Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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mal machen wolltest und wofür Du nie Zeit hast. Genau diese Dinge musst Du an so einem Tag machen!“ „Ich soll morgen mit Delfinen schwimmen gehen?“, frage ich erstaunt. Lissy gibt mir einen Stupser. „Mensch, Du weißt doch, was ich meine! Mal ein Entspannungsbad machen.“ „Ja, ich weiß schon was Du meinst. Badewanne ist eine gute Idee. Mit einem Buch und Kerzen. Und Lavendelduft. Und dann koche ich mir Bandnudeln mit Lachs in Gorgonzolasauce, was meine Kinder nicht mal riechen können und mache es mir damit auf der Couch bequem und lege einen Rosamunde Pilcher-Film ein.“ „Oh mein Gott, nicht so eine Schnulze. Die enden doch immer gleich.“ Natürlich weiß ich auch, dass Lady Bloomingdale am Ende mit Dr. Feelgood glücklich wird, aber das ist es ja gerade: Happy End garantiert. Manchmal brauche ich das.“ „Ja, ich weiß, Annie die unverbesserliche Romantikerin.“ „Genau.“ Damit will ich das Thema jetzt am liebsten auch beenden.

      Plötzlich bleibt Lissys Blick irgendwo hängen: „Pst, Annie, sieh Dich jetzt nicht um, aber an dem Tisch da drüben sitzt glaube ich die Schnepfe von nebenan.“ Denken Sie nicht an den rosa Elefanten. So sehr ich auch versuche, mich zu beherrschen, ich kann nicht widerstehen. Die Versuchung, mich umzudrehen, ist einfach zu groß. Völlig unauffällig lasse ich meinen Blick umherwandern und – tatsächlich, dort unter der Eiche sitzt Lena und fängt auch gleich meinen Blick auf. Sofort hellt sich ihr Gesicht auf und sie winkt mir freundlich zu. „Ich weiß gar nicht, was Du gegen sie hast, Du kennst sie doch gar nicht richtig.“ „Du denn?“ „Nein, aber deshalb muss man sie ja nicht von vorneherein verurteilen. Ich will sie erst mal näher kennenlernen und mir dann selbst ein Urteil bilden.“ Ich winke zurück und frage mich, wer wohl der Mann ist, der mit ihr am Tisch sitzt. Leider kann ich ihn nur von hinten sehen, aber schon die Aussicht auf den durchtrainierten Rücken und das wuschelige Haar macht mich neugierig. Gefällt mir gut! Irgendwie schleicht sich ein vertrautes Gefühl ein. Aber ich kann es nicht zuordnen.

      In diesem Augenblick dreht er sich um. Mich trifft fast der Schlag. „Lissy das ist der Mann, der mir am Montag die Rose in dem Café geschenkt hat.“ „Oho, ob Lena etwas davon weiß?“ „Ach ist doch egal, dann war wahrscheinlich der riesige Strauß Blumen auch für Lena bestimmt“, denke ich laut weiter. Zu gerne würde ich jetzt Mäuschen an deren Tisch spielen. Eigentlich sitzen sie gar nicht so weit weg, schade, dass meine Ohren nicht die besten sind.

      Als er mich sieht, ist er völlig überrascht, aber schnell weicht sein Blick einem Lächeln – und den Grübchen. Annie, reiß Dich zusammen. Auch er winkt nun zu uns herüber, was Lena etwas verwirrt aussehen lässt. Dieses Hin-und-her-Spiel ist richtig lustig. Dann wendet er sich wieder seiner Begleitung zu und scheint ihr zu erklären, woher er mich kennt, denn Lena nickt mit dem Kopf und sieht noch einmal zu uns herüber. Allerdings sieht ihr Blick nicht mehr so entspannt aus wie eben noch. Vielleicht täusche ich mich aber auch. „Mensch, Du hast Recht, Annie, der sieht ja wirklich lecker aus.“ „Psst, nicht so laut, er muss uns ja nicht hören. Sollen wir nicht lieber woanders hingehen?“ „Nein, das finde ich zu amüsant und außerdem würde das ja so aussehen, als würdest du vor ihm weglaufen. Entspann Dich einfach. Ich will unbedingt sehen, wie es mit den beiden weitergeht.“

      „Bringen Sie uns einen Halven Hahn und noch zwei Kölsch, bitte“, wirft Lissy der Kellnerin im Vorübergehen zu. OK, sie scheint sich hier jetzt gemütlich einrichten zu wollen. Gut, ich bin dabei. Eigentlich finde ich es auch spannend zu sehen, ob die beiden denn nun wirklich ein Paar sind. Wir rücken unsere Stühle ganz unabsichtlich etwas seitlicher, um die Aussicht zu genießen. Bitte lass sie jetzt nicht Händchenhalten. Dann wäre der ganze Abend gelaufen. Ich will wenigstens ein bisschen Hoffnung haben, dass dies ein reines Geschäftsessen ist und er Lena gleich freundlich, aber distanziert zum Auto begleitet. Zu IHREM Auto. Und nicht mit einsteigt. Oh Gott, Annie, jetzt entspann Dich aber wirklich mal. „Was denkst Du, will sie etwas von ihm?“ „Wenn man ihren schmachtenden Blick sieht, bleibt da eigentlich kein Zweifel.“ „Und er?“ „Keine Ahnung. Leider kann man sein Gesicht nicht sehen, da ist das sehr schwer einzuschätzen.“ „Aber wir haben ja Geduld, wir werden auf jeden Fall bleiben, bis sie aufbrechen und dann werden wir sehen.“

      Irgendwie ist gar keine normale Unterhaltung möglich, immer wieder wendet sich unsere Aufmerksamkeit automatisch dem Tisch von Lena und ihrem Unbekannten zu. Jede noch so kleine Geste wird kommentiert und analysiert. Und dann müssen wir wieder laut über uns selbst lachen.

