Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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Kosten und vergießen Tränen vor lauter Lachen. Ich wische mir die Tränen aus den Augen und sauge diese ausgelassene Stimmung regelrecht auf. Das sind diese Tage, an die man immer gerne zurückdenkt, und an denen man Kraft schöpfen kann für das, was vor uns liegt.

      Plötzlich kommt ein Auto auf den Hof gefahren. Ach ja, das hätte ich fast vergessen: Lena, die Dritte in Oma Lottes Hofgemeinschaft, habe ich natürlich auch eingeladen. Aber sie hatte noch einen Geschäftstermin und meinte, sie würde dann später zu uns kommen. Schon als ich sie das erste Mal sah, machte sie den Eindruck einer erfolgreichen Business-Frau. Auch jetzt hat sie sich wieder richtig in Schale geschmissen. Aber OK, sie hat keine Kinder und keine Haustiere und läuft somit nicht Gefahr, ihre weiße Designerhose mit Schokohänden zu beflecken.

      „Hallo allerseits! Ich bin Lena von nebenan, aber die meisten kennen mich ja schon. Wir haben uns ja in den letzten Wochen schon mal hin und wieder gesehen.“ Von allen Seiten erntet sie freundliches Nicken und Winken und ein fröhliches „Hallo“. „Schön, dass Du da bist, Lena. Setz Dich zu uns und trink ein Glas Sekt mit uns. Auf ein schönes und friedliches Zusammenleben!“

      „Peng.“ Genau in diesem Augenblick kommt wie aus dem Nichts der matschige, rote Fußball von Benny angeflogen und knallt hart auf den sportlich schlanken Oberschenkel von Lena. Sie verliert augenblicklich das Gleichgewicht und landet der Länge nach mit dem Gesicht nach unten auf dem Schoß meines Bruders, der im gleichen Augenblick den Kaffeebecher auf ihre Designerhose fallen lässt. Totenstille. Niemand wagt zu atmen. Alle sind einfach nur geschockt, doch dann ist Lissy es, die als erste losprustet und es dauert nicht lange, da stimmen alle in das ausgelassene Gelächter mit ein.

      Alle, außer Lena und Ralf. Unbeholfen versucht Lena, halbwegs elegant von Ralfs Schoß zu klettern. Als sie endlich wieder auf eigenen Beinen steht, kommt Benny zerknirscht angeschlichen. „Tut mir echt leid.“ Er steht wie ein begossener Pudel vor Lena und entschuldigt sich. „Macht ja nichts, kann passieren“, erwidert Lena. Worte und Gesichter sprechen manchmal unterschiedliche Sprachen. Ich kann es ihr nicht verübeln, dass sie nicht gerade begeistert ist. Das Ganze ist mir natürlich auch furchtbar peinlich. Aber als ich Lissys amüsiertes Gesicht sehe, fällt es mir schwer, ernst zu bleiben und so nehme ich schnell Lenas Arm und nehme sie mit, um ihr ein Glas Sekt einzuschenken. „Tut mir wirklich leid, Lena. Ich bezahle Dir natürlich die Reinigung.“ „Ach was, lass gut sein. Er hat es ja nicht mit Absicht getan. Und jetzt lass uns anstoßen. Auf Eure Zukunft!“ „Auf unsere gemeinsame Zukunft hier auf dem Hof“, verbessere ich sie.

      Nachdem Lena ihr Glas geleert hat, will sie sich gleich verabschieden: „Ich glaube, ich muss mich mal umziehen gehen. Ich fühle mich etwas feucht.“ „Aber Du kommst doch wieder, oder?“ „Ach, es war ein langer Tag, ich glaube, ich muss heute mal früh schlafen gehen.“ „Ne ne, das kommt gar nicht in Frage. Zieh Dir etwas Bequemes an und dann kommst Du noch mal kurz rüber, ja? Wäre doch blöd, wenn unser erster Abend hier so endet. Komm schon.“ „Ach weißt Du, es wäre mir lieber, wir machen das in den nächsten Tagen einmal alleine hier. Genieß Du Deine Familie und wir holen das nach, ja?“ Vielleicht hat sie ja Recht. „Na gut, dann sehen wir uns aber auf jeden Fall diese Woche noch!“ „Tschüss zusammen, viel Spaß noch“, verabschiedet sie sich winkend und verschwindet in ihrem Reich.

      „Hast Du gehört, Ralf? Die süße Lena ist auf Deinem Schoß ganz feucht geworden. Und wie sieht´s bei Dir aus?“, flüstert Lissy süffisant. „Oh mein Gott, Lissy, musst Du denn immer nur an das eine Thema denken?“ Ich kann es echt nicht fassen. „Was ist denn an dieser Lena süß?“, will Ralf wissen. „Mir ist die ein bisschen zu etepetete.“ „Kinder lasst mal gut sein“, mischt sich nun Oma Lotte ein. „Ja, Lena ist ziemlich speziell, aber ihr solltet sie erst mal richtig kennenlernen. Vielleicht würdet ihr euch noch wundern!“ Sie zwinkert geheimnisvoll und lächelt dabei. Jetzt hat sie mich neugierig gemacht. Ich bin wirklich sehr gespannt, wie sich unser Leben hier entwickeln wird.

