K.P. Hand

Herzbrecher


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schnaubte kopfschüttelnd. »Norman ... wie oft denn noch? Es ist aus

      Norman hatte diese Wohnung schon immer gehasst, aber Alessandro konnte sich nichts anders leisten und er war zu stolz, um Normans Geld anzunehmen. Zumal Norman auch nicht gerade gut verdiente, im Gegenteil, und mit Normans teurem Lebensstil stand auch dieser stets an seinem finanziellen Limit.

      Damals war es auch nicht schlimm gewesen hier zu wohnen, da Alessandro diese Bude nur für Notfälle aufsuchte. Sprich, wenn Norman Besuch von Kollegen bekam oder die Gefahr bestand, dass sie vorbeischauen wollten. Doch jetzt musste Alessandro tagtäglich hier leben und schlafen. Aber er hatte weitaus Schlimmeres erlebt, es war schon in Ordnung so.

      Norman ließ Cakes wieder auf dem Fußboden ab, der mit einem vergilbten Teppich mit kreisrunden Mustern ausgelegt war. Die Katze sprang sofort zu ihrem Lieblingsplatz: Alessandros frisch gewaschener Wäsche.

      Norman sah Alessandro traurig und flehend zu gleich an. Der Blick eines Hundewelpen, das spielen wollte. »Ich dachte, wir ...«

      Alessandro sah ihn verärgert an. »Wir, was?«

      Norman machte einen Schritt auf ihn zu, aber als Alessandro ihn noch skeptischer anblickte, hielt er inne und vergrub seine Hände tief in den Hosentaschen.

      »Ich ... dachte ...« Norman sah sich um, während er nach Worten suchte. Und dann trafen seine Augen auf das, was Alessandro schon die ganze Zeit hoffte, dass er es sah: Die Reisetasche vor dem leer geräumten Kleiderschrank.

      Norman runzelte die Stirn. »Was bedeutet das?«, fragte er und sah Alessandro mit einem Blick an, der sowohl wütend als auch ängstlich war.

      »Ach das?« Alessandro kostete den Moment richtig aus. »Ich packe.«

      »Wofür?« Norman machte einen großen Schritt auf ihn zu. »Ziehst du um?«

      »Sozusagen.«

      »Du musst die Wohnung räumen, oder? Du konntest die Miete nicht zahlen«, glaubte Norman und wollte sofort wieder der rettende Held sein. »Du kannst doch zu mir!«

      »Ich verlasse die Stadt, Norman. In drei Tagen.«

      Norman fiel aus allen Wolken. Alessandro konnte den Moment der erschreckenden Erkenntnis genau miterleben. Norman blinzelte, er wurde aschfahl, als sei ihm schlecht.

      »Nein!«

      Alessandro schnaubte, er genoss es insgeheim, dass es Norman schlecht ging. »Doch.«

      »Du ... Aber wieso?«

      »Das ich dir das sagen muss ...« Es war einfach nur traurig.

      »Wegen mir«, glaubte Norman.

      »Es dreht sich nicht immer alles nur um dich, du arroganter Arsch!«, zischte Alessandro. Er erinnerte Norman gleich darauf: »Ich kam wegen dir zurück in diese Stadt, trotz der Gefahr. Und ich blieb wegen dir, trotz der Gefahr. Jetzt gibt es kein Wir mehr, kein Uns, kein Du für mich. Also kann ich gehen und die Gefahr, entdeckt zu werden, verringern.«

      Norman sprach kein Wort, er starrte Alessandro nur mit offenem Mund und Tränen in den Augen an.

      Wer macht jetzt ein Drama? wollte Alessandro fragen, ließ es aber bleiben.

      Jetzt, da es ausgesprochen war, wurde es erst richtig real. Er hatte nie vorgehabt, Norman zu berichten, dass er weggehen würde, er hatte einfach gehen wollen. Aber wozu sollte er es verheimlichen, wenn er die letzte Gelegenheit, sich etwas Genugtuung zu verschaffen, ergreifen konnte. Doch nachdem er Norman wehgetan hatte, fühlte es sich nicht mehr so gut an, wie er erhofft hatte.

      Unbehaglich verlagerte Alessandro sein Gewicht von einem Bein auf das andere und blickte über seine verschränkten Arme hinweg zu Boden. Er schürzte die Lippen, konnte aber nichts sagen.

      Das war es also, dachte er noch und spürte, wie es ihm die Kehle zuschnürte.

      Norman schwankte und setzte sich halb auf eine Sofalehne. Er atmete laut aus, als könnte er es noch immer nicht begreifen.

