Mira Micheilis

Meraviglia und der verrückte Erfinder


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Erst jetzt fiel ihr ein, dass die Levanta wahrscheinlich schon abgelegt hatte. Sie war nun wirklich auf sich allein gestellt.

      Meraviglia ging zum Fenster und schaute hinaus auf den unförmigen Mond, der durch die Wolken zu schweben schien und hinunter auf die Straße. Einsame, schwarze Gestalten huschten eilig durch die Nacht, verschwanden in engen Gassen und hinter schweren Türen. Irgendwo in der Ferne hörte sie das Glockenläuten des Nachtwächters.

      Was für eine seltsame Stadt, dachte sie sich.

      Ohne sich auch nur auszuziehen, ließ sich Meraviglia ins Bett fallen. Ihr war, als fiele die Last der ganzen Welt von ihren Schultern direkt auf ihre Augenlider. Doch kaum hatte sie die Augen geschlossen, da schaukelte es sie hin und her. Die beständigen Bewegungen des Schiffes, die sie so lange nachts in den Schlaf gewogen hatten, fehlten ihr auf einmal.

      Rajab kuschelte sich an ihre Brust. Sie legte ihre Hand auf seinen weichen Bauch und deckte ihn mit ihrem Mantel zu.

      „Die Leute in der Stadt sind wirklich ganz anders als auf dem Meer, Rajab.“ Der kleine Affe atmete langsam und tief, seine erbsengroßen Finger in ihr Hemd gekrallt, aber Mera wusste, dass er noch nicht schlief. Niemand schlief so schnell ein.

      „Sie sind wie kleine Inseln. Alle für sich und ganz allein. Vielleicht sollten sie auch mal aufs Meer fahren, dann wüssten sie die Menschen um sich besser zu schätzen.“

      Rajab antwortete mit einem zustimmenden Grunzen.

      „Aber keine Sorge. Das wird schon. Das wird schon. Auf eine Nacht folgt immer ein neuer Tag. Und morgen bin ich Erfinderin. Ganz bestimmt“, murmelte sie, bis der Schlaf sie übermannte.

      3. Zwei dunkle Gestalten

      Am anderen Ende der Stadt, wo der Dunst über den Dächern nicht so dicht war, wo Laternen an den Eingängen der Häuser Dieben die Arbeit erschwerten und wo eine Lumpensammlerin wohl vergeblich etwas gesucht hätte, trafen sich zu der gleichen, späten Stunde zwei Gestalten, die nicht ganz unschuldig an dem Chaos sein würden, das noch bevorstand.

      Der Ort des Treffens war einer, der das Wort Unauffälligkeit nicht kannte. Es war ein Haus, nein, eine Villa, die auf einem Hügel stand und durch eine hohe Mauer vor den neugierigen Blicken Unwürdiger geschützt wurde. Hohe, fein säuberlich geschnittene Zypressen und das vergoldete Tor ließen auf den Reichtum seines Besitzers schließen.

      Dies war kein Haus für heimliche Treffen, wie es der Tanzende Frosch war und doch bot es an diesem Abend zwei gefährlichen und düsteren Gestalten in einem der zahllosen Zimmer einen Ort der Verschwiegenheit.

      Um der geheimnistuerischen Atmosphäre noch mehr zu genügen, war in dem Raum keine Kerze entzündet worden. Nur ein Feuer im Kamin bot gerade genug Licht, um sich zu fragen, was sich wohl in den dunklen Schatten verbarg.

      Trotzdem konnte man gut erkennen, dass es eine Bibliothek war. Die Wände waren förmlich tapeziert mit kostbaren Büchern, die das gesamte Wissen dieser Zeit in sich verbargen. Aber die Bücher waren verstaubt und vernachlässigt. Schon seit langer Zeit hatte niemand durch die wertvollen Seiten geblättert und niemand die handgeschriebenen Aufzeichnungen studiert. Doch jetzt musste es als teures Zierwerk sein Dasein fristen. Denn so ein Buch kostete. Und nicht wenig. Ein einfacher Bäcker hätte einen Monat arbeiten müssen, um eine Seite eines Buches zu bekommen.

      Doch der Mann, der zusammengesackt in seinem Sessel am Kamin saß, hatte die harte Arbeit der normalen Bevölkerung bereits vor Jahren hinter sich gelassen. Sie war für ihn nicht mehr, als die blasse Erinnerung eines schlechten Traumes.

      Die Fülle seines Leibes drückte ihn tief in das weiche Polster und ließ ihn in seinem roten Abendmantel wie eine zerquetschte Tomate erscheinen. Nur das vornehm blasse Gesicht mit der großen Kartoffelnase, wies ihn als Menschen aus. Proportional zu seinem Alter, hatte das Gewicht des Mannes mit den Jahren zugenommen und ihm jeglichen Überschwang und Enthusiasmus der Jugend ausgetrieben und durch Weisheit und Listigkeit ersetzt.

