K.P. Hand

Herzbrecher


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den Zettel selbst geschrieben haben«, sagte Jan einige Zeit später in der Cafeteria des Präsidiums zu Norman.

      Sie setzten sich mit zwei Kaffee und zwei Donuts an einen Tisch, außer ihnen war niemand im Raum.

      »Ich glaube, er sagt die Wahrheit«, warf Norman ein. »Außerdem müssen wir ihn ohnehin bald gehen lassen. Wir haben keinerlei Beweise um ihn als Verdächtigen festzunehmen. Außerdem ist er fünfzehn! Ich glaube, wenn ich mich recht entsinne, hätten wir ihn ohne Beisein eines Erziehungsberechtigten oder Vormundes gar nicht verhören dürfen.«

      »Das gilt nur für unter Vierzehnjährige.«

      »Bist du dir da auch wirklich sicher?«

      Jan überlegte angestrengt. Sagte aber nur genervt dazu: »Ach, keine Ahnung, ich habe noch nie ein Kind verhört!«

      »Jetzt schon.«

      »Er gab uns die Erlaubnis, wir zwangen ihn ja nicht«, verteidigte sich Jan. »Außerdem wollte er einen Sandwichladen überfallen, wir hatten das Recht, ihn mit hierher zu nehmen. Wie dämlich kann man eigentlich sein, ist das zu glaube? Diese Jungend ...«

      »Er war verzweifelt, er wollte seinen Bruder retten.«

      »Sofern seine Geschichte stimmt.«

      Norman glaubte, dass sie wahr war. »Jan, jetzt denk mal nach.«

      Jan sah Norman arrogant an. »Nur, weil dein Bauchgefühl dir sagt, das der Junge unschuldig ist, bedeutet das nicht, dass es auch der Wahrheit entspricht.«

      »Da ist etwas Wahres dran«, räumte Norman ein, weil er für einen Streit einfach weder die Geduld noch die Zeit hatte. »Aber mal angenommen, du hast Recht und er ermordete seinen Bruder. Was wissen wir? Der Fundort ist keineswegs der Tatort, das hat die Spurensicherung bereits herausgefunden. Wie viel wiegt wohl die Leiche des Jungen, hm? Jetzt überlegt doch mal, wie ein fünfzehnjähriger Halbstarker die Leiche vom Tatort bis in die Stadt gebracht haben soll? Unbemerkt. Mit dem Fahrrad?«, fragte Norman spöttisch. »Bedenke auch, dass er sie zuvor noch sorgfältig gewaschen hat. Für mich deuten die Hinweise auf einen ausgewachsenen Mann hin, der ein Auge fürs Detail hat. Der Täter war nicht dumm, er wusch den Jungen wohlmöglich um Spuren verschwinden zu lassen. Das bedeutet, wir haben es mit einem cleveren Kerlchen zutun. Der Täter wusste genau, was er tut, der Junge wurde nicht von seinem Bruder aus Eifersucht und Wut ermordet. Wenn, hätte die Leiche verwüsteter ausgesehen. Glaub mir, ich habe Männer in Wut töten sehen.«

      Norman erinnerte sich auch nach sieben Jahren noch sehr lebhaft daran, wie Franklins Männer jemanden töteten. Geschah es aus Wut, war es ein Blutbad. Geschah es geplant, um jemand verschwinden zu lassen, waren es saubere Morde.

      Natürlich musste das nicht auf alle Täter zutreffen, aber Norman glaubte trotzdem, das Nicci nicht dazu im Stande gewesen wäre, diesen Mord zu begehen, jedenfalls nicht auf diese Weise.

      Ausatmend lehnte sich Jan gegen seine Stuhllehne, dabei rutschte sein Körper ein Stück tiefer, sodass er ermüdet auf seinem Platz hing. Er umfasste mit einer Hand seinen Kaffeebecher, hob ihn aber nicht an, er drehte ihn nur grübelnd.

      »Und der Zettel?«, fragte er schließlich und sah Norman in die Augen. Er holte demonstrativ sein Handy hervor und legte es auf dem Tisch ab. Er deutete vielsagend darauf. »Im Zeitalter von Smartphones und Notebooks habe ich noch nie erlebt, dass ein Drohbrief nicht als SMS oder Email verschickt wurde.«

      Norman nahm nun seinerseits Jans Handy in die Hand und hob es kurz an, er drehte es und betrachtete es eingehend, ehe er erwiderte: »Das bestätigt nur das, was ich glaube. Der Mörder ist sehr klug. Er kennt sich hiermit aus«, er hob das Handy erneut an. »Er muss gewusst haben, das jede SMS und jede Email, die ›gelöscht‹ wurde, nie gänzlich verschwindet. Er wusste, dass man ihn entlarven könnte, wenn er Elektronik benutzt.«

