Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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von ihm sehen könnten.

      Als er später im Bett liegt, sagt er: „Mama, weißt Du, was ich mir wünsche?“ „Nein, sag es mir!“ „Das nächste Mal erfinden wir eine Geschichte mit einem Delfin. Und dann erzählen wir nicht nur, sondern DU schreibst sie dabei auf! Kannst Du das machen? Sonst sind unsere Geschichten so schnell wieder vergessen.“ „Das ist eine richtig gute Idee, weißt Du das? Dann brauchen wir aber etwas mehr Zeit. Wenn Du Lust hast, können wir am nächsten Wochenende, wo ihr zu Hause seid, schon loslegen.“ „Ja“, antwortet er zufrieden und mit einem Lächeln im Gesicht. Lächelnde Kinder sind so ziemlich das Schönste, was es gibt.

      Überraschendes Vergnügen

      Die Woche ist wirklich wie im Flug vorbeigegangen. Jetzt noch eine Stunde arbeiten und dann ist endlich Wochenende. Und wenn Paul die Kinder abgeholt hat und ich wenigstens das größte Chaos ein bisschen gelichtet habe, dann freue ich mich auf einen schönen Kinoabend mit Lissy.

      „Frau Sommer, haben Sie den Eilantrag fürs Gericht fertig?“, holt mich Frau Dr. Holst aus meinen Gedanken. „Ja, liegt in der Unterschriftenmappe.“ Und schon eile ich zu ihr, damit noch alles rechtzeitig weggeschickt werden kann. Es ist ein seltsames Gefühl, jetzt schon zu wissen, was in den kommenden Tagen mit einer Familie passiert, die noch völlig ahnungslos ist, was auf sie zukommt. Aber es ist auch ein gutes Gefühl zu wissen, dass man versuchen kann, zu helfen. Mit diesem Antrag schaffen wir es hoffentlich, dass der kleine Junge endlich wieder zurück zu seiner Mutter kann, der er völlig ungerechtfertigt entrissen wurde.

      Wie schnell es passiert, dass ein falsches Bild entsteht, weil jemand nicht richtig hinsieht, einen falschen Eindruck hat oder einfach bewusst Lügen erzählt, um ein Ziel zu erreichen. Und daraus entstehen solche menschlichen Tragödien, die man sonst nur aus Filmen kennt. Ich hoffe wirklich, dass diese Mutter nicht mehr viele Wochenenden ohne ihr Kind verbringen muss.

      „Alle Anträge sind weg, ich mache dann jetzt Feierabend.“ „Gut, dann wünsche ich Ihnen ein schönes Wochenende. Haben Sie etwas Schönes vor? Ach sagen Sie, hatten Sie nicht diese Woche das Vorstellungsgespräch? Wie ist das eigentlich gelaufen?“ „Also“, ich mache eine Pause, weil ich nicht weiß, ob und wie ich ihr dieses Erlebnis erzählen möchte. Frau Dr. Holst wäre völlig entsetzt und würde darauf bestehen, dass ich diesen Anwalt anzeige. Aber solange ich mir selbst nicht sicher bin, ob ich das tun möchte, erspare ich uns dieses Thema lieber. „Erzähle ich Ihnen vielleicht mal in Ruhe, aber auf jeden Fall ist das kein Mensch, mit dem ich zusammenarbeiten möchte.“ „Schade, na dann schönen Feierabend.“ Ich bin wirklich froh, dass sie nicht weiter nachgefragt hat.

      Als ich rauskomme, merke ich erst, wie schön das Wetter geworden ist. Blauer Himmel, richtig warm ist es. Vielleicht können wir nach dem Kino sogar noch irgendwo draußen sitzen und etwas trinken. Ehe ich mich versehe, sitzen die Kinder schon mit gepackten Taschen in Pauls schickem BMW und sehen mich mit gemischten Gefühlen an. „Ich wünsche euch ein ganz tolles Wochenende. Ihr werdet bestimmt viel Spaß haben“, höre ich mich sagen und wünsche mir, dass sie nicht wieder vor dem Fernseher geparkt werden, sondern wirklich etwas mit ihrem Papa machen können. „Und wenn wir Dich vermissen?“ Oh nein, es zerreißt mir das Herz und ich darf es mir nicht anmerken lassen. „Dann denkt ihr an mich und ich schicke euch einen Gedanken zurück! Aber dazu werdet ihr gar keine Zeit haben. Viel Spaß euch Dreien!“ Ich winke noch, bis der Wagen um die Ecke verschwunden ist. Dann hole ich erst einmal tief Luft.

      So, wie lange habe ich noch, bis Lissy kommt? Ich gehe hinein und fange an, ein bisschen Ordnung zu machen. Zur Motivation drehe ich das Radio voll auf. „Like ice in the sunshine“ lässt mich lauthals singend die Spülmaschine ausräumen und durch die Küche tanzen. Ich muss aufpassen, dass mir vor lauter Schwung nicht die Teller fliegen gehen.

      Mensch, das wäre es jetzt. Bei dem Gedanken an ein Spaghetti-Eis läuft mir das Wasser im Mund zusammen. Kurz nachgedacht – das ist es, ich rufe Lissy an und frage sie, ob sie nicht ein Eis mitbringen kann. Es klingelt einmal, dann springt die Mailbox an: „Dies ist der persönliche Assistent von Lissy. Sagen Sie ihm, was Sie wollen, vielleicht ruft sie zurück. PIEP!“ So ein Mist, dann ist sie wahrscheinlich schon auf dem Weg hierher durch den Wald und mitten im Funkloch.

