Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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Federn des Trampolins und Bens Laute dazu.

      „So, mein Großer, es ist Zeit fürs Bett!“ Wie üblich versucht er, noch mehr Zeit zu schinden oder mich dazu zu bewegen, mit auf´s Trampolin zu kommen, doch für heute reicht es mir wirklich. Wer weiß, wie die Nacht mit Tom wird. Also muss ich hart bleiben und nehme ihn mit ins Haus. „Ab unter die Dusche, ich komme gleich hoch.“ Wenn ich mich hier so umsehe, habe ich das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. Jeden Abend kann ich das Haus aufräumen und am nächsten Abend sieht es aus wie ein Schlachtfeld. Die Englischsachen noch auf dem Küchentisch, die nassen und dreckigen Kindersachen, die Reste vom Kochen…. Wie kriegen andere Frauen das denn hin und sitzen pünktlich um 20.00 Uhr bei den Nachrichten auf der Couch und sehen anschließend ganz entspannt – natürlich ohne Unterbrechung – ihren Tatort? Mein Tatort Küche reicht alleine aus, um das Abendprogramm zu füllen.

      Komm Annie, jammern hilft nicht, Du machst das schon. Ist ja bald Wochenende. Was, heute ist erst Dienstag? Auch gut, nur nicht den Kopf hängen lassen. Ich weiß ja, wofür ich das tue. Es dauert auch nicht lange, dann habe ich mich selbst genug motiviert, um mich wieder ins Chaos zu stürzen. Ben ist im Bett, die Küche blitzt, Wäsche habe ich heute Gott sei Dank keine gemacht, die jetzt noch aufgehängt werden müsste. Mist, ich habe keine Alternative besorgt, falls meine Mutter nicht kann. In diesem Augenblick klingelt auch schon das Telefon. „Hallo Annie, Hans hat gesagt, dass ich Dich anrufen soll.“ Gott sei Dank, die rettende Stimme. Und ich habe Glück, sie kann morgen früh kommen. Dann kann Tom sich erholen und die Zeit mit seiner Omi genießen. Beruhigt gehe ich ins Bett.

      „Mama“, ruft eine weinerliche, zarte Stimme von nebenan. Es ist schon ein Phänomen, früher hätte ein Zug durch mein Schlafzimmer fahren können, ich hätte ihn nicht gehört. Aber so ein zartes Kinderstimmchen lässt jede Mutter sofort hellwach und einsatzbereit im Bett sitzen. Ich gehe zu Tom und fühle seine Stirn. Jetzt führt kein Weg mehr am Fiebersaft vorbei. „Hier mein Schatz.“ Ich reiche ihm einen Becher Wasser und dann den Löffel mit dem dickflüssigen pinkfarbenen Saft. Wie in Trance mit nur halb geöffneten, glasigen Augen, schluckt er den Saft und verzieht das Gesicht, das er gleich darauf in meiner Armbeuge vergräbt. Ich ziehe ihn sanft zu mir herüber, halte ihn fest in meinem Arm und beginne zu summen.

      Wie froh ich bin, dass er im Gegensatz zu seinem Bruder noch kein Hochbett hat und ich mich mühelos neben ihn legen kann. Ich liege gerne hier und sehe mir Winnie Puuh und seine Freunde auf der Tapete an. Die Unbeschwertheit, die Tigger & Co. ausstrahlen, gefällt mir. Bald beginnt Toms kleiner Körper, sich zu entspannen. Als ich seinen regelmäßigen Atem spüre, beginne ich ebenfalls, mich zu entspannen. Halb drei. Hoffentlich schlafe ich nochmal ein. Sicherheitshalber trage ich Tom in mein Bett.

      „Au!“, ich werde wach, weil mich ein fürchterlicher Schmerz im Gesicht durchzuckt. Habe ich geträumt? Ich versuche irgendwie, meine Sinne zu sammeln und bemerke, dass Toms Faust neben meinem Kopf liegt. Hat er mich doch tatsächlich ausgeknockt. Da ich nun eh wach bin, gehe ich ins Bad, um mir durch das Gesicht zu waschen und einen kühlen Waschlappen für Tom mitzubringen, um das verschwitzte Gesichtchen etwas abzukühlen. Halb vier. Ich weiß jetzt schon, dass ich morgen früh völlig durch den Wind sein werde. Aber es hilft ja nichts. Ich muss versuchen, irgendwie wieder in den Schlaf zu finden. Da Tom sich allerdings unruhig immer wieder hin und her wirft, gelingt das Einschlafen auch immer nur phasenweise. So verbringen wir den Rest der Nacht, und als mich am Ende der Wecker höhnisch aus dem Geschlummer weckt, ist es fast wie eine Erlösung.

      Eine Stunde später verlasse ich mit mulmigem Gefühl das Haus. „Ruf mich an, wenn irgendwas ist“, sage ich wahrscheinlich schon zum dritten Mal zu meiner Mutter, die völlig entspannt in der Haustüre steht. „Mach Dir mal keine Sorgen, Annie. Wir machen das schon. Ich habe ein Huhn aus der Tiefkühltruhe geholt und werde dem Kleinen gleich eine Hühnersuppe mit Reis kochen. Du wirst sehen, dann ist er schnell wieder auf den Beinen!“ Ja damit er so schnell wie möglich laufen gehen kann, er hasst Hühnersuppe!“, sage ich natürlich nicht, sondern denke es nur. Sie meint es ja nur gut. Und wer weiß, vielleicht bekommt sie ihn wirklich dazu, ein paar Löffel davon zu essen. Hühnersuppe ist auf jeden Fall gut für die Seele. Habe ich gelesen und war überzeugt. „OK, ich bin dann gegen eins wieder da.“ „Tschüss Kleine, bis nachher.“

