Wilma Burk

Du hast es mir versprochen!


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      4. Kapitel

      Es dauerte lange, bis sie wieder mit Marita lachen konnte. „Verkriech dich nicht! Das hilft nichts. Komm mit zu dem Motorradverein von meinem Freund. Die sind eine vergnügte Truppe. Das wird dich aufmuntern.“ So redete Marita auf sie ein. Sie hatte längst einen neuen Freund. Den wievielten? Und jeder war für sie wunderbarer als der, den sie vorher hatte. Sie verstand nicht, wie Vera einem wie Bernd nachtrauern konnte.

      Als auch die Mutter Vera zuredete, gab sie nach und ging mit. Ehe sie es sich versah, saß sie als Sozius hinter einem Detlef auf einem Motorrad und fuhr mit ihm und den andern durch die Gegend. Wenn Rast gemacht wurde, ging es lustig zu. Bald steckte sie das Lachen der anderen an. Sie spürte auch, wie Detlef sich um sie bemühte und ihr gerne näher gekommen wäre. Aber sie wich ihm aus. Es ging nicht, obgleich es sie schmerzte, wenn sie sah, wie glücklich Marita mit ihrem Freund war oder wie verliebt die anderen Pärchen miteinander umgingen. Wie gern hätte sie auch jemanden gehabt, an den sie sich anlehnen konnte. Doch sie war unfähig, sich zu verlieben oder dem Werben von Detlef nachzugeben. Zu tief saß noch die Verletzung, die Bernd ihr zugefügt hatte. Bald zog sie sich aus dem Verein wieder zurück.

      „Was ist los, Vera? Ich dachte schon, mit dir und Detlef, das wird etwas.“ Marita begriff es nicht.

      Vera war einundzwanzig Jahre alt und wollte von Männern am liebsten nichts mehr wissen. Doch sie litt darunter, ihre Sehnsucht nach Liebe war groß.

      In ihrer Ratlosigkeit trieb es sie nach langer Zeit wieder zu Onkel Achim. Er hatte sie immer verstanden, ohne dass sie viel sagen musste. Es tat ihr gut, als sie ihm gegenüber in seiner kleinen Küche bei einer Tasse Kaffee saß und über all ihren Kummer und ihre Zerrissenheit reden konnte.

      Ruhig hörte er ihr zu. Danach schwieg er kurz, nahm seine Brille ab, putzte sie nachdenklich, setzte sie wieder auf und sagte: „Was hast du erwartet? Dass man seinen Schmerz so bald betäuben kann? Zurückgewiesene und verletzte Liebe heilt nicht so leicht. Das braucht Zeit. Dafür gibt es keinen schnellen Trost mit einem andern. Du musst Geduld haben. Glaube mir, ich weiß das, habe es auch in jungen Jahren erfahren.“

      Onkel Achim? Hatte er darum nie geheiratet? Eine Scheu hielt sie zurück, ihn zu fragen, was damals gewesen war. Nie ist irgendwann darüber gesprochen worden. Was allerdings kein Wunder war, denn dabei ging es sicher um Gefühle, und wann konnte ihre Mutter schon über Gefühle reden? Hatte sie jemals ein Wort darüber verloren, was sie empfunden oder sogar gelitten hatte, als der Vater sie verließ? Nein, bei aller Verbundenheit, die Vera für sie inzwischen empfand, solche Gespräche wie mit Onkel Achim konnte sie mit ihr nicht führen.

      Doch nun wollte sie wissen, was Onkel Achim angedeutet hatte. Gleich als sie nach Hause kam, drängte sie ihre Mutter, ihr davon zu erzählen. Zuerst wollte sie mit der Sprache nicht heraus. „Das ist so lange her. Das war gleich nach dem Krieg gewesen, als die ersten Männer aus der Gefangenschaft heimkehrten.“

      „Ja, und? Was war da?“ Vera ließ nicht locker.

      „Wenn er es dir nicht gesagt hat, wieso willst du das dann wissen?“, wand sich die Mutter unwillig.

      Warum tat sie das? „Weil er etwas angedeutet hat, was du wissen musst“, erklärte Vera und fragte drängend: „War er unglücklich verliebt? Kanntest du die Frau, um die es ging?“

      Die Mutter blickte Vera unsicher an.

      „Nun sag schon, kanntest du sie?“

      „Es war keine Frau, es war ein Mann.“ Widerwillig antwortete die Mutter.

      „Wie – ein Mann?“ Vera war sprachlos. „Er ist ... ist er homo...?“ Sie konnte es kaum aussprechen.

      „Ja! nach dem Krieg jedenfalls.“

      „Aber kann denn ein Mann einen anderen Mann wirklich lieben?“ Gehört hatte Vera schon davon, aber viel darüber nachgedacht noch nie. Wie sehr wurde so etwas verachtet. Niemand ging offen damit um. War es nicht sogar strafbar? Und Onkel Achim ... ausgerechnet Onkel Achim?

