Pia Wunder

Pulsbeschleuniger


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ich könnte mir vorstellen, dass das Benny gut gefallen würde, wenn seine Geschichte irgendwo festgehalten und veröffentlicht würde. Das muss ich ihm wirklich zeigen. Auf der anderen Seite: Die Chance, bei solch einem Wettbewerb Erfolg zu haben, ist doch sehr gering, und vielleicht würde er das wieder als eine Niederlage empfinden. Ich werde das mit dem Wettbewerb im Hinterkopf behalten und mich mit Benny überhaupt erst einmal an seine Geschichte setzen und dann sehen wir weiter.

      Ich versuche, den Gedanken wieder beiseite zu schieben. Aber einmal in meinem Kopf festgesetzt ist er wie der rosa Elefant. Gut, dass der Akku des Laptops gerade anfängt zu blinken, das ist das Zeichen, dass ich die Geschichte jetzt vorerst weglegen sollte. Ich kann ja trotzdem locker in meinem Gedächtnis kramen, ob ich nicht jemanden kenne, der die Möglichkeit hätte, das mit uns aufzunehmen. Und wenn es nur für uns ist. Da es mittlerweile schon spät geworden ist, beschließe ich, auch gleich ins Bett zu gehen. Wenn das stimmt, was ich über Mark Twain gehört habe, möchte ich das jetzt auch mal versuchen. Man sagt, dass er – wenn er mal in einer Geschichte nicht wusste, wie es weitergehen sollte oder sonst irgendeine Lösung für etwas suchte – mit dem Wunsch für eine gute Eingebung ins Bett gegangen ist. Natürlich voller Zuversicht, dass das funktionieren würde. Das nehme ich mir jetzt auch vor.

      Ganz gemütlich lasse ich auch den Sonntag vorbeiplätschern und freue mich im Laufe des Nachmittags, dass die Kinder bald nach Hause kommen. Ich bereite das Essen vor, damit wir unseren gewohnten Wochenend-Abschluss mit einem schönen Abendessen genießen können.

      Punkt 18.00 Uhr biegt Pauls Auto um die Ecke. Na wenigstens wenn er sie wieder wegbringt, ist er pünktlich. Die Kinder kommen aus dem Auto geschossen und springen mir in die Arme. „Hey, nicht so stürmisch, ihr haut mich ja glatt von den Socken.“ „Hallo Mama! Was machen wir jetzt noch?“ Also es sieht nicht so aus, als könnte ich sie jetzt an den Tisch zum Essen setzen. Die beiden müssen noch richtig Energie loswerden. „Sagt Papa Tschüss und wenn ihr möchtet, können wir dann noch eine Runde aufs Trampolin.“ „Jaaa. Trampolin“, kommt sofort die Antwort. Schnell verabschieden sie Paul und rennen schon mal vor.

      „Möchtest Du noch einen Kaffee?“, frage ich, um die „Übergabe“ etwas zu entspannen. „Nein“, antwortet er angespannt wie immer und steigt sofort wieder in sein Auto. „Wann möchtest Du die Kinder wieder holen? Übernächstes Wochenende?“, frage ich immer noch höflich nach. „Weiß ich noch nicht“, antwortet er nur und braust davon. Ich würde mir wirklich wünschen, dass wir einfach nett und ungezwungen miteinander umgehen können, doch leider blockt Paul jeden Versuch der freundlichen Kommunikation gleich ab. Und flüchtet.

      Hinten im Hof höre ich die Kinder lauthals lachen und Brutus aufgeregt dazu bellen. Meine Laune bessert sich sofort. „Mama komm mit aufs Trampolin“, ruft Benny schon von Weitem. „Ja, komm hoch“, ruft nun auch Tom. „Seid ihr sicher? Wenn ich mal anfange zu hüpfen, fliegt ihr ja über das Netz hinaus“, provoziere ich etwas. „Wenn Papa mit drauf wäre, würde die Bespannung reißen!“, setzt Benny noch einen drauf und lacht sich kaputt. Oh Kinder können so nett sein.

      „Komm wir federn Tom“, sagt Benny. Der schaut gleich etwas ängstlich drein. „Aber nicht über das Netz“, sichert er sich ab. „Nein“, beruhige ich ihn, „wir sind ganz vorsichtig. Wenn es Dir zu doll wird, rufst Du: Ausdiemaus.“ Das findet er lustig. Wir legen den kleinen Kerl in die Mitte des Trampolins, stellen uns rechts und links an seine Seite und auf Bennys Kommando fangen wir an, gleichmäßig zu hüpfen. Zumindest versuchen wir es, was bei unserem Gewichtsunterschied nicht wirklich gut funktioniert. Also rollt der kleine Tom schnell in meine Richtung und ich muss aufpassen, dass ich nicht auf ihn springe. „Ausdiemaus“, kommt postwendend aus seinem Mund. Ich glaube, er hat es ein wenig mit der Angst zu tun bekommen. „Komm wir versuchen es nochmal, aber zuerst etwas langsamer.“

      „Können wir nicht Brutus in die Mitte setzen und ihn federn?“ Bei dem Gedanken daran muss ich laut lachen. „Oh nein, das geht auf gar keinen Fall. Er kann doch gar nicht Ausdiemaus rufen, wenn ihm das nicht gefällt.“ „Aber er könnte ja bellen“, mischt sich Benny ein: „Aber er bellt ja auch, wenn er Spass hat, wie sollen wir dann wissen ob ihm das gefällt oder nicht?“ Das muss Tom einsehen. „Aber ich lege mich gerne in die Mitte und dann federst Du mich mit Mama.“ „Nein, ich will in der Mitte bleiben.“

