Wilma Burk

Du hast es mir versprochen!


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Marita ihm die Adresse gab, wurde Vera in den Krankenwagen geschoben. Die Türen schlossen sich hinter ihr und der Wagen fuhr los zum nächsten Krankenhaus.

      *

      Das linke Bein und den linken Arm in Gips, Pflaster im Gesicht, Prellungen und Schürfwunden am Körper, so lag Vera in einem hellen Krankenzimmer und grübelte, wieso dieser Unfall geschehen konnte. Zwei Mitpatientinnen im Zimmer musterten neugierig die Neue. Sie redeten viel und sie fragten viel. Dabei wollte Vera nur nachdenken. Da war etwas, das sie beunruhigte. Dieser Mann, sein Blick, so durchdringend und doch besorgt, sein Handeln so bestimmt und klar, so dass man selbst nicht mehr zu denken brauchte, das beschäftigte sie.

      Noch an dem gleichen Abend kam die Mutter. Ja, der Fremde hatte das Fahrrad zu ihr gebracht und ihr schonend erklärt, was geschehen war. „Aber so, wie das Fahrrad aussah, Lenker und Vorderrad total verbogen, konnte er lange reden, es beruhigte mich nicht. Nun sehe ich auch, was los ist. Musstest du mit dem Fahrrad noch mitten in die Stadt zu Marita fahren?“, fragte die Mutter vorwurfsvoll.

      Ein paar Tage später, kam auch der Fremde. Georg Söllner war sein Name. Er brachte einen großen Blumenstrauß. Er wolle sehen, wie es ihr gehe, erklärte er. Aber er fragte sie so viel nach ihrem Leben aus, dass es wohl nicht nur Interesse an ihrem jetzigen Befinden war. Das jedenfalls könne man aus seinem Verhalten annehmen, meinten die beiden Mitpatientinnen.

      „Ach was! Der wollte sicher nur wissen, ob ich den Schaden an seinem Auto bezahlen kann.“, wehrte Vera ab.

      Doch es blieb nicht bei diesem einen Besuch. Bald kam er regelmäßig und begegnete dabei auch ihrer Mutter. Die zeigte von Mal zu Mal mehr Interesse an ihm. Jetzt war sie es, die ihn ausfragte. Vera war das peinlich, auch wenn sie so erfahren konnte, dass er um die dreißig war, Juniorchef in einer kleinen Strickwarenfabrik und noch unverheiratet. „Auch ohne Freundin“, versicherte er lachend und sah Vera dabei so komisch an, dass sie errötete.

      „Mama, du kannst ihn doch nicht ausfragen“, warf sie ihrer Mutter danach vor.

      „Warum, Kind? Es ist immer gut, wenn man rechtzeitig weiß, mit wem man es zu tun hat.“ Die Mutter schien sich bestimmte Hoffnungen zu machen, was Vera gar nicht gefiel. „Nanu, kommt er heute nicht?“, fragte sie bereits, wenn er mal an einem Sonntag nicht da war. Und kam er dann, so konnte sie, die sonst ernste Frau, so eigenartig lachen. Sie lobte ihn, hörte ihm aufmerksam zu und bewunderte stets aufs Neue den Wald von Blumen, den er mit jedem Strauß, den er brachte, in das Krankenzimmer zauberte.

      Vera war es peinlich. „Mama, das kannst du nicht machen! Was soll er nur denken?“

      „Na, was wohl? Dass er eine nette Schwiegermutter bekommen könnte“, erwiderte die Mutter unbekümmert.

      „Nun gehst du aber zu weit!“

      „Wieso? Schau ihn dir an! Gut sieht er aus, Geld scheint er zu haben, Interesse zeigt er auch für dich, sonst käme er nicht so oft, und einen liebenswürdigeren Menschen kann ich mir nicht vorstellen. Sei nicht dumm. Wann begegnet einem schon mal so einer.“ Das Herz der Mutter hatte er bereits erobert.

      Unsympathisch war er Vera auch nicht. Es gefiel ihr, wie besorgt er um sie war, seine sichere Art, mit der er regelnd eingriff, wenn es für sie Probleme gab, die er erledigen konnte. Das geschah ganz selbstverständlich, so, wie er auch die nun hochschwangere Marita mit seinem Auto abholte und wieder nach Hause brachte, damit sie Vera besuchen konnte.

      „Das ist ein Mann! Der könnte mir gefährlich werden, wenn ich nicht schon vergeben wäre“, flüsterte sie Vera zu und klopfte sich dabei auf ihren Bauch. Besonders toll fand sie, dass er ein Auto hatte. „Für so eine Bekanntschaft kann ich dich glatt beneiden.“

      „Du nun auch noch! Was redet ihr nur? Wieso Bekanntschaft? Er hat mich angefahren und verletzt. Nur deshalb kommt er her.“

      Marita zwinkerte ihr zu. „Richtig ist wohl eher, dass du ihn angefahren hast. Es gäbe keinen Grund für ihn, ein schlechtes Gewissen zu haben. Hätte das ein anderer als du getan, dem hätte er wohl eine dicke Rechnung für die Beulen an seinem Auto präsentiert. Und die Beulen waren erheblich, das kannst du mir glauben. Doch von dir nimmt er nicht einen Pfennig. Warum wohl?“

