Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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Eine unfassbare Wut steigt in mir hoch. Paul hat oft genug deutlich gemacht, dass ihn diese Angelegenheiten gar nicht interessieren. Das ist also ein reines Machtspiel. Ich weiß nicht warum, aber plötzlich tauchen wieder die Bilder des Vorstellungsgespräches in meinem Kopf auf. Auch eine Art von Machtspiel. Was denken sich diese Menschen eigentlich? Muss ich mir das alles gefallen lassen? Plötzlich ist die Antwort ganz klar in meinem Kopf: NEIN!

      Jetzt ist eindeutig der Punkt erreicht, wo ich mir so ein Verhalten nicht mehr gefallen lassen werde. Mein Entschluss steht fest: Ich werde mich mit aller Macht wehren. Mit aller Macht heißt für mich notfalls auch mit gerichtlicher Unterstützung. Gleich morgen werde ich meine Chefin darum bitten, dass wir gemeinsam gegen diesen Rechtsanwalt vorgehen. Und außerdem wird Paul von mir einen Brief erhalten, der sich gewaschen hat. Ich werde dafür sorgen, dass ich nicht mehr von seinen Launen abhängig bin, wenn es um das Wohl meiner Kinder geht! Oder auch um mein eigenes! Es reicht!

      Alltagswahnsinn

      „Guten Morgen, mein Schatz.“ Ich wuschele Benny sanft durch die weichen Locken. „Was macht denn Dein Knie?“ Ich hebe die Bettdecke an, um mir die Schwellung anzusehen. „Tut nicht mehr so weh“, antwortet er und ist erstaunlicherweise schon ziemlich wach für seine Verhältnisse. Ich bin erleichtert, dass sich der Gang zum Arzt heute damit erledigt hat. „Kann ich heute Nachmittag mit Felix auf den Soccer-Court? Wir wollten uns heute verabreden.“ Aha, daher die Motivation. „Ich würde sagen, Du gehst erst mal in die Schule und schaust, wie es Deinem Knie geht und wenn wir heute Nachmittag beide zu Hause sind, essen wir, Du machst die Hausaufgaben und dann entscheiden wir das spontan.“

      Man sieht seinem Gesicht an, dass dies nicht die gewünschte Antwort war. „Ach Mann, kannst Du nicht einfach JA sagen?“, kommt prompt zurück. „Ja, könnte ich!“ Ben sieht mich verwirrt an. Er scheint meinen Worten nicht ganz zu trauen und ahnt, dass noch etwas folgt. „Wäre sogar für mich entspannter, ich müsste nicht kochen und keine Hausaufgaben nachsehen sondern könnte mit Lissy Kaffee trinken gehen.“ Wir haben das Thema schon so oft diskutiert, dass ich keine Lust mehr habe, immer Sätze wie Erst die Arbeit, dann das Vergnügen oder die Geschichte mit dem Ponyhof herunterzuleiern. Er versteht mich auch so und knufft mir zur Beendigung der Diskussion seine kleine Faust in die Seite. Na zumindest huscht ein Lächeln über sein Gesicht. „Ich gehe jetzt mit Tom runter, bis gleich.“

      Tom schlürft genüsslich seinen warmen Kakao, ich meinen Kaffee und ich bin froh, dass wir die Woche ruhig angehen können. Ich habe es noch nicht zu Ende gedacht, da geht schon das Telefon. Meine Güte, wer ruft denn um solch eine Uhrzeit schon an?

      „Sommer“, melde ich mich leicht genervt. „Ja, guten Morgen Frau Sommer“, meldet sich eine freundliche Stimme, „Dreckmann hier. Sie hatten sich doch bei uns für einen Aushilfsjob als Servicekraft beworben, oder?“ Schnell muss ich meine Gedanken sortieren. „Ja, das stimmt, ist schon etwas her und Sie sagten, sie würden sich wieder melden, wenn Sie jemanden benötigen.“ „Genau. Ich weiß, das ist jetzt etwas kurzfristig, aber wir haben heute einen Beerdigungskaffee und bräuchten spontan noch Hilfe. Könnten Sie heute Nachmittag einspringen? Dann könnten wir auch besprechen, ob wir Sie in Zukunft regelmäßig einplanen können.“ Oh Mann, wenn ich jetzt mit zwei Kindern komme, die ich erst noch unterbringen muss, bin ich denen direkt zu kompliziert und unzuverlässig, also ist meine Antwort: „Natürlich, wann soll ich denn da sein?“ „Ja, der Kaffee geht um 14.00 Uhr los, also 13.00 Uhr wäre gut, damit Sie noch beim Eindecken helfen könnten. Geht das?“ „Ja klar. Also dann bis um eins. Ist schwarze Hose und weiße Bluse ok?“ „Ja geht schon, dann sehen wir uns um 13.00 Uhr. Bitte pünktlich!“ „Selbstverständlich“, antworte ich selbstbewusst und lege auf.

      Um Himmels willen, wie bekomme ich so schnell jemanden, der sich um die Kinder kümmert? Ruhe bewahren, bis jetzt hat es immer irgendwie eine Lösung gegeben. Das Problem ist nur, dass ich diese Lösung in den nächsten 10 Minuten haben muss, denn dann müssen wir zum Kindergarten und von der Arbeit aus darf ich nicht privat telefonieren. Da ich bis 12.30 Uhr arbeite, muss ich von dort sofort zum Restaurant. Ach ja, dann muss ich die Klamotten ja auch schon mitnehmen. Oh nein, die Bluse ist noch nicht gebügelt. Jetzt aber schnell, das kriegen wir schon irgendwie hin. Es widerspricht völlig meinen Prinzipien, aber heute muss Tom alleine zu Ende frühstücken, und ich baue schnell das Bügelbrett auf, das Telefon schon in der anderen Hand.

