K.P. Hand

Herzbrecher


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fast, als wüsste er, wie wir arbeiten.« Jan sagte das mit einer gewissen zynischen Stimmlage, als machte er sich über Norman lustig.

      Norman spülte einen Bissen Donut mit Kaffee hinunter.

      »Warum auch nicht?«, fragte Norman dann. »Täglich sieht man im freien TV, wie die Gerichtsmedizin arbeitete und was sie alles herausfinden kann. Für eventuelle Täter ist das quasi eine Anleitung für den perfekten Tathergang.«

      Jan holte tief Luft und rieb sich wieder die Stirn. »Ich fürchte, wir müssen den Jungen wohl gehen lassen. Vorerst.«

      »Ich denke, wir können ihn über Nacht dabehalten«, warf Norman ein um Jan einen Knochen zuzuwerfen. Davon abgesehen, das er Jan nicht verärgern wollte – jedenfalls nichts so kurz vor Feierabend – glaubte Norman, dass es besser war, den Jungen erst einmal nicht frei zu lassen, und sei es nur um ihn zu schützen. Der Zettel war vielleicht nur ein Spiel des Täters, aber Nicci könnte ebenso in dessen Visier geraten sein.

      »Wenn wir ihn morgen gehen lassen, müssen wir Leute abstellen, die ihn beobachten«, sagte Jan schlechtgelaunt. »Wie ich Schreiber kenne, dürfen wir das machen.«

      »Abwarten«, murmelte Norman mit vollem Mund. Es war noch nicht gewiss, ob sie den Fall übernehmen würden, eigentlich gab es Kollegen, die mit solchen Fällen bereits Erfahrung hatten und vermutlich besser geeignet waren. Norman und Jan hatten nur den Anfang gemacht, weil sie die Leiche entdeckt und sonst niemand da war oder Zeit hatte. Es war spät, aber der Fall durfte nicht bis Morgen warten. Sie hatten aus Nicci schon einige Informationen herausbekommen, die ansonsten erst am nächsten Tag und vermutlich zu spät ans Licht gekommen wären. So hatten Jan und Norman das Fundament für die Ermittlungen bereits gelegt, das war besser als den Kollegen den Fall auf den Schreibtisch zu legen und sie damit zu Arbeitsbeginn zu überraschen. Wer nun endgültig die Ermittlungen weiterführen würde, lag schließlich in Schreibers Hand.

      Jan hob seinen Arm und sah auf seine Uhr. »Den Obduktionsbericht bekommen wir frühestens morgen früh. Schreiber Informiert gerade die Angehörigen und will, dass wir ihnen eine Nacht Zeit lassen um die Nachricht zu verarbeiten. Also müssen die Befragungen bis morgen warten. Ich schätze, das war’s erst mal für heute.«

      Norman wollte protestieren, aber sie konnte nur darauf warten, dass die Gerichtsmedizin mit ihren Untersuchungen fertig war, und dass würde vor morgen nicht geschehen.

      Doch er beschloss: »Gleich Morgenfrüh nehmen wir uns die Mutter vor.«

      Jans Augen leuchteten, als sie beschlossen, Feierabend zu machen. »Gehen wir?«

      Norman trank seinen Kaffee aus, er nickte. »Gehen wir.«

      Aber eigentlich freute er sich nicht auf eine Nacht voller Alpträume, die niemals enden würden, es sei denn, jemand würde ihm eine Nadel durchs Gehirn jagen.

      Norman konnte nur hoffen, dass er diesmal aufwachte, bevor er erneut Alessandro das Messer in die Brust stach.

      ***

      Im Restaurant war an jenem Abend die Hölle los. Aber Alessandro begrüßte den Stress, denn er verhinderte, dass er zu sehr über seinen Exfreund nachdachte.

      Norman. Der schicke, immerzu perfekte Norman, mit den vielen inneren Charakterschwächen, die nur Alessandro wirklich kannte. Warum sie sich eigentlich mochten, war fragwürdig, immerhin haben sie die meiste Zeit ohnehin nur gestritten. Und doch war es genau das, was Alessandro fehlte. Die ewigen Auseinandersetzungen, vor allem wegen Alessandros früherem Job, die Ideale, die Moralansichten, die Norman von sich gab, aber dann selbst nie beachtete. Norman war jemand, der gerne der ›Gute‹ war, der Held, der Beschützer, der gefeierte Ermittler. Aber Alessandro wusste, dass er das nicht wirklich war. Sie waren beide keine Helden. Norman ging es immer nur um sein eigenes Ansehen, um seinen Ruf, und Alessandro wollte stets nur seinen eigenen Arsch retten.

      Doch damals, bei den Ermittlungen gegen Franklin, hatte sich das geändert. Zwar blieben sie Egoisten, aber immerhin haben sie ab da auch manchmal einen Gedanken an den anderen verschwendet.