      Ich drücke sie nochmal fest, na ja so fest wie es meine Kräfte heute Morgen zulassen, und mache mich auf den Weg. Als ich die Türe der Kanzlei aufschließe, bin ich noch ganz in Gedanken und erschrecke mich fast zu Tode, als aus dem Büro der Chefin ein ungewöhnlich lauter Ruf kommt: „Frau Sommer kommen Sie SOFORT in mein Büro!“ Ich erstarre vor Schreck und mein Gehirn rattert, ob ich irgendetwas Wichtiges vergessen hätte. Diesen Ton habe ich noch nie an ihr gehört. Ich sollte sie nicht auch noch warten lassen und eile – noch in der Jacke – in ihr Büro.

      Ach du Schande. Dieser Blick ist ja noch schlimmer. Frau Dr. Holst hat die Augen zu Schlitzen zusammengekniffen und ich habe das Gefühl, als schießen Pfeile daraus. Was ist denn nur passiert. Ich bin mir überhaupt keiner Schuld bewusst. „Können Sie mir mal sagen, was in Sie gefahren ist, sich während der Arbeit auf Sex-Internetseiten zu vergnügen?“ Ihr Ton grenzt an Hysterie und ich habe noch immer keinen Schimmer, worum es hier eigentlich geht. Mein Gesicht scheint auch auszudrücken, dass ich völlig auf der Leitung stehe, also fährt sie fort: „Soll ich Ihnen erst auf die Sprünge helfen? FICKEN.DE!“

      Mein Herz bleibt stehen. So etwas aus ihrem Mund zu hören, macht mich völlig fertig. Frau Dr. Holst sagt zu mir Ficken.de, und ich habe keinen Schimmer, was sie von mir will. „Ich habe keine Ahnung, worum es hier geht, aber ich war niemals auf …“ Mir kommt das Wort einfach nicht über die Lippen „… dieser Seite.“ „Ich habe aber Beweise dafür. Können Sie sich vorstellen, welchen Schaden Sie verursachen, wenn herauskommt, dass vom Server einer renommierten Anwaltskanzlei kostenpflichtige Sex-Seiten aufgerufen werden? Mal abgesehen von meinem guten Ruf, den ich zu verlieren habe, haben Sie eine Vorstellung, welchen wirtschaftlichen Schaden das nach sich ziehen könnte?“ Sie hört gar nicht mehr auf und ich habe das Gefühl, dass es keine gute Idee ist, sie jetzt zu unterbrechen. Also lasse ich die ganze Gewehrsalve über mich ergehen. „Aber der Super-GAU, den Sie damit verursacht haben, ist der Virus, den diese Seite auf meinem Server hinterlassen hat. Sie haben das komplette System lahmgelegt.“ Ihre Stimme wird immer schriller und ich stehe wie ein begossener Pudel vor ihrem Schreibtisch. „ Sie können Gott danken, dass Sie gestern noch die Sicherungsdiskette ausgetauscht haben.“ Lieber Gott, hilf´ mir, gibt mir doch mal einen Hinweis, was hier abgeht. Plötzlich überkommt mich ein Hoffnungsfunken. Das ist nur ein Traum, ich wache gleich auf, und meine Mutti steht mit frischen Brötchen vor der Türe!

      Bei dem Gedanken daran hellt sich mein Gesicht etwas auf. „Was gibt es denn da zu grinsen?“, entfährt es ihr und sie geht um ihren Schreibtisch herum und baut sich direkt vor mir auf. Auge in Auge. Ich spüre ihren Atem in meinem Gesicht. Also wenn ich jetzt nicht sofort aufwache, muss ich wohl etwas sagen. „Tut mir leid, aber ich weiß immer noch nicht, worum es hier geht.“ „Wollen Sie sagen, dass Sie gestern nicht an ihrem Arbeitsplatz im Internet waren?“, fragt sie nun gefährlich leise. „Doch schon, aber ich war nur auf einer Seite mit Immobilienangeboten.“ „Wollen Sie mich für dumm verkaufen?“ „Nein natürlich nicht, ich habe nur keine Erklärung dafür.“ „Gut, dann können Sie jetzt nach Hause gehen und darüber nachdenken. Ich möchte Sie heute nicht mehr hier sehen. Und eins muss Ihnen klar sein: Das wird in jedem Fall eine Abmahnung nach sich tragen.“

      Ihr Blick lässt keinen Zweifel an ihren Worten und so drehe ich mich wie in Trance um und gehe ins Besucher-Badezimmer. Ich sehe in den Spiegel. Mein Gesicht sieht aus, als hätte man mir schon wieder hineingeschlagen und genau so fühlt es sich auch an. Ich lasse mir immer wieder kaltes Wasser in die Hände laufen und durch das Gesicht spritzen in der Hoffnung, dass damit auch die Klarheit kommt. Ich versuche, mir den Mittag gestern wieder in Erinnerung zu rufen. Wohnungsangebote. Die Wohnung auf dem Hof des Bekannten. Ich habe das Gefühl, dass ich ganz nahe an der Lösung bin. Saunaclub. Das war die einzige Seite, auf der ich noch war. Und ja, in einer Ecke der Homepage war eine nackte Frau zu sehen. Aber dann habe ich die Seite auch schon wieder geschlossen und den Rechner heruntergefahren. Das ist die einzige Möglichkeit. Vielleicht gab es dort einen Link, der aktiviert wurde, als ich auf die Seite