Wilma Burk

Du hast es mir versprochen!


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hatte sie aus ihren Gefühlen gestrichen.

      *

      Marita zog nicht nur zu ihrem Christian, nein, gleich im darauf folgenden Jahr heiratete sie ihn. Vera war Trauzeugin. Was für ein aufregender Tag. Die kleine und zierliche Marita stolperte fast über ihr langes weißes Kleid, während der etwas schlaksige Christian mit seinem dunklen Beatleskopf, aufgeregt an seinen Manschetten zupfte. Er wusste offenbar nicht, wie er ihr helfen sollte. Resolut raffte Marita ihren Rock zusammen. Dabei bemerkte Vera zum ersten Mal ihr sich rundendes Bäuchlein.

      „Bist du schwanger?“, fragte sie überrascht.

      Marita lachte: „Was glaubst du, warum ich heirate!“

      Ungläubig sah Vera ihr hinterher und beneidete sie fast um ihre Sorglosigkeit. Wie locker sie mit Christian über die Tanzfläche glitt. Alles, was Marita machte, wirkte so leicht. Immer wusste sie einen Ausweg, nie war sie darum verlegen. Nun heiratete sie eben, weil ein Kind kam.

      *

      Auch das Leben von Vera sollte sich bald ändern. Noch immer radelte sie gerne mit ihrem Fahrrad umher. Wenn es wärmer wurde, fuhr sie sogar bis zu ihrer Arbeitsstelle in die Stadt. Das machte der Mutter Sorgen. Von Jahr zu Jahr wurde der Autoverkehr auf den Straßen dichter, und Vera dazwischen mit dem Fahrrad. „Pass nur auf! Du kennst die Verkehrsregeln nicht. Dass du mir nicht unter ein Auto kommst!“, mahnte sie.

      „Mama, rechts vor links und Vorfahrtsschilder kenne ich. Mach dir nicht so viele Gedanken.“ Vera lachte, nein, das war unnötig, sie wusste, wie sie fahren musste, außerdem kannte sie ihren täglichen Weg genau.

      Aber dann war es doch einmal anders. Sie fuhr nach ihrem Arbeitstag zu Marita durch den Feierabendverkehr tiefer in die Stadt hinein. Marita und Christian wohnten in einer verkehrsreichen Straße, in der auch Straßenbahnen quietschend ihren Schienen folgten. Hier hatten sie im Hinterhaus eines Mietshauses eine kleine Wohnung gefunden. Der Hof, auf den sie blickten, war kahl. Dort gab es weder Kaninchenställe noch eine Linde, nur Mülltonnen. Da es aber nicht leicht war, preiswerten Wohnraum zu bekommen, war Marita glücklich gewesen, diese kleine Wohnung, die sogar eine Innentoilette hatte, gefunden zu haben. Sie trug bereits einen beachtlichen Bauch vor sich her. Lange konnte es bis zur Niederkunft nicht mehr sein. Längst wartete ein Kinderbett auf den neuen Erdenbürger und Marita kannte nichts, als Vorfreude auf ihr erstes Kind.

      „Wie willst du das eigentlich regeln? Verdient Christian genug oder gehst du bald wieder in deinen Beruf als Verkäuferin zurück?“, fragte Vera.

      „Du bist gut! Natürlich verdient Christian keine Reichtümer. Sobald ich kann, gehe ich wieder arbeiten, vielleicht zuerst halbtags. Du glaubst gar nicht, wie einem die Decke auf den Kopf fällt, wenn man den ganzen Tag zu Hause ist.“

      Vera sah in den tristen Hof. Hier, wo kaum ein Sonnenstrahl den Boden erreichte, wollte sie auch nicht den ganzen Tag sein. „Aber das Kleine?“, fragte sie, „Was machst du damit?“

      „Das findet sich schon. Vielleicht nimmt es meine Mutter in der Zeit.“

      „Wohnt ihr dazu nicht zu weit auseinander?“

      „Was zerbrichst du dir den Kopf? Erst einmal kommt es auf die Welt. Und ich bin froh, wenn ich das hinter mir habe. Danach bleibe ich ja zuerst zu Hause. Alles andere bringt die Zeit.“ Marita machte sich keine Sorgen. Unnütz nannte sie solche Überlegungen. „Kommt Zeit, kommt Rat!“

      Noch in Gedanken darüber, wie leicht Marita alles nehmen konnte und wie sie auch immer eine Lösung für ihre Probleme fand, rollte Vera mit ihrem Fahrrad vom Hof. Sie fuhr durch die breite offene Einfahrt unter dem Vorderhaus hindurch und hinaus auf die Straße. Kein Passant auf dem Bürgersteig behinderte sie. Kräftig trat sie in die Pedale, um an einem parkenden Auto vorbei die gegenüber liegende Fahrbahn der Straße zu erreichen.