      „Dies ist der persönliche Assistent von Lissy. Sagen Sie ihm, was Sie wollen, vielleicht ruft sie zurück. PIEP!“ Schon wieder diese blöde Mailbox. „Hey Lissy, ich bin´s, Annie. Ich muss heute nach der Arbeit zu dem Restaurant, wo ich mich beworben habe und brauche dringend jemanden, der Tom vom Kindergarten abholt und zu Hause die Kinder versorgt, bis ich wiederkomme. Ich schätze so gegen fünf. Melde Dich bitte ganz dringend!“ Mist, ich muss noch etwas anderes versuchen, wenn Lissy Spätdienst hat, dann schafft sie das gar nicht. Und wer weiß, wann sie sich meldet! Herrje, ich muss los zum Kindergarten, sonst komme ich zu spät zur Arbeit. Dann muss ich halt – verbotenerweise – vom Auto aus weiter telefonieren, bis ich eine Lösung habe.

      „Tom, wir müssen. Komm schnell Schuhe und Jacke anziehen. Hast Du Dein Brot schon in die Tasche gepackt?“ „Nein, wo ist das denn? Und wo sind meine Schuhe? Die blauen.“ „Keine Ahnung, Tom, dann musst Du eben heute die roten anziehen, die passen sowieso viel besser zu Deiner Hose. Komm, wir müssen uns beeilen.“ „Aber ich will die blauen oder die Gummistiefel.“ Aaaaah, ich könnte schreien. Es würde aber nichts helfen. Ich nicke die Gummistiefel ab und hoffe, dass ihn das besänftigt und er schnellstmöglich in meinem Auto sitzt. Währenddessen rattert mein Gehirn im Schnellverfahren. Mutti hat heute einen wichtigen Arzttermin, den würde sie zwar absagen, aber das will ich nicht. Da fällt mir Oma Lotte ein. JA, die würde sofort helfen.

      Schnell schließe ich Tom das Auto auf. „Schnall Dich schon mal an, ich muss nur kurz zu Oma Lotte, etwas fragen. Bin sofort wieder da“, rufe ich ihm zu. Gott sei Dank ist schon Licht bei ihr und sie ist auch ziemlich schnell an der Türe. „Hallo Lotte, ich wollte fragen, ob Du heute Mittag vielleicht Tom vom Kindergarten abholen könntest?“ „Ach Kindchen, das tut mir leid, aber ich fahre um 11.00 Uhr mit dem Zug nach Köln, da muss ich mit dem Notar ein paar wichtige Dinge klären. Das kann ich so schnell jetzt nicht verschieben. Hast Du denn noch jemand anderen, der sich kümmern kann?“ „Na klar“, antworte ich überzeugend. „Ich finde schon jemanden, mach Dir keine Sorgen.“

      Mit diesen Worten eile ich zum Auto. Nicht zu glauben, Tom ist tatsächlich schon angeschnallt in seinem Sitz. Schwungvoll drehe ich den Wagen im Hof und mache mich auf den Weg in den Kindergarten. „Komm schon“, sage ich mir selber, „das wird schon irgendwie klappen.“ Vielleicht habe ich ja Glück und treffe Max´ Mutter am Kindergarten. Dann frage ich sie, ob sie Tom heute Mittag mitnehmen kann. Ganz fest wünschen. Und daran glauben.

      Tatsächlich, da steht Sophies Auto vor dem Kindergarten. Es besteht Hoffnung. Schwungvoll hebe ich Tom aus seinem Kindersitz und wir machen – wie immer, wenn ich es sehr eilig habe – ein Wettrennen, wer zuerst am Kindergartentor ist. „Erster“, ruft Tom quietschvergnügt aus. „Schon wieder. Aber warte ab, ich werde jetzt heimlich trainieren und bald schlage ich Dich!“, antworte ich ihm. Da kommt uns auch schon Sophie entgegen. „Guten Morgen Sophie. Gut, dass ich Dich treffe. Ich bräuchte heute spontan Deine Hilfe. Meinst Du, Tom kann nach dem Kindergarten mit zu Dir kommen? Ich könnte heute zu einer Probearbeit gehen, müsste aber direkt nach der Kanzlei dort hin. So bis 16.00 Uhr vielleicht?“ „Ja klar“, antwortet Sophie, „ist kein Thema. Ich muss Maxi nur um 17.00 Uhr zum Schwimmen bringen. Denkst Du, dass Du dann wieder da bist?“ „Das müsste hinhauen. Ich komme ihn dann auf dem Rückweg vom Restaurant direkt bei Dir abholen. Mensch bin ich froh. Wenn das klappt mit dem Job, dann entspannt sich vielleicht finanziell alles ein bisschen.“ „Dann drück ich Dir die Daumen. Ich muss jetzt auch los. Bis heute Nachmittag.“ „Ja, tschüss Sophie. Bis nachher.“

      Erleichtert lasse ich mich in meinen Sitz plumpsen und starte den Motor. Jetzt muss ich erst mal die CD mit den Musical Ballads einlegen, dann kann ich meinen Adrenalinspiegel so langsam wieder herunterfahren, bis ich auf der Arbeit angekommen bin. Hoffentlich ist heute Morgen nicht so viel Verkehr,