      Also wagen wir einen neuen Versuch. Noch bevor wir loshüpfen, ruft Tom: „Ausdiemaus“ und direkt danach: „Spaß, ich hab nur Spaß gemacht. Fangt endlich an.“ Es dauert ein wenig, bis wir es raushaben, wie Tom gleichmäßig hoch federt, aber am Ende schaffen wir es sogar, dass Benny und ich ihn zusammen auffangen, als er bis hoch auf Bennys Kopfhöhe federt. Ich glaube, das war nun genug Aufregung für den Abend und ich merke, wie mir so langsam die Luft ausgeht. Und so bin ich es, die diesmal Ausdiemaus ruft. „Ach nööö, wir wollen noch nicht rein“, meckert Benny. „Ich schon“, meint Tom. Ich glaube, ihm ist jetzt doch etwas schwindelig geworden. „OK, ich gehe schon mit Tom rein, dann kann er duschen und Du kommst bitte in einer Viertelstunde nach.“

      Wir sind oben im Bad und ich habe Tom gerade fertig in einen frischen Schlafanzug gepackt, da höre ich von draußen einen Schrei. Einen wohlbekannten Schrei. Sofort renne ich die Treppe hinunter und zum Trampolin. Benny liegt weinend in der Mitte und hält sich das Knie fest. „Ich hab fast den Rückwärtssalto geschafft und dann bin ich schief aufgekommen.“ Das Knie ist ganz geschwollen. „Komm, ich trag Dich rein und dann sehen wir mal, ob wir das so hingekommen oder ob wir noch zum Arzt müssen.“

      Nach einem Eispack, Arnica Globuli und einem kuscheligen Platz auf der Couch mit einer Decke und einer Tasse Tee sieht die Welt Gott sei Dank schon wieder besser aus. „Du versuchst jetzt einzuschlafen, und wenn die Schmerzen zu stark sind, mache ich nochmal Salbe drauf oder gebe Dir etwas für die Schmerzen. Und morgen früh sehen wir, wie es aussieht.“ Ich hoffe, das Krankenhaus bleibt uns dieses Mal erspart. Es ist kaum zu glauben, die Kinder sind gerade zwei Stunden zu Hause und das Leben ist mit Karacho zurück.

      Als Benny schließlich auch im Bett ist, packe ich die letzten Reste aus der Tasche. Die Krankenversicherungskarte sollte ich besser gleich in die Küche legen, falls wir sie morgen früh doch noch brauchen. Ich öffne den Reißverschluss an der Seite der Tasche – nichts. Seltsam. Ich hatte mit Paul vor langer Zeit vereinbart, dass wir diese immer griffbereit in der Seitentasche platzieren, damit wir im Notfall sofort wissen, wo sie zu finden sind. Ob er sie gebraucht hat und vergessen hat, sie zurückzulegen? Aber dann hätte er doch bestimmt eben etwas gesagt.

      Es hilft nichts, ich muss das unbedingt noch heute Abend klären. Da er ja mir gegenüber nicht sehr gesprächig ist, schreibe ich ihm eine SMS: „Wo sind denn die Versichertenkarten? Kann sie nicht finden.“ Es dauert gar nicht lange und seine Antwort kommt: „Bei mir!“ Mist, hat er es doch vergessen? „Benny hat sich wehgetan. Kann sein, dass ich sie morgen brauche.“ Seit Paul aus Bonn weggezogen ist, gestaltet es sich etwas umständlich, wenn mal etwas vergessen wurde. „Dann musst Du zu mir kommen!“, lautet seine Antwort. So ein Blödmann, nur weil er es vergessen hat, muss ich im Zweifelsfall die lange Fahrt machen. Ich antworte nicht so ärgerlich, wie ich gerade bin, weil ich wie immer Stress vermeiden will, den am Ende die Kinder ausbaden müssen: „Falls ich sie brauche, melde ich mich. Bitte pack sie das nächste Mal wieder in die Tasche. Danke.“

      Ich hatte die Angelegenheit bereits abgehakt, als Minuten später noch eine Antwort von Paul folgt: „NEIN!“ Was ist denn das jetzt? Wie „nein“? Ich weiß gar nicht, was er meint. Also lese ich noch einmal meine letzte Nachricht. Ich habe doch nur gebeten, die Karten beim nächsten Mal wieder einzupacken. Da ich ihn tatsächlich nicht verstehe, schicke ich ihm eine Nachricht mit zwei Fragezeichen. Dann kommt die Antwort von Paul: „Du musst mich in Zukunft erst um Erlaubnis fragen, wenn Du mit den Kindern zum Arzt gehen willst.“ Hä? Das kann er doch nicht ernst meinen. Ich wollte auch diesbezüglich keinen Stress, daher hatte ich von Anfang an einem gemeinsamen Sorgerecht mit allen Konsequenzen zugestimmt. Obwohl Paul die Arzttermine mit den Kindern bisher überhaupt nicht interessierten. Genauso wenig wie die Schultermine. Das sieht doch aus wie reine Schikane. Um genau das zu bestätigen, setzt er noch eins drauf mit der nächsten SMS: „Ich will, dass Du von mir eine schriftliche Einwilligung holst, bevor Du mit einem Kind zum Arzt gehst.“ „Wie soll das denn