K.P. Hand

Herzbrecher


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      Was für eine überaus interessante Entdeckung, dachte er sich von seinem Versteck aus oben an der Dachkante, während er den beiden Männern nachsah, die Seite an Seite die dunkle Gasse verließen und nach Osten abbogen.

      Er zog an seiner Kippe, inhalierte tief und stieß dann weißen Rauch aus.

      Norman Koch, der Bulle, und sein ewiger Gegenspieler, Alessandro, waren ganz offensichtlich alles andere als Feinde, stellte Florenz erfreut fest. Also wenn er diese Neuigkeit nicht zu seinen Gunsten nutzen konnte, dann wusste er auch nicht.

      Sein Zettel hatte genau das bewirkt, was er sich erhofft hatte. Alessandro bekam Panik, er war sogar blind einem völlig unbeteiligten Mann hinterhergerannt, der vermutlich nur vor ihm geflüchtet war, weil er befürchtete, Alessandro sei ein Bulle. Und so wie der Typ ausgesehen hatte, hatte er vermutlich ein paar chemische Drogen zum verticken bei sich getragen. Aber diesbezüglich war Florenz als ehemaliger Polizist vielleicht etwas voreingenommen. Für ihn war früher schon stets jeder Typ in dieser Stadt ein potenzieller Drogenkonsument gewesen. Wer hier lebte, hatte grundsätzlich Dreck am Stecken, das war unvermeidlich in einer Stadt, in der das Verbrechen regierte.

      Er zog erneut an seiner langen Zigarette. Nuttenstängel nannte Brian diese Kippen, meist um Florenz aufzuziehen. Florenz und Brian waren, auch wenn es im Moment weniger den Anschein hatte, beste Freunde. Wie Brüder, würde er sagen. Als Florenz damals Brian begegnet war, vor vielen Jahren als Florenz noch für das Gesetz ermittelte, waren sie irgendwie ziemlich schnell doch Freunde geworden. Was vermutlich daran gelegen hatte, das Florenz Brians Vergangenheit miterlebt und ihm daraus geholfen hatte, woraufhin ein starkes Band zwischen ihnen entstanden war. Davon abgesehen hatte die andere Seite, die Seite des organisierten Verbrechens, Florenz einfach gereizt. Also war er übergelaufen.

      Also kannte er Brian ziemlich gut, und seinen Hass auf Verräter. Florenz konnte es ihm wohl nicht verübeln, Brian hatte bei Enio Zuflucht gefunden, Enio hatte ihn nicht nur aufgenommen, er hatte ihn geradezu vor seiner Familie gerettet, ihn immer beschützt. Brian wollte nur sein Zuhause vor Ärger bewahren, er hatte Angst, dass wegen Alessandros Verrat und wegen Franklins lockerer Zunge, alles zusammenbrach, was er als Familie bezeichnete.

      Aber Florenz sah sich gezwungen, ihn nun auszubremsen, auch wenn Brian das nie erfahren durfte, sonst würde er Florenz wohlmöglich einfach abknallen.

      Ja, Freundschaften waren in ihrer Branche eher brüchig als standhaft. Doch wenn man das begriffen hatte, musste man sich nicht fürchten, man musste nur aufmerksam sein.

      Florenz wollte nicht, das Alessandro Brian in die Hände fiel. Noch nicht jedenfalls. Es war zu früh, um zuzugreifen. Sie brauchten mehr Informationen. Florenz hatte Alessandro nicht als Verräter kennengelernt. So war Alessandro nicht, er hatte seinen Bruder Enio stets geliebt, das hatte man am Umgang der beiden erkannt. Außerdem hätte Alessandro ihn doch einfach töten können, wollte er Enio nur loswerden.

      Nein, Alessandros Gründe für den Verrat waren andere, und so langsam setzte sich das Rätsel für Florenz zusammen.

      Was wussten sie mittlerweile?

      Alessandro hatte verheimlicht, dass er homosexuell war. Außerdem schien er nun zu seinem früheren Erzfeind, dem Ermittler Norman Koch, eine freundschaftliche Beziehung zu führen, oder vielleicht sogar noch mehr.

      Florenz konnte eins und eins zusammenzählen, Alessandros Verrat hatte eindeutig mit seiner Homosexualität und Norman Koch zutun.

      Aber warum hatte er sich nicht einfach Enio anvertraut? Warum hatte er geglaubt, er müsse sie alle verraten?

      War es Kochs Idee gewesen?

      Steckte er hinter allem?

      Liebe macht blind, das wusste Florenz leider nur zu gut.

      Aber die Entdeckung war geradezu ideal. Ideal für Enio, der nur schwer mit dem Verrat seines kleinen Bruders zurechtkam.

