Elmar Zinke

Eine Frau für Mama


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des lauen Fahrtwindes. Tiefe Senken zwingen Munny zum Fahren im Schritttempo, der Motor würgt seine Geräusche hervor. Mehrfarbiges Glitzerlicht rückt ein unüberschaubares Gelände ins Imaginäre, die Auslastung des Parkplatzes drückt sich in Leere aus, eine Vielzahl inländischer Männer läuft umher. Munny parkt das Fahrzeug neben einem Geländewagen, übernimmt von einer dickleibigen Person eine brennende Zigarette. Im Foyer des Flachbaus herrscht der Hochbetrieb einer fröhlichen und vielstimmigen Damengemeinschaft. Ein halbes Hundert Frauen winken im Stehen und auf Stühlen, von Klopp traut weder seinen Augen noch seinen Ohren.

      Am seitlichen Tresen warten drei Männer, der Älteste trägt Würgemale am Hals, eine Brille mit einem rosafarbigen Gestell steigert den Eindruck des Kantigen im Gesicht.

      Er bequemt sich zum Aufstehen, fragt: „Nummer?“

      Die mit Zahlen versehenen kreisrunden Anstecker an den Frauen in Brusthöhe entdeckt von Klopp erst zu diesem Zeitpunkt.

      Er antwortet nicht, sagt stattdessen: „Sie sind klein wie Kinder.“

      Der Andere wirbelt mit einer Handbewegung alle Frauen hoch, pickt die vermeintlich fünf größten heraus, lässt sie soldatisch zu einer Reihe antreten. Sie lächeln beherzt, überhören neckische Bemerkungen aus dem Hintergrund. Die Körper zappeln Erregungsformen hervor, zwei der Fünf bedienen durchaus von Klopps Vorstellungen fraulicher Reize. Im Zeitlupentempo pendelt sein Zeigefinger zwischen der einen und der anderen Lieblingsnummer. Die Verschmähten im Showroom treten ohne Anzeichen einer Enttäuschung den ungeordneten Rückzug an, die Auserwählten steuern die Rezeption an. Der Mann mit Brille füllt einen Zettel aus, von Klopp dämmert ein Missverständnis.

      „Nur eine Frau“, klärt er schamrot auf.

      Zur letzten Sicherheit hebt er einen Zeigefinger empor.

      „Nummer?“

      Die Gesichter und Körper, denkt er, fallen im Typ unterschiedlich, aber in der Ganzkörperausstrahlung gleichwertig aus. Von Klopps Blick schwenkt in die Tiefe, die Wahl fällt auf die Frau mit den kürzeren Absätzen. Der Mann notiert eine Kurzbemerkung auf ein andersfarbiges Blatt, heftet daran ungeschickt von Klopps drei Zehndollarscheine mit einer Büroklammer, den Gesamtvorgang verfrachtet er in eine abschließbare Holzkassette.

      „Ich möchte eine Frau näher kennen lernen“, überwindet sich von Klopp. „Ist das möglich?“

      „Achtzig Dollar für jeden Tag. Wie viele Tage? Welche Frau?“

      „Ich weiß es nicht“, wiegelt er ab. „Vielleicht diese Frau. Vielleicht eine andere.“

      „Kein Problem.“

      „Und für immer? Wie viele Dollar?“

      Der Mann schaut von Klopp ausdruckslos an, antwortet:

      „Zehntausend Dollar.“

      Von Klopp schreitet der Auserwählten voran, aufflammendes gleißendes Scheinwerferlicht begleitet sie hinaus. Munny wartet im Dunstkreis Gleichgestellter, auf dem Moped nimmt die Frau die Mittelstellung ein. Von Klopps Gemütslage wechselt in mehrmaliger Folge, ein waghalsiges Ausweichmanöver führt eine Schrecksituation herbei. Das Hotel wahrt die Fassade des Diskreten, ein Angestellter gebietet von Klopp den Alleingang in sein Zimmer, wenige Minuten später ertönen an der Tür fast unhörbare Klopfzeichen. Munny steht neben der jungen Frau, streicht dankbar die vereinbarten Dollar ein, zieht die Tür lautlos ins Schloss. Die Frau legt ihre Lebendigkeit an der Türschwelle ab, ein längerer Badaufenthalt erweckt sie ins wie Neugeborene.

      „Kalt“, presst sie im Englischen hervor, schlüpft unter das Bettlaken.

      An der Fensterfront zieht er die Vorhänge zusammen. Er schärft die Blicke durch den offenen Spalt und denkt, auf dem Liegestuhl am Pool, ganz hinten, geschehen menschliche Verquickungen.

      Im Fernseher stellt er ein Musikprogramm an, fragt:

      „Möchtest Du etwas trinken?“

      Sie hüpft aus dem Bett, langt in der Minibar zu einer Büchse grünen Tee. Er wählt ein Bier, stellt die Klimaanlage zurück, gesellt sich zu ihr.

