Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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heißt die Kanzlei nochmal, wo Sie sich vorstellen?“, möchte Frau Dr. Holst wissen. „Wolf und Partner“, antworte ich, „scheint eine ganz kleine Kanzlei in Bonn zu sein, die sind nicht mal im Internet.“ „Von denen habe ich auch noch nie gehört. Dann bin ich gespannt, wie es läuft. Viel Glück. Bis morgen früh.“ „Danke! Ich bin auch gespannt.“

      Mit diesen Worten eile ich zurück an meinen Schreibtisch und überschlage mich, um noch alles fertigzumachen – hoffentlich vergesse ich in der Eile nichts Wichtiges. Dann flitze ich schnell in die Gästetoilette, um mein zwischenzeitlich versagendes Deo etwas aufzufrischen und einen dezenten Lippenstift aufzulegen. Schließlich soll der gute Herr Wolf mir direkt ansehen, dass ich nicht nur zwei Kinder und zwei Jobs locker organisieren kann, sondern dabei auch noch Wert auf mein Äußeres lege. Ich bin ja schließlich in der Blüte meines Lebens, oder?!

      Ich fühle mich tatsächlich so, als ob ich heute jeden Job bekommen könnte, und freue mich richtig auf den Termin. Ein kleines bisschen nervös bin ich zwar, aber das gehört ja dazu. Allerdings werde ich noch nervöser, als ich diese Kanzlei einfach nicht finden kann. Ich beschließe, vor dem Café zu parken, das in der angegebenen Straße ist und mich zu Fuß weiter auf die Suche zu machen. Der Hausnummer nach zu urteilen, müsste es gleich gegenüber sein, aber ich finde gar kein Schild. Mal sehen, was auf den Klingeln steht. Tatsächlich, im zweiten Stock steht: Wolf und Partner auf der Klingel. Ist schon seltsam, dass diese Kanzlei es gar nicht nötig zu haben scheint, mit einem richtigen Schild auf sich aufmerksam zu machen. Nun gut, schauen wir einfach mal, wie es drinnen aussieht.

      Schon nach kurzem Klingeln summt der Türöffner und ich betrete den Hausflur. Oje, das sieht genau so einladend aus wie die Haustüre. Je höher ich steige, desto mehr zieht sich mein Magen zusammen. Die Graffitis an den Wänden und der Geruch nach Urin passen überhaupt nicht zu meiner Vorstellung von Geschäftsräumen. Aber keine voreiligen Schlüsse ziehen. Ich versuche, weiterhin mein offenes, freundliches Gesicht zu behalten und gehe Stufe für Stufe das Treppenhaus hinauf. Die Beklemmung nimmt ihren Höhepunkt, als ich im zweiten Stock ankomme und sehe, wer mir die Türe geöffnet hat.

      Soll ich meinem Instinkt folgen und auf dem Absatz kehrt machen? Am liebsten würde ich die Treppe gleich wieder hinunterrennen. Aber hey, was habe ich zu verlieren. Es schadet nicht, Übung in Vorstellungsgesprächen zu bekommen. Mit dieser Einstellung betrete ich die nach Zigarettenqualm und vergammeltem Essen stinkende „Kanzlei“, die eine normale Wohnung mit einem heruntergekommenen Arbeitszimmer ist. Herr Wolf ist genauso einladend wie seine Kanzlei. Ein ungepflegter, untersetzter Mann Mitte Fünfzig. Als er mich hereinbittet, bleibt er so in der Türe stehen, dass ich mich geschickt an ihm vorbeihangeln und dabei seinen verschwitzten Körpergeruch direkt einatmen muss.

      Oh mein Gott, mir ist so übel. Ich beschließe, der Form halber kurze Zeit zu bleiben, um schnellstmöglich herausbekommen, was man als Aushilfskraft in einer Kanzlei verdienen kann. Und dann werde ich mich geschickt mit der Vortäuschung eines weiteren Termins aus dem Staub machen.

      „Nehmen Sie Platz, Fräulein Sommer!“, sagt er selbstgefällig. „Frau!“, verbessere ich ihn. „Oh gerne, wie Sie möchten, Frau Sommer!“ Was ist denn das für ein Unterton? Ich muss mich echt zusammenreißen. Der Stuhl, den er vor seinem Schreibtisch vorbereitet hat, sagt schon alles über unser zukünftiges Verhältnis aus: Ich sitze sehr tief unter ihm und er schaut auf mich herab. Nicht mit mir!“, denke ich und versuche durch meine Sitz- und Körperhaltung genau das auch rüberzubringen.

      Er beschreibt ein wenig den Arbeitsplatz und spult das übliche Procedere eines Vorstellungsgespräches ab. Endlich kommt der Punkt, an dem ich an der Reihe bin und meine Fragen stellen kann. „Wie wären denn meine Arbeitszeiten?“, möchte ich gerne wissen. „Jeden Tag 4 Stunden. Am besten nachmittags, weil vormittags ist Frau Grubner hier.“ „Aber ich dachte, es handelt sich um eine Aushilfsstelle auf 400,-- Euro-Basis“, frage ich leicht verwirrt nach. „Ja, genau!“

      Moment mal, habe ich jetzt ein mathematisches Problem oder bietet mir dieser Rechtsanwalt tatsächlich an, für € 5,00 die Stunde zu arbeiten? Sein Gesicht sagt mir, dass er es wirklich ernst meint. Das schlägt dem Fass den Boden aus. Dass der sich das überhaupt traut, unter diesen Bedingungen. Die Gedanken schießen mir durch den Kopf und ich überlege, wie ich jetzt hier ohne mein Gesicht zu verlieren hinauskomme.