      Darauf wusste Vera nichts zu antworten. Es begann sie zu beunruhigen. Er gefiel ihr ja auch. Es war ihr nicht unangenehm, wenn er sie berührte, ihr das Kissen richtete oder einen Bissen in den Mund schob. Alles tat er behutsam, fragte erst gar nicht, ob es ihr recht sei. Und es war ihr ja recht. Nur, sie lauschte vergeblich in sich hinein, ob eine alles vergessende Verliebtheit in ihr erwachte, so, wie sie die Liebe zu Bernd empfunden hatte. Viel eher erfüllte sie ein wunderbar beruhigendes Gefühl der Geborgenheit in seiner Nähe. Entsprach das aber nicht bereits einer gewissen Zuneigung, die sie für diesen Georg Söllner empfand? Doch musste sie überhaupt darüber nachdenken? Wenn sie erst einmal das Krankenhaus verlassen konnte, würden sich ihre Wege wieder trennen.

      5. Kapitel

      Doch ihre Wege trennten sich nicht. Als Vera das Krankenhaus verlassen konnte, ein Bein noch im Gehgips, wurde sie nicht nur von ihrer Mutter abgeholt, sondern auch Georg Söllner stand mit seinem Auto vor der Tür. Wie selbstverständlich kroch ihre Mutter auf den Rücksitz, während er Vera half, sich auf den Beifahrersitz zu setzen und das Bein richtig zu lagern. Es tat ihr höllisch weh. Doch was war das gegen das Gefühl, in einem Auto sitzen zu können und zu wissen, dass sich oben am Fenster die Mitpatientinnen die Nasen an den Fensterscheiben platt drückten.

      Danach kam er oft zu ihr nach Hause, abends oder auch sonntags. Er brachte Blumen und sogar Strickwaren aus seiner Fabrik für sie und ihre Mutter mit. Als der Gips von ihrem Bein abgenommen wurde und sie Gehübungen machen musste, fuhr er mit ihr dazu an einen See. Hier stützte er sie bei jedem Schritt, den sie den Weg am Ufer entlanggingen. Er achtete besorgt darauf, dass sie sich nicht überanstrengte. Er lud auch Mutter und Tochter zu einer Fahrt in ein Ausflugslokal ein. Eigentlich fragte er nie viel. Wenn er sagte: „Heute machen wir das“, empfand sie es als wohltuend, nicht überlegen zu müssen, ob sie zustimmen oder ablehnen sollte.

      Er wurde ihr immer vertrauter. Nein, Abneigung gegen ihn verspürte Vera nicht. Kam er einmal später als erwartet, wurde sie bereits ungeduldig. Es gefiel ihr, von ihm umworben zu werden. Sie ließ sich gerne von ihm in seiner sicheren Art führen. Sie hatte nichts dagegen, dass er vieles für sie erledigte. Dass dies auch Besitz ergreifend sein könnte, daran dachte sie nicht, war doch auch die Mutter der Meinung: „Das ist ein Mann, der weiß, was er will, nicht so ein Hallodri, wie es der Bernd Reuter gewesen ist.“

      War es auch keine himmelstürmende Liebe, die Vera für ihn empfand, so wuchs doch eine Zuneigung für ihn in ihr. Sie fühlte sich wohl in seiner Nähe. Onkel Achim, mit dem sie darüber sprach, sagte: „Das ist nicht die schlechteste Voraussetzung für eine dauerhafte Beziehung.“

      So wehrte sie ihn nicht ab, als er sie eines Abends zum Abschied in die Arme nahm und küsste. Sacht und vorsichtig tat er es, nichts in ihr lehnte sich dagegen auf, im Gegenteil, es war schön für sie, in den Arm genommen zu werden. Sie fühlte sich geborgen.

      Zu Marita, die ein kleines Mädchen auf die Welt gebracht hatte, fuhr Vera bereits zusammen mit Georg Söllner in die Klinik, um den kleinen Erdenbürger zu begrüßen. Gab es überhaupt noch etwas, das sie ohne ihn tat?

      Marita war Mutter geworden und unsagbar glücklich über ihr kleines Mädchen Sabine. Christian, der junge Vater saß schlaksig daneben, warf seine langen Haare zurück und wirkte unbeholfen. Er wusste wohl mit seiner neuen Rolle als Ehemann und Vater noch nichts anzufangen. Aber Marita sagte ihm, was zu tun war. Nur klang es etwas ungeduldig und gereizt.

      Als Vera und Georg an diesem Tag zurückfuhren, sprach er zum ersten Mal von einer gemeinsamen Zukunft. „Ich möchte auch einmal Kinder mit dir haben.“ Er sah sie dabei nicht an, sondern lenkte das Auto durch die Straßen, als erwarte er keine Antwort darauf, als könne auch das nicht mehr anders sein. War er sich ihrer so sicher? In diesem Augenblick wurde Vera bewusst, auch sie konnte sich nichts anderes mehr vorstellen, als mit ihm in eine gemeinsame Zukunft zu gehen. Was aber würde geschehen, wenn er