Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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an. „Ich sag den Kindern noch Tschüss und schicke sie dann rein, ja? Und wenn sie mal am Wochenende beim Blödmann sind, dann machen wir zwei uns einen richtigen Mädelsabend, was meinst Du?“ „Ja, das hört sich gut an. Das machen wir auf jeden Fall.“

      Ich beschließe, in unserem kleinen Garten auf der Rückseite des Hauses zu essen. Schön, dass wir hier so ganz ungestört sein können, wenn wir es möchten. Und ich glaube, das brauchen wir heute ganz dringend. Montags ist so ziemlich der einzige Tag in der Woche, wo wir keine Termine wie Fußballtraining, Ergotherapie oder ähnliches haben, so dass ich nach den turbulenten Wochen froh um jede Gelegenheit bin, den Stresspegel herunterfahren zu können.

      Als die Jungs hereinstürmen, schreien sie sofort nach Essen. „Was sollen wir denn heute Abend essen?“, frage ich die Jungs. „Ravioli!“, „Pizza!“, „Reibekuchen!“, kommt es wild durcheinander bei mir an. „Eins davon ist OK, dann müsst ihr euch aber einig werden und es gibt wenigstens noch etwas Gesundes dazu.“ Wir einigen uns schließlich auf Pizza und Rohkost. „Wenn ihr mir helft, können wir im Garten picknicken“, schlage ich vor. „Megageil!“, ruft Tommy und rennt sofort in die Küche. Oh mein Gott, er ist fünf. Woher hat er diesen Wortschatz bloß?

      Ben kommt zu mir und drückt sich an mich. „Danke Mama“, sagt er leise. „Wofür denn Benny?“, frage ich. „Für das Picknick und überhaupt, für alles.“ Ich merke, dass mir Tränen in die Augen schießen und versuche mich zu beherrschen. „Ach Benny! Das mache ich doch gerne und du weißt, ihr beide seid das Wichtigste in meinem Leben. Ich möchte einfach nur, dass es Euch gut geht. Hast Du Lust, später noch etwas mit mir alleine zu machen, wenn ich Tom ins Bett gebracht habe?“ „Mmmh“, höre ich nur. Sein Gesicht ist immer noch fest an meinen Körper gedrückt. Ich schließe die Augen, nehme ihn fest in meine Arme und genieße den Moment.

      Als er seine Umarmung langsam löst, sehe ich ihm in die blauen, etwas traurigen Augen und sage: „Überleg Dir schon mal, wozu Du Lust hättest, ja? Schiebst Du jetzt die Pizza in den Ofen?“ Sein Gesicht hellt sich etwas auf. „OK“, sagt er und so machen wir uns auf den Weg zu Tom. Der versucht ganz angestrengt, auf einem Stuhl an der Arbeitsplatte stehend, mit dem Sparschäler ordentliche Streifen der Gurkenschale zu entfernen. Als die Pizza im Ofen ist, breitet Ben eine große Decke auf der Wiese aus. Wie schön es ist, hier im Garten die letzten Sonnenstrahlen des Tages noch einfangen zu können. Ich freue mich selbst wie ein kleines Kind auf dieses Picknick. Tief in mir drin ist immer noch ein Stück Kind und ich wünsche mir, dass das auch so bleibt und mir dieses Geschenk der Unbeschwertheit nie verloren geht. So selten diese Momente auch sein mögen. Schnell ertönt das Piepen des Backofens und wir tragen das Essen hinaus auf die Decke.

      „So, wie war denn Euer Tag?“, frage ich die Jungs. Tom sprudelt als erster wie aus der Pistole geschossen los. „Der Julius war total gemein, der hat mir meinen Lego-Turm kaputtgetreten. Und dann hat er auch noch gelogen und gesagt, er war es gar nicht. Dabei hab ich es genau gesehen.“ „Und was hast Du dann gemacht?“, will ich wissen. „Bestimmt geheult“, sagt Ben, noch bevor Tom antworten kann. Ich stupse Ben an. „Gar nicht, ich bin doch keine Heulsuse. Aber die Frau Straubitz hat das gesehen und hat gesagt, er muss mir helfen, den Turm wieder aufzubauen.“ „Das finde ich gut.“ „Nö, überhaupt nicht, ich bau doch nicht mit dem Julius zusammen einen Turm.“

      Er erzählt aufgeregt weiter, während Ben sich einen Ball besorgt hat und „hochhalten“ übt – natürlich neben der Picknickdecke. Wie nicht anders zu erwarten gibt es plötzlich ein Geschepper und die Becher mit der Apfelschorle fliegen durch die Gegend. „Benny, kannst Du nicht mal 5 Minuten den Ball liegen lassen?“, rufe ich sauer. Auch wenn ich weiß, dass er es nicht mit Absicht gemacht hat, ist meine Geduld manchmal echt überstrapaziert. Ich konfisziere den Ball und lasse mich mit einem Stück Möhre in der Hand auf die Decke fallen. Sofort legen die beiden sich neben mich und wir sehen in die dicken Cumuluswolken am blauen Himmel.

