Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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oben?“ „Ja, mir hat er schon Gute Nacht gesagt. Hi Benny, schlaf auch schön, ja?“ „Mmhh“, antwortet er nur knapp. Wir schlendern die Treppe hinauf und ich sehe in seinem Zimmer nach. „Tom?“, rufe ich vorsichtig. Er ist nicht dort. Routinemäßig sehe ich in den anderen Zimmern nach. Nachdem er auch weder in Bennys Zimmer, noch im Badezimmer ist, sehe ich in meinem Schlafzimmer nach. Ich muss schmunzeln: da liegt mein Kleiner in meinem weißen Holzbett, hat die Kuschelsonne, die Benny schon zur Geburt bekommen hat, in seinem Arm und ist tatsächlich eingeschlafen.

      Als Benny mit einem weißen Zahnpasta-Schnurrbart um die Ecke schielt und seinen Bruder in meinem Bett liegen sieht, stürzt er sich sofort mit lautem Geschrei ebenfalls hinein. „Ja, wir schlafen heute alle hier!“, ruft er begeistert. Bevor ich protestieren kann, hat er sich schon an seinen Bruder gekuschelt und sich mit meiner bunten Blumenbettwäsche zugedeckt. Ich bringe es nicht wirklich übers Herz, die beiden zu trennen und wenn ich ehrlich bin, finde ich die Vorstellung von meinen beiden Kleinen heute Nacht in meinem Bett auch ganz verlockend. Also gebe ich ihm einen Gutenacht-Kuss und verabschiede mich kurz von ihm. „Ich räume nur noch schnell fertig auf und dann komme ich auch ins Bett.“ „Bringst Du mir noch Barney und ein paar Gummibärchen?“, fragt er schelmisch. „Hast Du Fieber?“, frage ich zurück und er fängt sofort an zu lachen. Na ja, versuchen kann man´s ja, denke ich. Gott sei Dank ist der Humor bei all diesem Trubel nicht verloren gegangen. So bringe ich ihm noch schnell seinen Drachen, der vom Zerknautschen schon ganz mitgenommen aussieht und schleppe mich die Treppe hinunter in die Küche.

      „Na, sind sie eingeschlafen?“, fragt Lissy lächelnd. „Noch nicht ganz, aber ich denke, das dauert nicht lange“, antworte ich und nehme mir ein Handtuch, um die letzten Gläser abzutrocknen. „Und wie geht es Dir jetzt?“, will Lissy wissen. „Wie waren denn die ersten Tage bei Oma Lotte?“ „Also ganz ehrlich, das war echt ein Glücksgriff und ich glaube, wir sind hier richtig gut angekommen. Lotte ist ´ne Wucht und Lena scheint auch sehr nett zu sein. Und der Hof an sich ist wirklich – wie die Kinder schon sagen – das Paradies.“

      „Das glaube ich. Alleine dieser tolle Innenhof ist ja schon unbezahlbar. Und Du hast ein eigenes kleines Häuschen. Dazu das Stück Garten auf der Rückseite, in dem Du Deine Ruhe hast, wenn Du möchtest. Ich wäre auch sofort hier eingezogen. Und die Jungs, wie geht es denen dabei?“

      „Es geht so. Tom scheint alles ganz gut zu verarbeiten. Obwohl er beim Umzug fragte, ob denn nun Herr Fischer und seine Freundin schon in UNSEREM Haus wohnen. Ich habe dann versucht, ganz unbeschwert zu sagen: „Ja, das tun sie.“ Aber sein Blick, als er sagte: Das finde ich total doof!“, und die Stille, die danach folgte, haben mir dann doch das Herz zerrissen. In dieser Nacht haben beide Jungs in meinem Bett geschlafen und ein paar Tränen vergossen. Und ich hatte solche Magenschmerzen. Aber jetzt scheint Tom angekommen zu sein. Wenn nicht hier, wo sonst?

      Bei Benny sieht das noch etwas anders aus. Er konnte sich ja noch nie so wirklich gut konzentrieren in der Schule und ich habe das Gefühl, dass es ihm gerade jetzt noch schwerer fällt. Ist ja auch kein Wunder, er kann ja gar nichts dafür. Ich muss einfach sehen, dass wieder klare Strukturen in unseren Alltag kommen und mir ganz bewusst Zeit für ihn nehmen. Gott sei Dank habe ich einen guten Draht zu seinen Lehrern, die mich auf dem Laufenden halten, wenn es mal wieder schlimmer wird.

      Ich würde ihm so gerne helfen, aber es braucht einfach noch Zeit und Geduld. Ich gehe mit ihm zur Ergo und sorge dafür, dass er immer genug Zeit für Sport und Bewegung hat und auf der anderen Seite versuche ich immer wieder Situationen zu schaffen, in denen er zur Ruhe kommen kann.“

      „Ich bin sicher, ihr schafft das! Komm her!“ Lissy nimmt mich in den Arm. Ihre blonden Locken kitzeln an meinem Ohr. Obwohl sie im Gegensatz zu mir bis auf ihre üppige Oberweite sehr zierlich ist, strahlt sie eine ungeheure Energie aus. So wie ich früher auch. Das ist irgendwo auf der Strecke geblieben. Die Stimmung ist jetzt doch etwas getrübt, aber ich bin fest entschlossen und auch überzeugt davon, dass wir gemeinsam alles schaffen können. Wir sitzen noch eine Weile mit unserem Bierchen zusammen, bis sich schließlich die Müdigkeit breit macht und wir beschließen, Feierabend zu machen.

