Mira Micheilis

Meraviglia und der verrückte Erfinder


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ein Stück richtig süßem Honigkuchen, den man sich manchmal gönnt. Und dann kehrte er im Tanzenden Frosch ein, dem schlimmsten Gasthaus in dem schlimmsten Viertel von Braccio. Hier fühlte er sich immer so sauber.

      „Ach, ich vergaß, Fräulein, dass Sie neu sind und noch gar nichts über unsere wundervolle Stadt wissen.“ Seine Stimme wurde so singend, als spräche er gerade mit einem Kind.

      „Nun, unsere Stadt wird von der durchlauchten Familie der Leobruno beherrscht wird. Eine Familie, deren Linie sich bis zu Kaiser Augustus zurückverfolgen lässt. In männlicher Folge, wohlgemerkt. Und Césare Leobruno, Fürst und mein gnädigster Herr, regiert schon seit über dreißig Jahren die Stadt und das gesamte dazugehörige Gebiet der Collina. Obwohl es mich schmerzt, wird er die Herrschaft wohl bald an seinen Sohn Massimo abtreten. Einen feineren und heldenhafteren Prinzen gibt wohl es im gesamten Reich nicht.“

      Potata lächelte spitzbübisch.

      „Hast du nicht jemanden vergessen?“

      Nun war es an Poporano die Nase zu rümpfen.

      „Nein, habe ich nicht.“

      Potata wandte sich verschwörerisch an Meraviglia.

      „Es gibt nämlich jemanden, der Massimo ganz schön zu schaffen macht und ihn gar nicht so glänzen last, wie Poporano es darstellt. Einen verwegenen Schurken, der, egal was der kleine Prinz auch plant, ihm die Suppe versalzt.“

      „Sei still, du dummes Weib!“, herrschte Poporano sie an. „Das ist unser Prinz, von dem du da sprichst!“

      Aber Potata ließ sich nicht aufhalten. Sie nahm jetzt erst richtig an Fahrt auf.

      „Will der Prinz einen Kanal bauen, flutet er ihm die Gruben. Will er die Wölfe aus den Wäldern vertreiben, vertreibt er die Soldaten. Und das ganz allein! Stell dir nur diesen Schelm vor! Den würde ich mal gerne zu Gesicht bekommen. Doch niemand hat ihn bisher gesehen. Niemand kennt auch nur seinen Namen.“

      Poporano stand so plötzlich auf, dass der Stuhl hinter ihm zu Boden krachte.

      „Dumme Weiber mit euren romantischen Fantasien. Der Prinz hat nur unser Wohl im Sinn und ihr zerreißt euch die Mäuler über einen Halunken! Schämen solltet ihr euch!“

      Mit diesen Worten verließ er ungestüm das Gasthaus.

      „Auf Wiedersehen!“, rief Meraviglia ihm nach, aber er schien sie nicht mehr zu hören.

      „Puh! Den bin ich los“, atmete Potata erleichtert auf. „Du scheinst diese Verrückten magisch anzuziehen. Du kannst von Glück reden, dass er das Essen bezahlt hat. Sonst hätte ich es dir in Rechnung gestellt.“

      Meraviglia achtete nicht auf die Standpauke. Sie hatte auf dem Piratenschiff sehr schnell gelernt, wann es sich lohnte zuzuhören, wenn man angeschrien wurde, und wann nicht.

      „Warum macht er das wohl? Warum vereitelt er die Pläne des Prinzen, Potti?“

      Was für ein hoffnungsloser Fall!, dachte diese und seufzte.

      „Wer weiß das schon. Die Leute erzählen viel, wenn der Tag heiß ist, was hier in Braccio jeder Tag ist. Vielleicht hat ihm der Prinz etwas getan und nun will er ihn dafür ärgern.“

      Dabei ließ sie es bewenden. Potata grübelte nicht gerne. Das machte nur Kopfschmerzen.

      „Vielleicht ist er traurig. Deswegen will er, dass der Prinz es auch ist“, dachte Meraviglia laut. Das schien ihr die logischste Erklärung.

      „Was interessiert dich das Schicksal irgendeines Halunken!“, entgegnete Potata. „Kümmer dich mal um dich selbst und suche dir eine anständige Arbeit. Und nicht dieses Hirngespinst, das du dir da in den Kopf gesetzt hast.“

      Ach, ja! Sie hatte heute ja noch was vor!

      Plötzlich knarzte das Holz über ihren Köpfen. War der Fremde aufgewacht?

      Meraviglia war kein Angsthase. Ganz und gar nicht. Sie hatte sich jedoch eine gesunde Portion Bammel angeeignet, die ihr sagte, wann es galt, sich düsteren Gestalten in den Weg zu stellen und wann nicht. Und das war einer dieser Moment, in denen man am besten den letzten Rest Hirsebrei verschlang und sich sehr schnell auf den Weg begab.