      „Was siehst Du?“, frage ich Ben. Es dauert einen Augenblick, bevor er antwortet. „Einen fliegenden Drachen.“ Tom drückt sich enger an seinen Bruder. „Ja, ich sehe ihn auch. Der hat ein ganz großes Maul, siehst Du? Sieht ein bisschen gruselig aus.“ Ben muss schmunzeln und nimmt seinen Bruder in den Arm. „Nein, der ist nicht gefährlich. Der verjagt nur alles Böse und passt auf uns auf.“ „Echt?“, fragt Tom erstaunt. „Na klar.“ Zufrieden entspannt sich Tom in seinem Arm. „Ich sehe ein Kaninchen mit einem großen Kochlöffel in der Hand.“ „Ja“, rufen beide direkt aus. „Ich glaube, der hat Spaghetti gekocht, guck mal, da hängt noch eine Nudel dran“, setzt Tom noch einen drauf. So verbringen wir eine ganze Zeit lang lachend und entspannt auf der Wiese und genießen den Luxus, einfach die Zeit und die Wolken vorüberziehen zu lassen.

      Irgendwann fällt mein Blick auf die Uhr und ich läute für Tom den Feierabend ein. Während Ben schon mehr oder wenig freiwillig die Spülmaschine einräumt, bringe ich Tom ins Bett. Es dauert gar nicht lange, und wir haben alles Nötige erledigt. „Was meinst Du, sollen wir uns etwas Gemütliches anziehen und uns einen Tee kochen?“ „Ja und Schokokekse dazu.“ Hmm, meine Figur sollte eindeutig „nein“ zu dieser Idee sagen, doch leider bin ich genau so ein Schleckermaul und kann die Finger ganz schlecht von nahezu jeder Art von Süßigkeiten lassen. Aber was soll´s, heute haben wir uns das echt verdient. Da es langsam etwas frisch wird draußen, hole ich die Decke hinein in die gute Stube und breite sie im Wohnzimmer auf dem Boden wieder aus. Dazu noch die großen Kissen von der Couch und schon ist die Kuschelecke fertig. Ben ist eigentlich den ganzen Tag lang immer in Bewegung und zappelig und hyperaktiv, aber wenn wir zusammen auf dem Boden liegen und lesen oder spielen, hat man das Gefühl, dass er endlich mal zur Ruhe kommen kann.

      Es dauert gar nicht lange, und er kommt die Treppe hinuntergerannt und wirft sich schwungvoll auf die gemütlichen Kissen. Ich kann nicht anders, ich muss ihn direkt in meine Arme nehmen und feste an mich drücken. „Du hast eben gar nicht viel erzählt, wie war denn Dein Tag heute in der Schule?“ „Geht so.“ Es dauert immer ein wenig, bis er auftaut, aber mit etwas Geduld kommt er irgendwann dann doch aus sich heraus. „Wir hatten heute in der Pause den Soccer-Court.“ „Und, wer hat gewonnen?“, hake ich nach. „Kurz vor Ende der Pause stand es noch zwei zu zwei, und dann habe ich den Ball bekommen und Christian ausgedribbelt. Und dann treffe ich nur den Pfosten. Boah, die haben so gemeckert, weil ich den nicht reingemacht habe. Jetzt bin ich wieder der Loser.“ „Ach Mensch, das tut mir echt leid. Aber das kann doch jedem passieren.“ „Sag das mal dem Leo, dem Penner. Beim nächsten Mal wählt er mich bestimmt gar nicht mehr.“

      Es tut mir in der Seele weh. So sehr er auch seinen Fußball liebt, er ist halt nicht der Beste auf dem Platz und seinen Kumpels kann er ja schlecht sagen: „Dabei sein ist alles!“ Wobei die meisten Jungs eigentlich richtig prima sind, egal ob in seiner Klasse oder seiner Fußballmannschaft. Aber es genügt ja einer, der einen blöden Kommentar machen muss. Und den gibt es natürlich überall. Wie sehr würde ich ihm mal ein Erfolgserlebnis wünschen. „Was haben denn die anderen Jungs dazu gesagt?“, hake ich nach. „David hat Leo gesagt, er soll die Klappe halten und dann sind wir weggegangen.“ „Finde ich gut. Es ist schön, wenn man Freunde hat, die zu einem halten. Und außerdem hat jeder irgendetwas, das er gut kann. Bei dem einen ist es das Fußballspiel, bei dem anderen etwas Anderes. Du zum Beispiel kannst wunderbare Geschichten erfinden. Hast Du Lust?“ „Au ja, dann aber wir beide zusammen!“

      Das ist eins der Dinge, die uns beide besonders verbindet. Wir lieben es, wenn jemand mit einem Satz eine Geschichte beginnt und immer abwechselnd weitererzählt wird. Daraus entstehen oft die witzigsten Sachen. „Das Eichhörnchen war immer noch ganz traurig, weil seine Geschwister ihn wegen seines langen Schwanzes, über den es immer stolperte, aufgezogen hatten“, beginnt Ben unsere Geschichte. „Es wollte lieber allein sein und lief in den herbstlichen, bunten Wald hinein. Dort kletterte es hinauf in einen Baum, um sich eine der letzten Eicheln zu schnappen und genüsslich daran zu knabbern“, erzähle ich weiter. „Plötzlich hörte das Eichhörnchen ein wimmerndes Geräusch. Es lauschte eine ganze Weile, um herauszufinden, woher dieses Wimmern kam.“ „Und dann sah er es: Ein kleines Mäuschen lag ganz dicht am Baumstamm und zitterte vor Kälte.“

      So entsteht nach und nach eine wunderbare Geschichte und ich bin sehr erleichtert, als ich am Ende in Bens Augen