      „Hast Du eine Frau?“ fragt sie nach einer Ewigkeit.

      „Nein.“

      „Warum nicht?“

      Von Klopp verkürzt den Sachverhalt auf den maßgeblichen Kern, schwächt den Ernst des Gesagten zuweilen durch ein Lächeln ab. Es ist die Wahrheit, denkt er in der Stille. Stärkt sie mein Ansehen ihr gegenüber? Oder schadet sie eher meinem Ansehen? Am besten, ich sage ihr noch etwas anderes. Dass ich eine Frau für Mama suche.

      „Wie heißt Du?“

      „Martin. Und Du?“

      „Ball.“

      „Wie der …?“

      Er wiederholt das Gehörte nicht wie im Fremdsprachenunterricht, im Begrifferklären gewährt er der Zeichensprache den Vorrang. Ein Finger malt einen Rundkörper in die Luft, sie nickt lächelnd. Ein Missverständnis liegt nahe, denkt er, immerhin deute ich einen Kreis an und der Unterschied zu einem Ball liegt im Nichtvorhandensein des Dreidimensionalen. Von Klopp erwägt die Formung von etwas Ballähnlichem durch das Verknäulen beider Hände. Er verwirft diese Eingebung, schnellt aus dem Bett, deutet im aufrechten Stillstand den Wurf eines Balles an. Er erntet höfliches Lächeln, grübelt nach Steigerungsformen für seinen Anschauungsunterricht, ahmt einen Fußballdribbelkünstler nach. Er kürt zwei Stühle und den Tisch zu Spielern der Gegenmannschaft, führt tänzelndes Kreisklasseniveau vor. Nach der hundertprozentigen Gewinnquote der Zweikämpfe reckt er die Arme nach oben.

      Ihr erneut lächelndes Nichtbegreifen treibt ihn zur Rezeption, ein Mann im weißen Hemd erfüllt seine Bitte nach einem Ball mit der Herausgabe eines Golfballes, von Klopp sichert ihm die Rückgabe zum Frühstück zu. Im Fahrstuhl denkt er, bestimmt vermutet der Nachtportier, dass wir unsere Zeit im Zimmer mit Minigolf totschlagen, anstatt das Übliche zu tun. Im Übrigen wäre ein Mixtum compositum nicht die schlechteste Idee. Als Schläger eignet sich ein geschlossenes Buch, als Loch ein aufgeschlagenes Buch. Als Zielprämie für mich winkt ein anderes Loch außer der Reihe. Von Klopp schüttelt den Kopf über seine Auslassung, im Zimmer hält er den Golfball wie eine Trophäe hoch.

      „Ball“, sagt die mädchenhafte Frau, nickt heftig. „Ich Ball.“

      Ball rekelt ihren Körper, strampelt ihn nackt. Von welch schöner Welt ich umgeben bin, denkt er. Er mutmaßt das unerschöpfliche Vorhandensein erotischer Energievorräte, beäugt die Übertragungsmöglichkeiten, spürt schon ohne eine Direkteinwirkung körperliche Folgeerscheinungen. Ball legt ihre warmen Hände auf seine Brustwarzen, die Temperatur steigt ohne Bewegungsmerkmale ins Hitzige. Er widersteht der Versuchung einer prompten Umsetzung seiner Überreizung, rollt zur Seite, nach einem Schluck aus der Bierbüchse begibt er sich ans Fenster. Du Frau, ich Mann, denkt er, lächelt verstohlen, kehrt zum Bett zurück.

      „Massage“, bittet er.

      Im Anblick ihrer Fingernägel verbirgt sie ihre Enttäuschung nur bedingt.

      „Massage keine Liebe“, sagt sie.

      „Massage ist Spiel vor der Liebe. Vorspiel.“

      Von Klopp schiebt den Körper in Bauchlage über das Bett, Ball schwenkt ihren Körper auf seinen in Gesäßhöhe. Sie setzt das Studium ihrer Fingernägel fort, ein sanfter Fauststoß an ihre Oberschenkel ruft sein Anliegen in Erinnerung. Die körperliche Konversation leitet Ball im Sektor Schulter und Nacken ein, erweitert das Pflichtprogramm auf die Rückenzone. Seinen Körper vom Gesäß abwärts spart sie als Tätigkeitsfeld ihres vielfingrigen Kundendienstes aus. Der Liebenummeraufschub findet ein Ende.

      Ein schmaler Lichteinfall aus dem Bad führt zu Dämmerlicht, ihre Körper ruhen nebeneinander, ihre Augen begegnen einander.

      „Sprichst Du gut Englisch?“ fragt er.

      Ihre Hand hebt sich, den Spalt zwischen Daumen und Zeigefinger schätzt er auf drei Millimeter. Wie viele Wörter mögen dazwischen