      Am Ende des Tages sind alle gut gelaunt, zufrieden und gesättigt von dem köstlichen Buffet sowie den meist alkoholischen Getränken. So langsam löst sich die Party auf, doch ich bin gar nicht so traurig darüber, denn mir wird kalt und ich beginne, für etwas Ordnung zu sorgen. Lissy ist wie immer tatkräftig dabei und beginnt, die Gläser in die Küche zu tragen und zu spülen. „Lissy, lass mal stehen, ich muss erst sehen, dass ich die Kinder ins Bett bringe, es ist wirklich schon ganz schön spät geworden.“ „Ja, mach Du mal, ich lege hier schon los.“

      Oh Mann, meine Füße fühlen sich an, als würde ich Bleipantoffeln tragen. Ohne lange zu überlegen streife ich die Sandalen ab und laufe barfuß über den mittlerweile feuchten Rasen zum Apfelbaum, auf dem Tom sich gemütlich eingerichtet hat. „Mama, komm mal hoch, das musst Du sehen.“ Oh nein, das schaffe ich heute nicht mehr. „Tom, können wir das nicht morgen machen, Du musst dringend ins Bett und ich ehrlich gesagt auch.“ „Bitteeee!“, beharrt er und sieht mich mit seinen großen blauen Augen an. Woher hat er die eigentlich? Gegen diese Waffe komme ich eigentlich nie an.

      Aber wenn ich ehrlich bin, hatte ich heute auch ziemlich wenig Zeit für meine beiden Jungs und so nehme ich mir den Augenblick und versuche ungeschickt, den Apfelbaum hinaufzuklettern. „Komm, ich helfe Dir.“ Tom streckt mir sein zierliches Ärmchen entgegen und mir wird ganz warm ums Herz, wenn ich ihn so glücklich dort oben auf seinem Baum sehe.

      „Das ist wirklich ein toller Baum.“ „Ja“, bestätigt er sofort, „und Oma Lotte hat uns erlaubt, dass wir hier ein Baumhaus bauen dürfen“, erzählt er ganz aufgeregt. Er ist mit seiner Gabelung wirklich richtig gut geeignet. Tom zeigt mir eine Stelle, an der wir uns setzen und festhalten können. „Sieh mal, dort drüben kann man Omas Kamin sehen. Und in mein Kinderzimmer kann ich auch sehen. Guck mal meine Flugzeuglampe. Aber das Schönste ist da drüben.“ Er ist gar nicht mehr zu stoppen in seiner Aufregung. „Da hinten kann man über die Hofmauer sehen und den Waldrand, da habe ich eben zwei Rehe gesehen. Ist das nicht cool?“

      Ich kann nicht anders, ich nehme Tom in den Arm, gebe ihm einen dicken Kuss auf die Wange und wir lehnen uns an den dicken Baumstamm. Und halten inne. Er hat vollkommen Recht. Manchmal haben Kinder den besseren Blick auf die schönen Dinge des Lebens. Wir genießen einige Momente der Stille und den Ausblick von seinem Baumhaus. „Benny hat gesagt, dass Onkel Ralf uns vielleicht hilft.“

      Ach Du Schreck, wo ist Benny eigentlich. Den habe ich ja schon seit Stunden nicht mehr gesehen. Selbst bei den Knabbereien auf dem Tisch war er nicht, was ganz untypisch für ihn ist. Jetzt muss ich aber doch mal sehen, wo er sich rumtreibt. „Auf geht’s, es ist Zeit fürs Bett“, beende ich nun unseren abendlichen Ausflug. Tom ist natürlich viel schneller unten als ich. „Lauf schon mal und putz Dir die Zähne“, rufe ich ihm noch hinterher und hangele mich mühselig wieder hinunter. Also entweder muss ich möglichst schnell wieder mit Sport anfangen, oder das Baumhaus muss einen Aufzug bekommen, geht es mir durch den Kopf. Die Jungs sind wahrscheinlich froh, dass das Baumhaus wohl „erwachsenenfreie Zone“ wird.

      Nun muss ich mich aber doch mal auf die Suche nach meinem Großen machen. Höre ich da nicht Brutus kläffen? Wenn irgendwo Lärm und Aufregung ist, kann Benny eigentlich auch nicht weit sein. „Brutus, fass den bösen Einbrecher!“, heizt Benny den kräftigen, dunkelbraunen Mops an. Ich muss lachen. Möpse sind nicht so unbedingt die Hunderasse, die ich mir aussuchen würde. Das grimmige Gesicht würde mich eigentlich als Einbrecher schon abschrecken, aber Brutus ist so was von gemütlich und entspannt, dass er Benny mit einem Gesicht ansieht, das sagt: „Was möchtest Du denn jetzt von mir? Ich soll mich bewegen? Mach das mal lieber selber und bring mir ein Kissen. Und am besten noch ein Leckerchen dazu.“ „Hey Benny, Du musst das Hundetraining auf morgen verschieben, jetzt ist es Zeit fürs Bett.“ „Ach komm schon Mama, nur noch eine halbe Stunde.“ „Sorry, aber es ist sowieso schon zu spät und morgen ist Schule.“ „Schule. Da hab ich eh keine Lust zu!“

      Da diese Diskussion immer ähnlich abläuft, ersticke ich sie gleich im Keim, nehme meinen Großen in den Arm und verspreche ihm: „Morgen können wir zusammen mit Brutus spazieren gehen und dann kannst Du mir zeigen, was er schon drauf hat.“ Widerwillig verabschiedet er sich von Brutus, indem er ihn blitzschnell auf den Rücken dreht und noch einmal kräftig durchkitzelt. Auf dem Weg zurück merke ich, wie schwer es Benny fällt,