      Potata sah ihr mit einem tiefen Stirnrunzeln nach.

      Das geht nicht gut, dachte sie sich. Ganz und gar nicht.

      ***

      Kaum war Meraviglia zur Tür hinaus, da wehte ihr eine frische Brise um die Nase und warmer Sonnenschein spielte auf ihrem Gesicht. Was für ein wunderschöner Tag es war, um Erfinder zu werden. Das schöne Wetter hob sofort ihre Laune und beschleunigte ihren Schritt. Selbst das düstere und klamme Blancapella wirkte in ihren freudestrahlenden Augen, wie ein verwunschenes, kleines Dorf.

      Zielsicher bahnte sie sich ihren Weg durch die Menge, der zur Arbeit eilenden Menschen, Richtung Stadtmitte. Die meisten von ihnen waren junge Mädchen in schlichten Uniformen. Mägde und Küchenhelferinnen, Wäscherinnen, Kinderfrauen – jene, die eine Stadt am Laufen hielten.

      Sie eilten, ohne von Meraviglia Notiz zu nehmen, zu den Häusern ihrer Herren. Die Arbeit war lang und der Tag viel zu kurz. Sie hatten keine Zeit, sich nach seltsamen Frauen mit Piratenhüten umzusehen.

      Meraviglia fragte sich, wie viele von ihnen wohl einer Zunft angehörten oder gar eine eigene Werkstatt besaßen. Sie war in diesen Dingen furchtbar naiv und wusste nicht, dass in einer Stadt wie Braccio das richtige Handwerk (also die leichteste Arbeit) den Männern überlassen wurde.

      So ein Handwerksmeister hatte nicht mehr zu tun, als die Schar seiner Gesellen, Lehrlinge und Knechte zu überwachen. Die eigentliche Arbeit machten andere. Nur bei Erfindern war es anders. Da kam es nicht auf Muskeln, sondern auf Köpfchen an. Man musste sich Dinge ausdenken, verstehen wie etwas funktionierte, Mittel und Wege finden. Das war eine mühsame Denkarbeit. Doch umso befriedigender war es, wenn man etwas baute, das dann tatsächlich funktionierte.

      Als Meraviglia die Brücke zum Stadtzentrum überquert hatte, erfragte sie sich ihren Weg zur Erfinderzunft. Es überraschte sie nicht, dass die Menschen sehr zuvorkommend reagierten. Sie lachte sogar innerlich. Ja, so ein Piratenaufzug macht Eindruck!

      Auch Barbanero, hatte stets gemeint, dass ein sicheres Auftreten und beeindruckende Kleidung schon die halbe Miete waren.

      Vor allem als Pirat war es wichtig, dass die Leute von Anfang an Angst vor dir hatten, sonst konnte das Entern eines Schiffes durchaus unangenehm werden. Womöglich musste man dann sogar kämpfen. Aber wenn man die Leute gleich überzeugte, dass sie überhaupt keine Chance hatten, ja, dann lief alles wie am Schnürchen.

      So hoffte auch Meraviglia, dass, wenn sie nur selbstbewusst genug auftrat, die Leute in der Zunft schon merken würden, wie ernst es ihr war.

      Es dauerte nicht lang, da stand sie vor dem Zunfthaus der Erfindergilde – der mächtigsten Gilde in ganz Italien. Bereits von Außen sah das Haus beeindruckend aus: Ein vierstöckiger Holzbau mit zwei riesigen, spitzen Türmen an beiden Seiten, die aussahen als stünden sie Wache. Über dem Eingang hing ein großes Zunftschild, mit dem Siegel der Erfinder. Aufwendige Bilder verzierten die Fenster, noch schöner, als die der Kathedrale.

      Jedes Fenster zierte das Gesicht eines berühmten Mitglieds. Giacomo Zupetti, ein bekannter Schiffserfinder. Gian Salieri, ein Erforscher auf dem Gebiet der Pferdezugkraft. Hugo Aligeri, der unglaubliche Apparaturen für das Reiten von Tigern gebaut hatte (wider aller Erwartungen starb dieser, nachdem er auf einer Orangenschale ausgerutscht war).

      Alle abgebildeten Erfinder waren über die Grenzen des Mittelmeeres hinaus bekannt und wurden für ihre Arbeit bewundert.

      Meraviglia flatterte das Herz und ihre Knie wurden weich. Aus dem Inneren des Zunfthauses drangen aufgeregte und heitere Stimmen auf die Straße.

      Jetzt nicht die Segel streichen!, sprach sie sich Mut zu. Du bist immerhin Piratin!

      Sie holte tief Luft, streckte sich zu ihrer vollen Größe und