      Im gleichen Augenblick klingelt es an der Türe. Tja, da war ich wohl ein paar Minuten zu spät. Ich öffne die Türe und was sehe ich? Tatatataa: Spaghetti-Eis. „Ich war schon auf dem Weg hierher, da kam mir ein Gedanke“, erzählt Lissy zur Begrüßung. „Ich könnte uns doch eigentlich ein Spaghetti-Eis mitbringen.“ „Den Gedanken habe ich Dir geschickt“, jubel ich und nehme sie fest in die Arme. „Du glaubst es nicht, aber genau das habe ich mir gewünscht.“ „Na klar glaube ich Dir. Bei Dir klappt das doch oft mit dem Universum, also raus mit den Löffeln und ab auf die Couch. Es fängt schon an zu schmilzen.“ „So mag ich es am liebsten. Leicht geschmolzen und mit viel Sahne.“ Es ist wirklich ein Genuss und so sitzen wir erst einmal wortlos und genießen die Stille und das köstliche Eis auf der Zunge. „Fast so gut wie ein Orgasmus“, wirft Lissy unverhofft ein. Schnell ist sie wieder bei ihrem Lieblingsthema. Zumindest einem ihrer absoluten Lieblingsthemen. „Naja, das kommt drauf an“, antworte ich. „Ja, da hast Du auch wieder Recht. Nach meiner letzten Erfahrung ist dieses Eis allerdings eindeutig besser.“ Ihr Grinsen spricht schon Bände. „Erzähl!“, brauche ich nur zu sagen und schon schießt sie los. Ich bin gespannt wie ein Flitzebogen, denn das ist immer wie ein Krimi, mal mit und mal ohne mörderische Höhepunkte. Andere denken sich solche Geschichte immer nur aus und Lissy erlebt sie einfach.

      „Also, ich wollte einfach ganz unverbindlich für eine Nacht meinen Spaß haben, aber auf jeden Fall mit jemandem, den ich nicht kenne und den ich auch niemals wiedersehen würde. Du musst das mal bei Google eingeben Unverbindlicher Spaß – Du hast keine Ahnung, was da alles so kommt, Holla die Waldfee - oder kommen möchte!“ Ich bin froh, dass die Kinder nicht im Haus sind, sonst müsste ich erst mal schnell nachsehen, ob alle Türen schalldicht verschlossen sind.

      „Ich bin dann auf so eine Plattform geraten, auf der man sich kostenlos anmelden und für ein erotisches Abenteuer verabreden kann. Es dauerte gar nicht lange und mir hat jemand geschrieben, der mich mit seinen Worten so gefesselt hat, dass ich nicht anders konnte. Ich habe mich sofort in mein Auto gesetzt und bin losgefahren. Als ich dort ankam, musste ich feststellen, dass er mich nicht nur mit Worten fesseln wollte. Normalerweise bin ich ja nicht prüde, aber bei einem ersten Treffen war mir das doch etwas zu schnell und außerdem war er mir eigentlich zu klein, so dass ich ihm vorschlug, ich könne IHN ja fesseln und wenn es mir gefällt, würde ich mich in der zweiten Runde von ihm fesseln lassen. Das hat ihn erst mal sprachlos gemacht.“

      Ich stelle mir die Situation gerade vor und mir fällt vor Lachen fast das Eis aus dem Mund. „Wir brauchen wirklich diese kleine Kamera“, schlage ich vor. „Das hättest Du nicht sehen wollen“, erwidert sie. „Also um es kurz zu machen, er hat sich zwar sehr bemüht, aber zu einer zweiten Runde ist es dann nicht mehr gekommen. Als ich wieder im Auto saß, kam mir dann so ein böser Gedanke. Stell Dir mal vor, er wäre nicht so harmlos gewesen und hätte mich tatsächlich mit Gewalt irgendwie gefesselt und ich wäre dort nicht mehr weggekommen. Eine schreckliche Vorstellung!“ Ich kann ihre Angst gut verstehen.

      „Ja, Du hast echt Recht, beim nächsten Mal bist Du wirklich vorsichtiger und sagst mir, wo Du bist. Oder noch besser, Du verabredest Dich an einem öffentlichen Platz und ich setze mich an den Nachbartisch. Dann habe ich alles im Blick und kann Dir im Notfall helfen.“ „Ja, das machen wir. Hast Du denn am Montagnachmittag Zeit?“ „Was so schnell?“, frage ich erschrocken nach. „Nein, war Spaß, aber Dein Gesicht war gut!“ Das ist das Schöne mit meiner Freundin Lissy. Das schlimmste Problem kann man mit ihr besprechen, aber auch den größten Quatsch zusammen machen.

      Kurz darauf rutschen wir elegant in ihren Porsche und verbringen einen unterhaltsamen Abend mit einem netten, leicht verdaulichen Film. Und als wir zwei Stunden später in einem gemütlichen Biergarten in der Innenstadt ankommen, sind die Temperaturen tatsächlich noch so mild, dass wir uns mit einem kühlen Bier nach draußen setzen können. Ich weiß gar nicht, wann wir das letzte Mal zusammen ausgegangen sind, um etwas zu trinken. Ist viel