      Die Haltung seines Körpers kam an diesem Abend nicht nur durch seine Körperfülle zu Stande, sondern auch durch seine Zerknirschtheit. Selbst das Fußbad, das ihm sein treuer Diener Fabrizio eingoss, konnte seine marternden Gedanken nicht vertreiben. Allein sein Gast, der ihm in einem noch schöneren Sessel gegenüber saß, hielt ihn davon ab, den Krug mit heißem Wasser in Rage nach seinem Knecht zu werfen.

      Denn sein Besuch, unglücklicherweise noch in der Blüte seiner Jugend, genoss die Verstimmtheit seines Gastgebers.

      „Welche Maus ist dir denn über den Säbel gelaufen, Gorgo?“, fragte er vergnügt, obschon er genau wusste, welche Maus es gewesen war (denn auch er hatte Augen und Ohren überall).

      In seinem Gesicht, verziert durch einen kunstvoll rasierten und gepflegten Schnurr- und Ziegenbart, ließen sich die Züge eines Charakters erkennen, den der Luxus um ihn herum unbeeindruckt ließ.

      Er selbst war nicht minder prächtig anzusehen. Durch den langen, schwarzen Mantel, den er offen trug, wenn er nachts hinausging, lugte eine mit Silberfäden bestickte Weste heraus und verriet die vornehme Herkunft seines Trägers, der an diesem Abend und an diesem Ort lieber unerkannt bleiben wollte. Nicht, dass es einem Prinzen nicht gestattet war, das Haus seines Bürgermeisters aufzusuchen. Nur die späte Uhrzeit hätte unangenehme Fragen aufwerfen können.

      Signore Gorgonzola war sich der Höflichkeit, die er seinem hohen Gast schuldig war, durchaus bewusst, aber allein der Gedanke an diesen unsäglichen Nachmittag ließ ihn wieder die Fäuste zusammenballen.

      „Wenn ich dieses Gör erwische! Oh, wenn sie mir in die Hände fällt! Dann kann sie sich glücklich schätzen, wenn sie nur im Turm landet.“

      „Dass du dich von einem kleinen Mädchen so ärgern lässt, hätte ich nicht gedacht“, lachte der Prinz. „Zugegeben, Schneid hat sie. Aber dieses Gossengesindel kennt eben kein Benehmen. Ist gegen alle Belehrungen so scheu wie gegen die Pest. Einprügeln sollte man ihnen den Gehorsam. Aber manchmal sind sie auch für Späßchen gut.“

      Signore Gorgonzola brummte in seinen Bart. Der Prinz hatte gut lachen. Ihn hatte man nicht vor der versammelten Stadt zum Narren gehalten. Im Gegenteil. Man hatte ihn sogar vorgezogen.

      „Wie dem auch sei“, lenkte er das Gespräch in neue Bahnen. „Ich habe den Hauptwachtmeister angewiesen, dass seine Leute nach ihr Ausschau halten sollen. Solche Unruhestifter können schnell lästig werden. Es ist besser, wenn man sich gleich um sie kümmert.“

      Der Prinz legte die schöne Stirn in Falten und Ernst vertrieb augenblicklich seine gute Laune.

      „Die Wache hat besseres zu tun, als irgendwelchen Kindern hinterher zu jagen, Gorgonzola. Wir haben immer noch Probleme, die unserer Aufmerksamkeit bedürfen. Ablenkung können wir uns im Moment nicht leisten.“

      Der Bürgermeister beeilte sich seinem Gast zuzustimmen. Hochwohlgeborene durfte man nicht verstimmen, besonders nicht, wenn man sie noch brauchte.

      Als der Fürst sich vor einigen Jahren aus den Amtsgeschäften zurückzog, übernahm Prinz Massimo im Fürstentum das Zepter. Was Gorgonzola nur Recht war. Massimo war kein heller Kopf und sehr viel leichter zu beeinflussen, als es der alte Sturkopf gewesen war.

      „Ihr habt natürlich recht, Prinz. Aber es schadet ja nicht… wenn die Wachen… wenn sie sowieso gerade die Stadt nach… ähm… unserem kleinen Problem durchkämen, auch gleich die Augen nach der kleinen Piratin offenhalten. Das dürfte nicht so viel Mühe kosten. So ein Gör fällt auf.“

      „Nein, Gorgonzola! Mich interessieren deine Piratengeschichten nicht. Wenn du dich vor der ganzen Stadt zum Gianwurst machst, dann ist das dein Problem! Die Männer der Garde unterstehen immer noch mir! Wenn du das Gör unbedingt haben willst, dann schick deine eigenen Diener los!“

      „Natürlich. Natürlich. Warum habe ich nicht selbst daran gedacht. Ihr habt natürlich recht.“

      Der