      Alessandro hatte nie Probleme damit gehabt, der fragwürdige Typ sein. Nicht wirklich. Natürlich verfolgen ihn die Gesichter seiner Opfer, andererseits hatte er nie einen Unschuldigen getötet. Nie! Trotzdem wachte er nachts manchmal schweißgebadet auf, zitternd und in Panik, weil er eine Angstattacke hatte. Aber das machte nichts, er hatte sich daran gewöhnt, so war sein Leben nun mal. Er verdiente es nicht anders.

      Nur Norman war nie über die Ereignisse hinwegkommen. Nie über die Schuld, über die er nicht sprechen wollte. Die Alpträume waren immer schlimmer geworden, irgendwann hatte nicht einmal Alessandro sie vertreiben können. Bis Norman schließlich ...

      Okay, darüber wollte Alessandro nicht nachdenken.

      Nie mehr wieder! Es war vorbei. Und das war gut so.

      Wem redete er sich das eigentlich ein?

      Alessandro stellte einen Kasten schmutziges Geschirr in die Spüle und ließ heißes Wasser aus dem Hahn hineinlaufen. Während er wartete, dass die Kiste volllief, lehnte er sich seitlich an die Spüle, verschränkte die Arme vor der Brust und beobachtete die Nachrichten in der kleinen Glotze, die über der Essensausgabe hing.

      Gerade wurde der Bericht des Leichenfunds gezeigt, den Norman erwähnt hatte. Eine junge Reporterin, dürr wie eine Schaufensterpuppe, mit langem blondem Haar, das sie mit einem schwarzen Regenschirm vor dem Unwetter schützte, stand in ihrem schicken weißen Hosenanzug vor einer Kamera und sprach in ein Mikrofon vom regionalen Fernsehsender. Sie trug dezentes Make up, bis auf den fiel zu dunklen Liedschatten, der ihr etwas Verruchtes gab, und das mochte Alessandro nicht.

      Gut, er war vielleicht auch nicht gerade dazu geeignet, Frauen zu beurteilen. Obwohl es da in früher Jungend ein paar sexuelle Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gegeben hatte. Aber nur, weil er versucht hatte, nicht schwul zu sein. Was sich im Nachhinein als dämlich herausgestellt hatte, denn seine Sexualität kann man sich eben nicht aussuchen.

      Leider würde es sein Bruder bestimmt anders sehen und ihn eigenhändig kastrieren, wenn er es herausfinden und ihn schnappen würde.

      Alessandro hoffte, dass beides niemals der Fall sein würde.

      In der Glotze, die in der Küche oberhalb der Essensausgabe hing, konnte Alessandro hinter der Reporterin den abgesperrten Fundort sehen. Eine dunkle Sackgasse. Dort neben der abgedeckten Leiche stand Norman und sein Kollege Jan, den Alessandro erst beim zweiten Hinsehen erkannte, weil sein Haar blondiert war.

      Alessandro schnaubte, er konnte nicht nachvollziehen, weshalb man das Bedürfnis hatte, seine Haarfarbe zu ändern. Selbst er, der überall gesucht wurde, dachte nicht daran, seinem Haar so etwas anzutun.

      Wie würde er wohl blond aussehen?

      Die Vorstellung brachte ihn zum Schmunzeln.

      Plötzlich änderte sich die Stimmung im Hintergrund. Die Reporterin bekam von alle dem nichts mit. Norman, der in seinem Designer Mantel im Regen stand, wollte zur Leiche stürzen, sein Kollege umschlang ihn sofort von hinten. Dann zog er Norman von der Leiche fort zu einem Streifenwagen.

      Alessandro konnte wegen des Lärms in der Küche nicht hören, was die Reporterin sagte, die sich nun umdrehte und das Geschehen verwirrt versuchte wiederzugeben.

      Während Norman und sein Kollege – dem die blonden Haare wirklich nicht schmeichelten – in den Fokus der Kamera gerieten, beobachtete Alessandro deutlich Normans in die Leere gerichteten Blick. Sein Kollege Jan wirkte sauer.

      Dann holte Norman sein Handy hervor und wandte sich von Jan ab. Das war der Moment, in dem er mit Alessandro telefonierte.

      Den Augenblick mit anzusehen und Normans hoffnungsvoll leuchtende Augen zu erblicken, das war ein unbeschreibliches Gefühl. Ein warmes Gefühl. Als wäre Alessandro dort gewesen, bei Norman. Es war wie ein Sog in die Vergangenheit, Alessandro erinnerte sich noch genau an den Moment, in dem er entschloss, Norman anzurufen um ihm den Zettel zu zeigen und um Hilfe zu bitten. Er hatte Furcht davor gehabt, hatte geglaubt, dass Norman längst nicht mehr an ihn