      „Da, jetzt hat er der Bedienung das Zeichen zum Bezahlen gegeben. Es wird spannend!“, sagt Lissy. Nach einer Weile kommt das Mädel mit dem modernen, elektronischen Teil und tippt mit ihrem Stift darauf herum. „Lass uns schnell wetten, wer bezahlt“, sagt Lissy. Und fügt sofort hinzu: „Ich wette, die Schnepfe. Sie lädt ihn ein, damit er anschließend noch mit zu ihr auf einen Kaffee kommt.“ „Nein, ich bin mir sicher, dass er ein Gentleman ist und sich nicht einladen lässt“, kontere ich. Schwupp, schon zieht er dezent eine Karte aus seinem Portemonnaie und legt sie ihr auf das Tablett. HA! Mein Eindruck hat mich also nicht getäuscht: Ganz und gar Gentleman.

      „Pass auf, sie gehen jetzt.“ Mein Blutdruck steigt. Ich versuche, nicht hinzustarren. Aber ich will auch keine einzige kleine verräterische Geste verpassen. Er geht zu ihr, hebt seine Hand und berührt damit leicht ihre Schulter. Oh nein, bitte nicht umarmen. Nein, er führt sie nur in Richtung Ausgang. Bis jetzt. Auf dem Weg nach draußen müssen sie zwangsläufig an unserem Tisch vorbei. Bin gespannt, ob er noch etwas sagt. Lena geht zuerst an unserem Tisch vorbei. „War schön, Dich zu sehen, Annie. Tschüss zusammen.“ Sie ist schon fast an unserem Tisch vorüber, da bleibt er genau vor mir stehen und sagt: „Annie…“, macht eine kurze Pause und ich fühle mich wie ein Standbild im Fernsehen. Endlich spricht er weiter: „Haben Sie sich gut erholt? – von dem Gespenst?“ „Ähm…“, stammele ich. O Gott, wie peinlich. Bei dem Gedanken daran werde ich gleich wieder rot. Ich hab echt ein Talent, mich in solchen Situationen völlig zu blamieren. Warum kann ich nicht wie Carrie Bradshaw selbstbewusst und charmant kontern? Stattdessen komme ich mir vor wie das kleine Schulmädchen, das wieder in irgendein Fettnäpfchen getreten ist.

      Dabei sieht er eigentlich aus, als hätte er es nur nett gemeint. Er lächelt mich über meine Unsicherheit hinweg an und erlöst mich mit einem netten Satz zum Abschied: „Lena sagt, ihr seid Nachbarn, vielleicht sehen wir uns dann ja irgendwann mal. Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend.“ Mit einem bekräftigenden Nicken wendet er sich schließlich zum Gehen. „Euch beiden auch noch einen schönen Abend“, bekomme ich Gott sei Dank wenigstens noch heraus. Aber eigentlich ist es gelogen.

      Neugierig sehe ich beiden hinterher. Ich muss unbedingt die Verabschiedung sehen. Sie bleiben noch eine kurze Weile vor dem Tor des Biergartens stehen. Dann schließlich nimmt er ihre Schultern in seine sportlichen Hände, kommt ihr etwas näher und gibt ihr links und rechts ein angedeutetes Küsschen auf die Wange. Lena tut es ihm gleich und so trennen sich ihre Wege. Mein Herz tanzt Cha-Cha-Cha und macht einen Salto, wie es selbst Klose nicht besser machen könnte. „Da wird aber heute jemand gut schlafen, oder?“, amüsiert sich Lissy. „Yip. So ist es. Das würde ich am liebsten auch jetzt gleich machen. Wir geben Lena nur einen kurzen Vorsprung, ja?“ Wenn ich ehrlich bin, möchte ich ihr jetzt nicht gerne noch über den Weg laufen, sondern diese Stimmung einfach nur in mir festhalten und genau so in einen schönen Traum fallen.

      Manchmal klappt das tatsächlich. Ich stelle mir vor dem Schlafengehen etwas vor und wünsche mir, dass ich davon träume…

      Entscheidung mit Folgen

      Als ich wach werde, blitzen warme Sonnenstrahlen durch die Jalousien und fordern mich regelrecht auf, diesen herrlichen Tag zu beginnen. Ach ist das schön, mal nicht vom Wecker aus dem Schlaf gerissen zu werden, sondern nachdem man richtig ausgeschlafen ist, so langsam zu sich zu kommen und zu spüren, wie die Sonnenstrahlen auf der Nase kitzeln. Ich räkele mich genüsslich in meinem Bett und kuschele mich noch etwas in die Kissen. Schade, das mit dem Traum hat nicht geklappt. Naja, vielleicht das nächste Mal.

      Während ich so entspannt im warmen Bett liege, sehe ich mich in meinem Schlafzimmer um: Paul würde über die schönen, pastellfarbenen Kissen und die weißen Kerzen nur abfällig lästern. Auch den geerbten kleinen Sekretär meiner Oma mit den in weiß