      Da – ein Auto von links – es war für sie durch das parkende Fahrzeug verdeckt gewesen, sie hatte es nicht gesehen. Bremsen kreischten, sie trat den Rücktritt, es reichte nicht. Sie klammerte sich an den Lenker des Fahrrades. Unaufhaltsam näherte sich das Auto mit quietschenden Reifen. Sie konnte nicht mehr ausweichen, knallte vorn gegen den Kotflügel, schoss über den Lenker des Fahrrades hinweg, flog auf die Motorhaube und fiel hart auf die Straße vor das Auto.

      Geschockt blieb sie liegen. Sie war nicht fähig, sich zu rühren.

      Die Autotür flog auf, ein Mann sprang heraus, Menschen liefen zusammen, manche blieben auf Entfernung, andere drängten sich neugierig heran. „So ein Leichtsinn!“ – „Konnte sie nicht aufpassen!“ – „Der Autofahrer hat wohl auch geschlafen!“ – „Ja, ja, die Radfahrer!“ – „Wer ruft die Polizei?“ So redeten die Leute durcheinander.

      Vera sah alles, hörte alles und nahm doch nichts wirklich wahr. Was war geschehen? Warum taten ihr Kopf und Arm so weh? Ein fremdes Gesicht neigte sich über sie. Helle Augen sahen sie durchdringend und besorgt an. „Mein Gott, Sie sind mir direkt ins Auto gefahren. – Sie bluten ja!“ Der Mann zog ein Taschentuch aus seiner Jacke und tupfte ihr vorsichtig damit die Stirn ab. Ach, darum tat das Gesicht weh. Vera hielt still. Es tat ihr gut, dass es einen gab, der wohl wusste, was zu tun war. „Haben Sie sich sonst noch etwas getan? Können Sie aufstehen? Versuchen sie es!“

      „Ja, ja, gleich! Sicher kann ich aufstehen!“, murmelte sie. Jetzt erst begriff sie, was geschehen war.

      Er neigte sich zu ihr hinunter, seine braunen Haare fielen ihm ins Gesicht. Seine kräftigen Hände schob er unter ihre Schultern; er wollte ihr aufhelfen.

      Sie schrie auf vor Schmerz.

      Er ließ sie sofort los.

      Sie versuchte, sich allein aufzurichten. „Mein Bein, mein Arm! Ich kann mich nicht aufstützen“, jammerte sie. Sobald sie ihren Kopf hob, drehte sich alles um sie. Was war das? Sie musste aufstehen, irgendwie nach Hause kommen. Ihr Rad? Was war mit ihrem Fahrrad? Verzweifelt bemühte sie sich hochzukommen.

      Doch die kräftige Hand, die sie eben noch hochheben wollte, drückte sie nieder. „Bleiben Sie ruhig liegen, bis Hilfe kommt“, sagte er.

      „Aber warum? Ich muss doch ...“

      „Sie müssen jetzt gar nichts, nur warten, bis Ihnen geholfen wird.“ Der Druck seiner Hand wurde energisch.

      Plötzlich war Marita da. „Vera, was ist passiert?“

      Der Mann trat einen Schritt zurück, ließ Marita zu ihr. Er strich sich nervös durch sein Haar und sah nachdenklich auf Vera herab. Wieder begegnete sie seinem Blick aus den hellen Augen und sah irritiert weg. „Komm Marita, hilf mir, allein schaffe ich es nicht aufzustehen“, bat sie.

      Marita fasste sich an ihren Bauch. „Vera, wie soll ich das machen?“

      Da stand der Mann gleich neben ihr. „Bleiben Sie liegen! Seien Sie vernünftig!“

      Groß und breit von Statur kam er Vera in diesem Moment vor, als sie von unten zu ihm aufsah. Er war es wohl gewöhnt zu befehlen. Brav wie ein Kind machte sie keinen Versuch mehr aufzustehen. Sie sah ihm zu, wie er nun nervös hin und her lief. O Gott, sie hatte ja Schuld an dem Unfall! Das wurde ihr bewusst. Er würde sicher Schadenersatz verlangen. Was konnte das kosten? Aber wütend war er nicht, er hatte sie nicht beschimpft. Ob man sich mit ihm gut einigen konnte? Sie musterte ihn bang. Gerade und aufrecht war sein Gang. Trotz seiner Nervosität wirkten seine Bewegungen ruhig. Vielleicht wird es nicht so schlimm. Wenn sie doch nur aufstehen könnte. Warum tat denn alles so weh? Wirr gingen ihre Gedanken im Kopf herum. Und während der ganzen Zeit redete Marita auf sie ein. Was sagte sie?

      Mit dem Krankenwagen kam zugleich die Polizei. Zeugen meldeten sich, die alles genau gesehen haben wollten. Ja, Vera sollte Schuld an dem Unfall gewesen sein. Er konnte also zufrieden sein, dachte Vera. Jetzt war sie müde, nur müde, wollte Ruhe haben. Sie wehrte sich nicht mehr dagegen, als sie auf eine Trage gehoben wurde, schrie nur kurz auf, als man ihr Bein anfasste. An eins dachte sie aber noch: „Marita, kannst du meiner Mutter Bescheid sagen, und vielleicht kann Christian später mein Fahrrad zu ihr bringen?“

      Doch Marita brauchte nicht zu antworten. „Das