      Als wir schon an der Haustüre sind, fällt mir siedend heiß etwas ein: „Ach, sag mal, hättest Du morgen Zeit, Tom vom Kindergarten abzuholen. Ich habe nach der Arbeit ein Vorstellungsgespräch in einer anderen Kanzlei. Die bieten einen € 400,-- Job an, genau das, was ich jetzt noch brauche.“ „Ja, kein Thema, ich hab´ morgen frei. Die Klinik muss Überstunden abbauen, und da wir morgen so gut besetzt sind, hat die Stationsleitung mir spontan angeboten, zu Hause zu bleiben.“ „Super. Warte, ich gebe Dir noch den Ersatzschlüssel, das wollte ich sowieso schon gemacht haben.“ Ich drücke ihr die Schlüssel in die Hand und nehme sie noch einmal ganz fest in den Arm. „Dann gute Nacht, Annie.“ „Gute Nacht, Lissy.“ Ich muss schmunzeln. Erinnert mich an Gute Nacht, John-Boy, gute Nacht, Elizabeth, gute Nacht Grandma. Vielleicht werden wir hier ja auch noch so etwas wie die neuen Waltons. Aber jetzt muss ich wirklich schleunigst ins Bett.

      Erschöpft beschränke ich die Abendtoilette auf ein Minimum. Der Blick in den Spiegel zeigt mir, dass die letzten Monate nicht spurlos an mir vorübergegangen sind. Kein Wunder, dass die früheren Komplimente „Sie sehen gar nicht aus wie Ende 30“ seit einiger Zeit ausbleiben. Die dunklen Haare hängen etwas glanz- und kraftlos auf meinen Schultern und der gesunde, frische Teint lässt ebenso auf sich warten. Früher hat man mich immer für meine strahlenden Augen bewundert. Auch dieser Glanz ist im letzten Jahr irgendwo verloren gegangen. Es wird Zeit, wieder etwas für mich zu tun. Jetzt freue ich mich nur noch darauf, unter die warme Bettdecke zu schlüpfen. Doch erst einmal muss ich den kleinen Tom ein wenig zur Seite schieben, damit ich überhaupt noch mit hineinpasse. Und dann lasse ich mich in die weichen Kissen sinken und in die wohltuende Stille. Ich genieße es, endlich seit langer Zeit einmal zur Ruhe zu kommen. Nur der sanfte Atem der Kinder ist zu hören. Meine Gedanken tanzen noch wild in meinem Kopf herum und ich versuche, sie kommen und gehen zu lassen und einfach nur im Hier und Jetzt anzukommen.

      Lissys Worte kommen mir wieder in den Sinn. Ob ich es schaffe, den Kindern das Leben zu bieten, das ich ihnen wünsche? Und dann sehe ich sie wieder an, wie friedlich und glücklich sie in meinem Bett liegen.

      Glücksmomente schaffen. Das liegt mir so am Herzen. Es muss gar nicht der neueste Kran von Lego sein. Das ist für mich vor allem Zeit mit den beiden verbringen zu können und es macht mich glücklich, dass ich das Gefühl habe, die Kinder empfinden das genauso. Benny ist glücklich, wenn ich mit ihm auf dem Boden liege und lese oder der wir erfinden gemeinsam eine Geschichte. Und wenn Tom mir beim Backen helfen kann, ist er rundum zufrieden. Beide sind begeistert, wenn wir zusammen auf den Fußballplatz gehen und kicken. Es gibt so viele Dinge, die uns Freude bereiten und in diesem Augenblick wünsche ich mir nur, dass ich immer genügend Zeit finde, um auch für die beiden da sein zu können und dass unsere starke Verbindung immer halten wird. Mit diesem Wunsch und der Bitte um einen schönen Traum falle ich in einen tiefen, erholsamen Schlaf.

      Eine grausame Vorstellung

      Herrjeh, was ist denn das für ein Lärm? Mitten in der Nacht? Ich sehe auf den Wecker. Es ist tatsächlich schon 6.00 Uhr und Zeit zum Aufstehen. Mitten über mir liegen Toms Beine. Das macht es mir noch schwerer, mich aus dem schönen, warmen Bett zu quälen, aber mir bleibt keine andere Wahl, der Alltag hat uns wieder.

      Erst mal einen guten Kaffee, dann sieht die Welt gleich viel freundlicher aus. Jetzt kann das neue Leben beginnen. Nach einer heißen Dusche fühle ich mich gleich wie ein neuer Mensch und gehe ins Schlafzimmer, um die beiden Jungs zu wecken. Was sich als ziemlich schwierig erweist. Sie sind genau so müde, wie ich es eben noch war und ihre Motivation für Schule und Kindergarten hält sich ziemlich in Grenzen. „Kann ich heute nicht mal zu Hause bleiben? Oder mit Dir zur Arbeit fahren?“, quengelt Tom. Ben zieht sich einfach nur die Bettdecke über den Kopf und ignoriert mich völlig. „Leider nicht. Und außerdem wäre Maxi total enttäuscht, wenn Du heute nicht in den Kindergarten kommst.“ „Och menno“, bekomme ich nur zur Antwort, aber zumindest rollt er sich schon zum Rand des Bettes, so dass ich ihn herausheben und einmal richtig knuddeln kann.

      „Benny, Du