich, nachdem er seinen Ausbildungsvertrag unterschrieben hatte (zu diesen Zeiten war noch keine Unterschrift des Erziehungsberechtigten notwendig), sein persönliches Zauberbuch bekommen, in dem er seine gelernten Zaubersprüche festhalten sollte. Aber in seiner zweijährigen Laufbahn hatten sich noch nicht viele Zaubersprüche angesammelt. Um genau zu sein, kannte Wulfhelm bis jetzt nur sieben Zaubersprüche. Das mag ja schon eine ganze Menge sein, aber gegen die Vielfalt der bekannten Sprüche und ihren verschiedenen Variationen, war das nicht mehr als die Ablagerung einer verdauten Fliegenmahlzeit auf einer Fensterscheibe. Dazu waren Wulfhelms Sprüche nicht besonders hilfreich, auch wenn Martor meinte, dass sie ziemlich mächtig seien. Aber wem nutzte es schon einen Putzteufel zu beschwören, wenn man damit nicht gewisse hauswirtschaftliche Arbeiten verband?

      Zu den nützlichen Sprüchen gehörten wohl die Levitation von kleinen Gegenständen und das Feuer entfachen. Letzteren Spruch hielt Wulfhelm anfangs für extrem mächtig, aber nach einigen Experimenten musste er enttäuscht feststellen, dass es sich um nichts anderes handelte, als um eine Art ferngezündetes Streichholz (ohne das Holzstäbchen). Wulfhelm hatte geglaubt, dass er damit seine Feinde verbrennen könnte, aber zum einen konnte er damit nur leicht entzündliche Stoffe in Brand setzen und zum anderen wirkte die Flamme nur fünf Sekunden. Es reichte gerade, um den Zunder im Kamin anzuzünden. Dennoch war Wulfhelm davon überzeugt, dass ihm seine Sprüche einmal das Leben retten könnten. Er war halt ein unverbesserlicher Optimist.

      Erschöpft warf Wulfhelm den Lappen in seinen persönlichen Putzeimer und ließ sich unter dem Apfelbaum nieder, der im kleinen Gemüsegarten des Zauberers stand. Er hatte seine Arbeit erledigt und nutzte die Gunst der Stunde, um ein wenig nachzudenken und ein Nickerchen zu machen. Martor hatte sich vor etwa einer Stunde überstürzt verabschiedet, um eine kleine Geschäftsreise anzutreten. Er hatte dabei einen ziemlich besorgten Gesichtsausdruck zur Schau getragen und Wulfhelm fragte sich, was wohl so wichtig sei, dass der Magier ohne seinen Hut aufbrach. Martor (der Korrekte) ging sonst nie ohne seinen Spitzhut mit den Zauberersymbolen aus dem Haus. Vielleicht lag es ja daran, dass er nicht im eigentlichen Sinne gegangen war, sondern sich einfach weggezaubert hatte. Dennoch ärgerte sich Wulfhelm ein wenig über seinen Meister. Wie oft hatte der ihm schon vorgehalten, dass standesgemäße Kleidung das A und O für einen Zauberer war.

      Anfangs hatte er den spitzen, purpurfarbenen Hut mit der breiten Krempe gehasst, denn er war unbequem und kratzte wie verrückt. Außerdem war er so sehr gestärkt, dass er sich eher anfühlte wie ein Helm. Als sich Wulfhelm einmal oben ohne aus dem Haus geschlichen hatte, setzte es ein ganz schönes Donnerwetter und das konnte man ruhig wörtlich nehmen. Martor (der Humorvolle) beschwor ein kleines Gewitter, das Wulfhelm auf Schritt und Tritt folgte.

      Aber nach ein paar Wäschen war der Hut dann endlich weich und bequem geworden und er begann ihn zu schätzen, weil ihm die Mädchen im Dorf beeindruckt nachsahen, wenn er Vorräte einkaufte. Sein Hut hatte zwar noch keine magischen Symbole (die müsse er sich erst erarbeiten, sagte Martor), dafür aber einen silbern glänzenden AZUBI-Schriftzug.

      Verstohlen sah Wulfhelm zum Haus herüber. Wann Martor wohl zurückkehren würde? Er spielte mit dem Gedanken, ein bisschen in den Zauberbüchern seines Meisters zu spionieren, verwarf ihn jedoch sofort wieder. Das hatte er schon einmal versucht, aber die Bücher waren mit einem magischen Schutz versehen. Also zog er sein eigenes Zauberbuch aus den geräumigen Taschen seiner purpurnen Robe und schlug es auf. Seufzend betrachtete er das Inhaltsverzeichnis:

      1. Fremde Stimme

      2. Putzteufel beschwören

      3. Levitation kleiner Gegenstände

      4. Erkennen von Gefühlen

      5. Feuer entfachen

      6. Unkraut vernichten

      7. Magisches Licht

      So schlecht waren die Sprüche ja nicht, aber Wulfhelm hätte gern ein paar Kampfzauber gelernt. Eisregen wäre nett gewesen, oder Feuerball. Sein einziger Kampfzauber vernichtete Unkraut, einen wahrhaft Furcht einflößenden Gegner.