      Wenn Norman Koch hinter Alessandros Wandlung steckte, dann war Alessandros Schicksal noch nicht besiegelt. Doch was Koch anging ... Nun bei ihm sah die Sache dann ganz anders aus.

      8

      »Ich hasse diese Drecksbude«, kommentierte Norman, als er hinter Alessandro eintrat und die Tür schloss.

      Alessandro warf einen Blick über die Schulter, ehe er zur Küchenzeile schlenderte, die Waffe aus der Jacke zog, sie auf der Theke ablegte und schließlich seine Regenjacke abstreifte.

      Norman rieb sich die Arme und sah sich suchend in der winzigen Wohnung um, deren Tapete, Teppiche und Einrichtungsmöbel aussahen, als kämen sie aus dem Jahre 1978.

      »Warum ist es hier so feuchtkalt drinnen?«, fragte Norman schließlich, als er die Quelle der kühlen, feuchten Nachtluft nicht ausmachen konnte.

      »Die Heizung ist kaputt«, erklärte Alessandro knapp. Er ging zu dem Fenster, das er aufgemacht und aufgelassen hatte. Er schloss es, damit Norman nicht fror.

      Verzückt holte Norman plötzlich tief Luft und sagte im honigsüßem Tonfall: »Dieser Anblick verscheucht jegliche Sorgen.«

      »Ja, meine Rückansicht hat manchmal diese Wirkung«, scherzte Alessandro, er drehte sich um und sah Norman in der Hocke am Boden kauern. »Ach so, du meinst die Katze.«

      Norman warf ihm ein belustigtes Lächeln zu, während er die schwarzweiße Katze streichelte, die sich um seine Beine schmiegte und sofort schnurrte.

      »Sie hat dich vermisst.« Alessandro sprach diese Feststellung trocken aus, mit einer gewissen Verärgerung in der Stimme.

      Sie war seine Miezekatze, wie konnte sie ihn so verraten und Norman freundlich begrüßen?

      Gut, Norman hatte sie Alessandro geschenkt, gegen Alessandros Willen. Und obwohl Alessandro sich anfangs gesträubt hatte, war sie ihm nun doch ans Herz gewachsen.

      Er hörte heute noch Norman Worte, damals am Weihnachtsabend. »Komm schon, Sandro. Sieh sie dir an. Schau ihr in die Augen. Du willst ihr doch nicht das Herz brechen.«

      »Was bezweckst du eigentlich damit?«, hatte Alessandro belustigt gefragt.

      »Ich dachte mir nur, du könntest es ja mal hiermit versuchen«, hatte Norman erklärt und verschmitzt gegrinst. »Du wirst sehen, wie schön es ist, sich um ein kleines Lebewesen zu kümmern.«

      »Das eine ist mit dem anderen nicht Vergleichbar, Norman«, hatte Alessandro ihn noch belehrt. Aber als die süße Mieze aus Normans Arm gesprungen und in Alessandros Schoß gehüpft war, als wüsste sie, wen sie überzeugen musste um bleiben zu dürfen, hatte Alessandro sie einfach angenommen.

      Mittlerweile wollte er sie nicht missen, sie war seine einzige Freundin, auch wenn sie ständig durch die Stadt streunte und spät abends nach Hause kam. Trauriger Weise war das Zusammenleben mit ihr nicht anders als das Zusammenleben mit Norman.

      Lange Rede, kurzer Sinn. Er hatte sie behalten und ihr den Namen Cakes gegeben, weil sie schwarzweiß wie diese Kekse war, so süß wie der Keks war und natürlich, weil Alessandro Kekse mochte und leider eine absolute Niete in der Namensvergebung war.

      Er nannte das baumelnde Fleisch zwischen seinen Beinen meist auch nur »Das Ding«. Wie zum Beispiel: Das Ding steht mal wieder zur falschen Zeit am falschen Ort und vollkommen unpassend. Oder auch wie: Du kannst mir gerne mal das Ding zwischen meinen Beinen lutschen. Während andere Männer das Bedürfnis hatten ihren Genitalen aussagekräftige Spitznamen zu geben, war er ehe sehr unkreativ.

      Jedenfalls, er hatte Cakes ihren Namen gegeben, er hatte sie als Haustier akzeptiert, ihr Essen gegeben und sie nach der Trennung in seiner Wohnung aufgenommen, als Norman ihm das Herz gebrochen hatte. Sie sollte Norman nicht begrüßen, sie sollte ihm die Augen auskratzen, wenn sie loyal gewesen wäre!

      Während sich Alessandro gegen die Fensterbank lehnte und die Arme verschränkte, beobachtete er, wie Norman Cakes auf den Arm nahm und sich mit ihr zusammen erhob.

      Norman