Mira Micheilis

Meraviglia und der verrückte Erfinder


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mit Bierschaum in den Bärten und sahen sie neugierig an. Unsicher blieb sie einen Augenblick in der Tür stehen.

      Nein! Das ist nicht der Moment, um schüchtern zu sein! Entschlossenen Schrittes ging sie, verfolgt von den Augen der Anwesenden, zu einem Tresen. Ihre Schritte hallten unwill-kommen in der angespannten Stille wider.

      Hinter dem Tresen stand ein Jüngling, vielleicht etwas älter als sie selbst, mit einem langen Gesicht und einer unnatürlich großen Knollnase. Er war so vertieft in die Lektüre eines Zettels, dass er Meraviglia zunächst nicht bemerkte. Erst als sie sich auffällig räusperte, schaute er zu ihr auf.

      Erschrocken wich der Junge zurück. Seine Augen wanderten von dem Hut, zu dem Ohrring und der Weste. Schlagartig wich ihm das Blut, wie bei einem Wasserfall, aus dem Gesicht und ließ nur ein bleiches Gespenstergesicht zurück.

      Meraviglia beachtete sein Erschrecken nicht. Sie hatte zwar nicht mit einer so extremen Reaktion gerechnet, war aber zufrieden, dass die gewünschte Wirkung eingetreten war.

       Jetzt nur nichts Falsches sagen! Du hast dafür geprobt!

      Doch bevor sie auch nur ein Wort hervor bringen konnte, stammelte der Tresenjunge zitternd: „Ich… habe es nicht angerührt… ich schwöre es…“

      „Das macht nichts“, antwortete Meraviglia verwirrt, ohne zu wissen, worum es eigentlich ging. Die Worte waren ihr einfach so rausgerutscht. Gespannt, ob noch eine Erklärung folgen würde, wartete sie einen Moment ab. Aber er rührte sich nicht. Starrte sie nur mit zitternden Lippen weiter an.

      „Darf ich fragen, was das hier zu bedeuten hat?“ Wie aus dem Nichts erschien an ihrer Seite ein Mann. Jedenfalls dachte Meraviglia, dass es ein Mann war. Es hätte auch ein Schnurrbart mit Beinen gewesen sein können. Ein sprechender, schwarzer, buschiger Schnurrbart mit Beinen.

      Es dauerte einen Moment, bevor sie ihren Blick von dem haarigen Etwas, das wie eine Katze über den dünnen Lippen des stämmigen Mannes thronte, abwenden konnte. Der Mann überragte sie um gut zwei Köpfe und hatte breite Schultern, die ein Pferd hätten tragen können.

      Mit eisblauen Erbsenaugen musterte er sie unverhohlen und kräuselte seinen Schnurrbart. Meraviglia ließ sich nicht von dem freundlichen Lächeln täuschen. Das waren die Augen eines Habichts. Augen für unschöne Entscheidungen.

      Der Mann blickte er prüfend von Meraviglia zum Jüngling und wartete amüsiert auf eine Antwort. Da von dem zittrigen Espenlaub hinter dem Tresen in diesem Jahrhundert keine Antwort zu erwarten war, startete Meraviglia einen Versuch.

      „Mein Name ist Meraviglia Barbanero. Ich bin hier, weil ich Erfinderin werden möchte.“

      Wenn dies überhaupt möglich war, wurde es in dem Empfangsraum noch stiller. Meraviglia spürte, wie sich die Blicke der Anwesenden wie Seeigel an sie klebten. Sogar das Espenlaub vergaß für einen Moment, wovor es sich gerade noch gefürchtet hatte.

      Auf die Stille folgte ohrenbetäubender Lärm. Meraviglia war sich zunächst nicht sicher, aber als sie sah, wie der riesige Schnurrbart auf den Lippen des Mannes auf und ab hüpfte, wusste sie, dass es Gelächter war. Das ganze Zunfthaus krümmte sich vor Lachen. Selbst das Espenlaub drang sich zu einem nervösen Kichern durch.

      Meraviglia verstand nicht. Hatte sie einen Witz erzählt? Als der Schnurrbartmann ihren unverständigen Blick bemerkte, warf er einen Arm über ihre Schulter und drückte sie an sich. Sein Atem stank nach Wein und Tabak.

      „Hör mal, Kleine. Du bist ja ganz süß. Aber selbst wenn die Mitternachtskatze höchstpersönlich dich hierher geführt hätte: wir nehmen weder Frauen noch Piraten. Und du bist beides.“

      Schlagartig wurde Meraviglia bewusst, dass ihre Kleiderwahl doch nicht die beste Idee war.