      Fremde Stimme war der erste Zauber, den Wulfhelm gelernt hatte, obwohl er es nicht gerade als echte Zauberei betrachtete. Es handelte sich dabei um eine Art Bauchreden. Er konnte jede beliebige Stimme von irgendwoher erklingen lassen. Ein Freund von ihm konnte etwas Ähnliches und der war kein Magier. Allerdings klang diese Stimme immer ein wenig wie die seines Freundes, nur etwas verzerrt. Und wenn der etwas dabei trank oder aß, klappte es schon gar nicht mehr so gut. Das konnte Wulfhelm alles und es machte ihm Spaß mit diesem Spruch zum Beispiel die Stimme seines Vaters aus dem Wäschekorb tönen zu lassen. Der eigentliche Zweck, warum Martor (der Geizige) ihn diesen Spruch gelehrt hatte, war es, Steuereintreiber und Versicherungsvertreter abzuwimmeln. Am liebsten zog er dabei die Verlorene-Seele-im-Brunnen Nummer ab, bei der er Weh- und Klagelaute aus den Tiefen des Brunnens emporsteigen ließ.

      Ein Poltern im Haus schreckte Wulfhelm aus seinen Gedanken. War Martor schon wieder zurück? Wulfhelm sprang auf und lief ins Haus. Der Magier würde bestimmt wütend werden, wenn er sah, dass Wulfhelm faulenzte.

      Martor lag in seltsam gekrümmter Haltung auf dem Boden. Eine Blutlache kroch unter ihm hervor und saute die sorgsam gebohnerten Dielen ein.

      »Äh, Meister? Geht es Euch nicht gut?«

      »Ich habe mich noch nie besser gefühlt. Idiot! Was glaubst du wohl?«, wütete der Magier.

      »Aber was ist passiert? Ich meine ... Soll ich nicht lieber einen Heiler holen?«

      »Nein, bis du wieder hier bist, bin ich vermutlich schon tot. Hör mir einfach nur gut zu, ja?« Martor hustete sich ein wenig Blut über die Robe, bevor er schleppend fortfuhr.

      »Eine große Gefahr ... die böse Zauberin Yolanda ... Finde das Zepter von Ardavil ...« Der Kopf des Magiers fiel zurück und er blieb reglos liegen.

      Wulfhelm versuchte zu sortieren, was sein Meister ihm gerade erzählt hatte: »Ich schätze, die böse Zauberin Yolanda hat meinen Meister umgebracht. Ihm steckt ein Dolch im Rücken. Ich soll also das Zepter von Ardavil finden und die Zauberin beseitigen. Aber wie? Ich kann doch kaum Zaubersprüche und außerdem, wie kann jemand mit so einem schönen Namen böse sein? Was ist nun ...«

      »Quatsch keine Arien, Junge. Mach dich auf die Fußlappen. Zeit ist Aargh...« wieder streckte sich Martor (der Leblose) aus.

      Wulfhelm zuckte mit den Schultern, ging auf sein Zimmer und packte seine Sachen zusammen. Jetzt, wo sein Meister tot war, hielt ihn eh nichts mehr hier. Wahrscheinlich war dieses Zepter ein mächtiges, magisches Artefakt. Warum sollte er nicht versuchen, es zu finden? Vielleicht wurde er doch noch ein großer Zauberer, wenn er das Ding erst mal hatte. Zunächst galt es aber, eine vernünftige Ausrüstung zusammenzukratzen, denn nur mit seinen Klamotten am Leib konnte man nicht auf eine lange, gefahrvolle Reise gehen.

      Geld! Wo hatte der alte Sack bloß seinen Zaster versteckt? Wulfhelm schlich sich ins Arbeitszimmer seines ehemaligen Meisters. Selbst nach dem gewaltsamen Ableben seines Mentors steckte ihm noch das Gefühl in den Knochen, er könnte erwischt werden. Martor bewahrte all seinen Plunder in seinem Arbeitszimmer auf. Hier sah es so aus, wie bei anderen Leuten auf dem Dachboden. Bücher und Gerätschaften stapelten sich in ungeordneten Türmen bis fast unter die Zimmerdecke. Wulfhelm sah sich ehrfürchtig um. In einem Regal standen die Zauberbücher Martors, aber die waren tabu. Er wagte es nicht sie anzufassen, nachdem er das letzte Mal eine ungeheure, magische Entladung durch die Knochen gejagt bekommen hatte. Auf der Suche nach dem Geld des Magiers stellte er das ganze Zimmer auf den Kopf. Er fand ein paar Dinge, die sich als nützlich erweisen könnten, aber nicht einen Heller an Bargeld. Dabei war Martor nicht unvermögend gewesen, aber in seiner Angst vor den Steuereintreibern der Kaiserin, hatte er paranoide