      Die Mutter sah ihr wohl all ihre Gedanken an. „Sei jetzt nicht überheblich. Ehe du ein Urteil fällst, solltest du gründlich darüber nachdenken. Ja, ein Mann kann einen andern Mann genauso lieben wie sonst nur eine Frau und Achim hat das getan. Es war schlimm für ihn, als er begreifen musste, dass sich sein Traum von einer gemeinsamen Zukunft nicht erfüllen konnte, dass der andere ihn hintergangen hatte. Ich habe mir damals sehr große Sorgen um ihn gemacht. Er wurde krank darum, hat sehr gelitten, denn das ist doppelt schwer, wenn man sich von der Gesellschaft nicht anerkannt fühlt und seinen Schmerz verstecken muss, weil ihn niemand verstehen würde.“

      „Und du hast ihn verstanden?“

      „Ja, ich habe ihn verstanden und zu ihm gehalten, auch als sich alle in der Familie darüber empörten und es abartig nannten. Die Menschen sind ja so schnell dabei zu verurteilen, vielleicht sogar, um ihre eigenen seltsamen Vorlieben zu verstecken.“

      „Armer Onkel Achim. Das muss schlimm für ihn gewesen sein.“ nachdenklich sah Vera ihre Mutter an. Sie wirkte manchmal so kalt, doch welche warmen Tiefen verbargen sich in dieser Frau. Sie stand zu dem, was sie sagte, und zu den Menschen unbeirrt, die ihr etwas bedeuteten. Nicht nur Zuneigung, auch Achtung empfand Vera in diesem Moment für ihre Mutter.

      Vera war, als würde sie ihre Mutter jetzt erst richtig kennen und verstehen lernen. Es gab zwar keine großen Gesten der Zuneigung zwischen ihnen, aber sie fühlte sich ihr tief verbunden.

      Nach der Erfahrung in dem Motorradverein, ging Vera jeder Möglichkeit, sich zu verlieben, aus dem Weg. Marita dagegen hatte bald einen neuen Freund, der kein Motorrad besaß. Sie lachte und war wieder so verliebt und glücklich wie in jeder neuen Liebe.

      „Dass du das kannst, so von einem zum andern.“ Vera war es rätselhaft. Zugleich bewunderte sie aber die leichte Lebenslust von Marita. Fast wünschte sie für sich selbst, nur etwas davon zu haben.

      „Das Leben kann so schön sein, wenn du es nicht zu ernst nimmst“, antwortete Marita fröhlich.

      *

      1972 waren Marita und Vera zweiundzwanzig Jahre alt. Vera war fleißig im Beruf. An Anerkennung im Büro mangelte es ihr nicht. Stolz war sie darauf. „Das kannst du auch sein!“, lobte sie sogar die Mutter.

      Marita hatte erneut eine große Leidenschaft und Liebe, einen Christian. Sie schwärmte von ihm, wie sie es von noch keinem vorher getan hatte.

      Irritiert sah Vera sie an. „Na, wie lange wird das dauern?“, fragte sie misstrauisch.

      „Ewig!“, erwiderte Marita. „Wir ziehen zusammen?“

      „Du machst was?“ Vera war sprachlos.

      „Ja, du hast richtig gehört, wir ziehen zusammen. Es wird Zeit, von zu Hause wegzugehen und auf eigenen Füßen zu stehen. Wer um die zwanzig bleibt heute noch bei den Eltern. Du solltest das auch tun. Bist lange genug mit deiner Mutter zusammen.“

      „Wie stellst du dir das vor? Bei dir bleiben Mutter und Vater zusammen zurück, aber meine Mutter bleibt dann allein. Das kann ich ihr nicht antun.“

      „Es ist aber der natürliche Verlauf im Leben, dass Kinder einmal weggehen. Wenn du heiratest, dann ...“

      „... dann ist das etwas anderes.“

      „Wieso? So oder so bleibt sie allein.“

      „Der Grund dafür ist ein anderer. Wenn ich jetzt gehe, sieht es so aus, als wollte ich von ihr weg. Das muss sie kränken. Doch wenn ich ...“

      „Wenn du heiratest, ist sie sogar noch glücklich darüber, allein zu bleiben. Das ist verrückt!“, lachte Marita. Dann aber sagte sie ernst: „Pass nur auf, dass du überhaupt noch von ihr loskommst!“

      „Ach, was!“ Darüber machte sich Vera keine Gedanken. Wer weiß, ob sie jemals heiraten würde, wenn sie weiter so vor jedem Annäherungsversuch eines Mannes zurückwich.

      „Willst du etwa eine alte Jungfer werden?“, fragte Onkel Achim bereits