      „Wissen Sie Herr Wolf. So viele Stunden kann ich bei Ihnen gar nicht arbeiten, um auf das Gehalt zu kommen, das ich benötige, um meine Kinder zu versorgen.“ Mit diesen Worten will ich aufstehen und gehen. Doch Herr Wolf lenkt ein. „Einen Moment noch.“ Er lehnt sich zurück in seinem bequemen, gepolsterten Ledersessel. „Es gibt da noch eine andere Möglichkeit.“ Er macht eine kurze Pause und mich neugierig. „Sie könnten den dreifachen Stundenlohn verdienen mit einer anderen Beschäftigung.“ Ich warte ab, ob er fortfährt. Doch er macht wieder eine Pause, als wollte er, dass ich errate, worum es sich handelt. Aber ich habe keinen Schimmer, worauf er hinaus will.

      Bis er anfängt, an seiner Hose zu nesteln und den Knopf zu öffnen. Da erahne ich, was dort hinaus will. Das kann nicht sein, das ist ein schlechter Traum. Nein, ist es nicht, er öffnet genüsslich den Reißverschluss seiner Hose und sieht mir geradewegs ins Gesicht, die Augen schon ganz glasig. Das kann er nicht bringen. Oh mein Gott, er packt tatsächlich sein bestes Stück an und holt es nach draußen. „Wie wär´s, Sie können direkt mit der Probearbeit beginnen!“ Völlig außer mir sitze ich da und schnappe nach Luft. Angeekelt von diesem schlabberigen Gehänge wende ich den Blick ab und kann mich endlich wieder aus der Schockstarre befreien.

      Wie von der Tarantel gestochen springe ich auf und stürme hinaus in den Hausflur. Hoffentlich finde ich in dieser Panik die Haustüre wieder. Plötzlich fährt mir ein neuer Schrecken in die Glieder: Was, wenn er – ohne dass ich es bemerkt habe – die Kanzleitüre abgeschlossen hat. Ich drücke schnell die Klinke herunter und – nichts. Mir bleibt fast das Herz stehen, die Türe lässt sich nicht öffnen. Mein Puls steigt auf 180 und ich versuche mit aller Kraft noch einmal die Türe zu öffnen und - Gott sei Dank, sie hat nur geklemmt. Ich stürze die Treppe herunter, bis ich draußen auf der Straße stehe. Ich weiß gar nicht, wo ich hin soll, mein Adrenalinspiegel ist so hoch, dass ich mich jetzt auf gar keinen Fall ins Auto setzen kann. Aber hier will ich auch nicht bleiben.

      Kurzerhand eile ich in das Café und setze mich in die hinterste Ecke. Was ich jetzt brauche, ist ein ganz starker Kaffee, besser noch einen Schnaps. Ich bin so in Gedanken, dass ich gar nicht mitbekomme, wie ein netter junger Mann am Nebentisch mich amüsiert anlächelt. „Sie sehen aus, als hätten Sie gerade ein Gespenst gesehen!“, sagt er freundlich. „Das wäre mir viel lieber gewesen, das können Sie mir glauben!“, entfährt es mir spontan. Er lacht laut, und kleine Grübchen blitzen in seinen Mundwinkeln auf. Hey, der ist ja richtig attraktiv. Und noch nett dazu. Doch er scheint auf jemanden zu warten, denn auf dem Stuhl neben ihm liegt ein riesiger Strauß gelber Rosen. Als die Bedienung mir meinen Kaffee bringt, sieht er auf seine Uhr und sagt: „Ich möchte gerne zahlen.“

      Bevor er geht, nimmt er eine einzelne Rose aus dem Strauß und übergibt sie mir mit den Worten: „Nicht verzweifeln, wir sind nicht alle so!“, und verschwindet lächelnd aus dem Café.

      Auf der Fahrt nach Hause gehen mir immer wieder die Bilder des Gehänges durch den Kopf. Ich bin so sauer, dass mir erst jetzt die ganzen coolen Sprüche einfallen, die ich ihm gerne an den Kopf geworfen hätte. Ich bin gespannt, was Lissy dazu sagt. Sie hätte bestimmt den richtigen Spruch parat gehabt.

      „Na, hast Du den Job?“ Lissy erwartet mich schon mit einem Latte Macchiato. „Ähm, ich könnte ihn haben, muss aber nochmal drüber schlafen. Wo sind denn die Kinder?“ Lissy sieht mich stirnrunzelnd an. „Mit Brutus auf der Wiese hinten.“ „Oh gut, dann erzähle ich Dir jetzt mal, wie man sein Gehalt deutlich aufbessern kann.“ Wie erwartet kriegt Lissy sich gar nicht mehr ein vor lauter Lachen. „Schade, dass ich nicht da war, dem hätte ich was erzählt. Was meinst Du, soll ich auch mal einen Vorstellungstermin vereinbaren und mir das aus nächster Nähe ansehen?“ Die Vorstellung gefällt mir gut. „Aber dann musst Du eine Kamera zur Hand haben und das Ganze auch festhalten.“ So langsam entspanne ich mich und mein Blutdruck normalisiert sich etwas. Eigentlich müsste man darüber nachdenken, so jemanden