      »Er hätte ein anderes Handy nehmen können.«

      »Wozu, wenn man Papier, Schere und Kleber bereits griffbereit hat?«, warf Norman ein. »Vielleicht kannte er auch einfach nicht die Nummer des Jungen. Möglicherweise hat er einen solchen Brief auch in seiner Lieblingsserie oder seinem Lieblingsfilm gesehen und sich gedacht, er eifert dem fiktiven Täter nach.«

      Jan beugte sich über den Tisch und gab zu bedenken: »Wer außer Nicci, hätte Matti mitnehmen können, ohne dass jemand Verdacht schöpft?«

      »Genau das müssen wir herausfinden.«

      Schreiber war schon dabei, die Pflegeeltern und die leibliche Mutter zu informieren. Über die Erzeuger der beiden Jungen hatte Nicci nichts sagen können. Er meinte nur, dass er Mattis nie kennengelernt und seinen nie persönlich getroffen hatte. Auch das, würden sie herausfinden müssen.

      Norman nippte an seinem Kaffee. Als er den Becher wieder abstellte, fiel sein Blick auf den unberührten Donut und er verspürte zum ersten Mal seit Wochen echten Hunger, vermutlich, weil er einfach den ganzen Tag nichts gegessen hatte.

      Jan rieb sich verzweifelt die Stirn. »Wenn es der Junge nicht war, beginnt die Suche nach der Nadel im ... Na du weißt schon.«

      »Im großen Haufen Scheiße dieser Stadt?«

      Sie sahen sich an und musste beide auflachen.

      »Ja«, seufzte Jan, er entspannte sich etwas. »Ein großer Haufen Scheiße, das ist es tatsächlich.«

      »In einem solchen Fall lohnt es sich immer, die Familie zu überprüfen. Gerade weil niemand den Jungen als vermisst meldete. Was ist mit den Pflegeeltern? Vielleicht waren sie es, oder einer von ihnen. Oder die leibliche Mutter, vielleicht wollte sie ihr Kind wieder. Sie dachte: Entweder ich bekomme ihn, oder niemand. Sie hat ihn bei den Pflegeeltern abgeholt, ihn zu Hause ermordet, ihrem anderen Sohn den Brief hingelegt, um auf einen unbekannten Erpresser zu deuten, der nicht existiert. Oder es war der leibliche Vater, der vielleicht ein neues Leben aufgebaut hat, neue Frau, neue Kinder, und er wollte den Jungen loswerden, um seine Vergangenheit vor der neuen Familie zu verbergen. Vielleicht ist er auch verheiratet gewesen, als der Junge gezeugt wurde, und er wollte verhindern, dass seine Frau nun doch etwas davon spitzbekommt.«

      Jan sah Norman forschend an. »Du denkst wirklich, dass es Mord war?«

      Norman zuckte mit einer Schulter. »Ich denke jedenfalls nicht an ein Tötungsdelikt. Der Junge war nicht nur zur falschen Zeit am flachen Ort. Er lief nicht nur jemanden in die Arme, der nicht geplant hat, ihn zu töten, das kann ich mir nicht vorstellen. Der Brief an Nicci beweist doch, dass der Täter vorhatte, den Jungen zu töten. Wir müssen unbedingt herausfinden, wie lange Matti schon in der Gewalt des Täters war.«

      Vermutlich nicht lange, wenn ihn keiner vermisst hatte. Der Täter hatte Matti also sehr wahrscheinlich entführt und nicht gezögert, ihn umzubringen.

      »Wieso tötete der Mörder Matti vor Ablauf der angegebenen Zeit?«

      Erneut zuckte Norman mit der Schulter. »Möglicherweise überkam es ihn. Er konnte sich nicht zurückhalten.«

      »Aber er verlor damit das geforderte Geld.«

      »Wenn er das Geld denn überhaupt wollte.«

      »Warum sollte er es sonst verlangen?«

      Während Norman darüber nachdachte, biss er in seinen Donut und kaute eine Weile langsam, während Jans Augen an seinen Lippen klebten, an denen noch Schokolade hing.

      »Vielleicht spielt er einfach mit uns«, sagte Norman schließlich. »Oder er findet es aufregend, auch Nicci zu erschrecken.«

      »Oder Nicci schrieb den Brief selbst.« Jan hielt an der Schuld des Jungen fest. »Für mich liegt es einfach nahe, dass er seinen Bruder ermordet hat.«

      »Selbst, wenn du Recht hast, haben wir nichts, was das beweist, nicht einmal ein Indiz.«

      »Wenn auf dem Zettel nur Niccis Fingerabdrücke zu finden sind, schon.«

      »Das bedeutet nur, dass der Täter wohlmöglich Handschuhe getragen hat. Was passen würde, immerhin hat er auch seine Spuren von der Leiche gewaschen, da wird er bei seiner