      Sie wandte sich aus seinem Griff und und verfluchte sich innerlich, dass sie nicht auf Potata gehört hatte.

      „Wieso denn Pirat?“, fragte sie unschuldig.

      Der Schnurrbartmann wischte sich eine Lachträne von der Wange und machte wieder einen Schritt auf sie zu.

      Er genoss diese Ablenkung. Der Tag war bisher so langweilig verlaufen. Nur trinken und sinnloses Gerede. Da kam dieses kleine Spektakel gerade recht.

      Auch die übrigen Anwesenden krochen aus ihren dunklen Ecken und drängten sich näher zum Ort des Geschehens.

      „Nun, lass uns mal sehen“, meinte der Schnurrbartmann und umkreiste Meraviglia, wie ein Geier seine Beute. „Dein Rock ist zwar lang, aber du trägst eindeutig Hosen darunter. In deinem Ohr hängt ein Goldring. Auf deinem Hut sitzt ein Affe und zu guter Letzt würde kein normaler Mensch darauf kommen, dass wir Frauen in unserer Zunft aufnehmen!“

      Meraviglia war verwirrt.

      „Auf meinem Kopf sitzt ein Affe?“

      Sie griff nach ihrem Hut und spürte, wie etwas davon sprang. Mit einem Hopp landete ihr kleiner Kapuzineraffe auf dem Tresen und schaute spitzbübisch in die Runde.

      „Rajab, du Klette! Wer hat dir gesagt, mir nachzulaufen?!“

      Das Äffchen erwiderte mit einem vorwurfsvollen Schrei und sprang auch schon weiter auf einen Dachbalken.

      „Du siehst also, Kleine. Du hast hier nichts verloren.“

      Gespannt, wie sie nun reagieren würde, hielten die übrigen Erfinder den Atem an.

      „So einen Affen kann jeder haben“, entgegnete Meraviglia unbeeindruckt. „Das beweist nicht, dass ich eine Piratin bin.“

      Der Schnurrbartmann staunte über ihre Frechheit. Doch er hatte schon ganz andere klein gekriegt.

      „Aber du bist immer noch ein Weib und Weiber dürfen hier nicht einmal Böden schrubben. Nicht war, Porriccio?“

      Er nickte in Richtung des Espenlaubs.

      Meraviglia ergriff das Gefühl bitterer Enttäuschung und machtloser Wut. So viel Borniertheit war nicht zu ertragen.

      „Das ist doch absurd!“, rief sie bestimmt, obwohl ihr das Herz schon tief in die Stiefel gerutscht war. „Und willkürlich! Ich bin hier, weil ich Erfinderin werden will. Und ich werde nicht eher gehen, bis ich den Vorsitzenden gesprochen habe.“

      Der Schnurrbartmann brach in schallendes Gelächter aus. Und auch die anderen Männer, die nun einen dichten Kreis um sie gebildet hatten, stimmten mit ein.

      „Valesco Spizzosa mein Name“, prustete der Schnurrbartmann, „Vorsitzender dieser berühmten Zunft.“

      Meraviglia blieb der Atem weg. Ihre Knie wurden immer weicher, aber sie wollte nicht so schnell aufgeben. Sie war doch nicht durchs ganze Mittelmeer gesegelt, um sich von einem Schnurrbart einschüchtern zu lassen.

      „Wieso sollte ich schlechter sein, als der nächste, nur weil ich ein Mädchen bin?“

      Der Zunftvorsitzende sah sie mit seinen riesigen dunklen Augen ungläubig an. Genauso gut hätte jemand fragen können, warum es eine Gilde gab oder einen Fürsten oder eine Stadt.

      „Hm, mal sehen“, sprach Spizzosa. Er musste nicht tief in seinem kleinen Kopf kramen, um eine Antwort zu finden.

      „Frauen sind klein und schwach und haben keine Ausdauer. Man gibt ihnen eine Aufgabe und nach zwei Minuten können sie nicht mehr. Frauen können nicht richtig denken. Sie reden und reden, über andere Frauen und über Kleidung und ihre Haare. Sie können nicht denken wie wir.“

      Die Männer um sie herum nickten zustimmend. Hier und da grummelten welche ‚sehr richtig‘ und ‚das stimmt!‘.

      „Und der wichtigste Grund von allen ist natürlich, und ich zitiere hier den großen Philosophen Smadarin:

       Frauen sind gemeine, hinterhältige, verdorbene Biester,

       die lügen, betrügen und faul in der Ecke liegen,

       stehlen, bei der Arbeit fehlen,