      »Und ... wohin?«

      Alessandro blickte Norman in die braunen, warmen Augen. Er wollte schreien, so groß war die Sehnsucht. Er wollte schreien, dass Norman ihn anflehen sollte, zu bleiben. Er wollte, dass Norman um ihm kämpfte, wie er noch nie um etwas gekämpft hatte ... Aber das würde nicht passieren, und selbst wenn, könnte Alessandro ihm niemals verzeihen.

      »Keine Ahnung«, gestand Alessandro. »Erst einmal über die östliche Landgrenze, und dann möglichst weit weg vom Einfluss meines Bruders.«

      Norman dachte nach. »Du kannst nicht den Flugweg nehmen, dein Bruder lässt mit Sicherheit jeden Flughafen überwachen.«

      »So blöd bin ich nicht, Norman. Ein Kollege fährt in drei Tagen in Urlaub und ist breit, mich über die Grenze zu bringen. Sobald ich das Land verlassen habe, werde ich einen Flieger nehmen, der mich irgendwo hinführt, wo ich verschwinden kann.«

      »Kanada?« Norman sah ihn grübelnd an. »Alaska?«

      Soweit hatte Alessandro das alles noch gar nicht bedacht. Dennoch nickte er. »Ja, vielleicht. Mal schauen.«

      Norman starrte vor sich hin und nickte beständig, aber er schien das gar nicht richtig mitzubekommen, er war in Gedanken versunken.

      »Okay«, sagte er plötzlich und sah Alessandro entschlossen an. »Ich komme mit. Wir gehen gemeinsam.«

      Einen Momentlang starrte Alessandro Norman an, als hätte er die Worte aus dessen sündhaft sinnlichen Mund nicht verstanden.

      »Was?«, stieß er dann aus. »Spinnst du jetzt völlig? Du bist der Grund, wegen dem ich hier wegwill.«

      »Ich dachte, wegen deinem Bruder.«

      Alessandro winkte ab. »Ja, abgesehen von dem.«

      »Aber, du ...« Norman sprang auf und auf Alessandro zu. »Du hast mich geküsst, ich dachte-«

      »Dass das was bedeuten würde?« Alessandro lachte ohne Freude auf. Er schlüpfte an Norman vorbei, um nicht zwischen dessen muskulösen Körper und der Fensterbank eingeklemmt zu sein.

      Als er am Sofa ankam, drehte er sich wieder zu Norman um und sagte: »Ich habe mich verabschiedet, Norman. Es war der letzte Kuss, mehr hatte es nicht zu bedeuten.«

      Normans Miene wurde hart. »Wenn du mich so sehr hasst, warum musst du mich dann ein letztes Mal küssen?«

      Alessandro starrte ihn an, weil er darauf keine passende Antwort parat hatte. Schnaubend wandte er sich schließlich ab und ging zur Küchenzeile. Er stellte sich an die Spüle und begann das Geschirr zu waschen, das er bereits am Morgen gespült und zum Abtrocknen in die Abtropfgitter gestellt hatte. Er brauchte etwas zu tun, solange Norman so greifbar nah war.

      »Du solltest jetzt gehen«, sagte Alessandro, ohne zurückzublicken.

      Er hörte, wie Norman mit gut einem Meter Abstand hinter ihn trat. Mehr noch als er ihn hörte, konnte er ihn und seinen starren Blick im Nacken spüren.

      Norman seufzte, er holte etwas hervor, das er zwischen Mantel und Jackett versteckt hatte, Alessandro konnte den Stoff rascheln hören.

      »Mein eigentlicher Grund für den Besuch war das hier!« Er knallte etwas auf die Küchentheke, was sich als ein Stapel Fallakten herausstellte, als Alessandro sich doch kurz neugierig über die Schulter sah.

      Er wandte sich wieder seinem Geschirr zu. »Was ist das?«, fragte er scheinbar desinteressiert, obwohl er vor Neugierde fast platzte.

      »Alles, was ich in den letzten Jahren über Enios Geschäftspartner herausfinden konnte«, erklärte Norman. »Darunter auch der neuste Bericht über Pisani. Sie logen alle, um deinen Bruder zu schützen. Selbst die, die bereits im Knast saßen, auch diejenigen, von denen Franky wusste, dass sie es sich mit Enio verscherzt haben. Er war fest davon überzeugt, sie würden alle reden, wenn wir ihnen Polizeischutz und Strafmilderung anbieten. Es sind viele Drogenlaborbetreiber, Geldwäscher, korrupte Anwälte und Richter darunter.