Elmar Zinke

Eine Frau für Mama


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grübelt er. Wiederaufbau bedeutet Nachahmung. Dieses Handeln besiegelt den endgültigen Ruin für die Pracht und Herrlichkeit einer versunkenen Welt.

      Angkor Wat verabreicht lähmende Frühnachmittagsglut, im Schatten eines Restaurantsonnenschirmes überwältigen von Klopp die fünf Lotosblumentürme im schillernden Licht. Er dankt einem Halbwüchsigen zwinkernd für den Kaffee, löffelt einen Zuckerwürfel flüssig. Angkor, das Taj Mahal, Machu Picchu, denkt er mit geschlossenen Augen. Das ist ewige Schönheit, ewige Würde, ein ewiger Hauch des Rätselhaften. Nimmt die große Liebe es auf mit diesen Weltwundern? Im Einzigartigen! Träume ich mich immer noch ins Unverbesserliche?

      Dschins Tuk-tuk steht inmitten hundert Anderer, der Fahrer nutzt die Wartezeit zu einem Nickerchen. Von Klopps Kameraklicken weckt ihn, die Beine und der Kopf schrecken hoch, in den Augen überwiegt das Eingeständnis einer Bloßstellung.

      „Was kannst Du mir noch zeigen?“, fragt von Klopp.

      „Es gibt eine Krokodilfarm“, antwortet der Andere eilfertig, schüttelt die letzte Müdigkeit ab.

      Die Farm liegt unauffällig in Siem Reaps Stadtmitte, die Tickettverkäuferin wirkt verschlafen wie der Vorplatz. Die Reptilien bevölkern hundertfach im dichten Nebeneinander und Übereinander ein halbes Dutzend Wasserbecken mit Auslaufzone. Von Klopp lehnt sich auf die wackelige Brüstung, schießt eine Reihe Fotos. Sie sehen aus wie tot, denkt er. Angesichts der körperlichen Unversehrtheit stimmt der Vergleich aber nur bedingt. Sie schauen aus wie ausgestopft.

      Zwei junge Amerikaner nähern sich von Klopp, der Größere trägt einen Rucksack mit Schlafsack, Isomatte und Kochgarnitur, der Andere trägt ein Huhn vor der Brust. Direkt vor dem Deutschen packt er das Tier an den Flügeln, wirft es in das Becken. Die Reptilien lauern mehr im Wasser als an Land, schlagartig entbrennt ein erbittertes Ringen um das Nahrungsmittel. Das Huhn hüpft lautstark gackernd über mehrere Krokodilrücken, stemmt sich mit hektischem Geflatter gegen das Schicksal. Ein Reptil dreht sich blitzartig, mit weit aufgerissenem Maul schnellt der Kopf hoch, besiegelt das Aus.

      Im übertrieben heruntergekühlten Shop locken farbenfroh und ideenreich Taschen aus Krokodilleder zum Kauf. Mittendrin stehen wie Zierrat ausgestopfte Reptilien in den Längenmaßen eines erwachsenen Unterarmes bis zu eines dreijährigen Kindes. Die Amerikaner kaufen ein Präparat in mittlerer Größe, von Klopp erwägt nur kurzzeitig den Erwerb eines Portmonees für seine Mutter.

      Am Pool klickt er die Aufnahmen von der Krokodilfarm in der Kamera durch und denkt, was für eine Tierquälerei. Wer aber lädt die größere Schuld bei diesem mörderischen Akt auf sich? Der Verkäufer des Huhnes oder diese beiden Amerikaner, die das Lebendfutter kaufen? Von Klopp setzt die Fotoschau fort. Von Ball habe ich gar kein Bild, stutzt er, schiebt die Sonnenbrille zur Nasenspitze. Er greift sich den Reiseführer vom Kopfende des Liegestuhles, blättert. Die stärkste Regung ruft jenes Bild hervor, das Heimatgefühle weckt, denkt er. Verrichtet sie etwa ihre Arbeit gegen ihren Willen? Oder gar unter Zwang? Im fortgesetzten wahllosen Suchen taucht ein umfangreicher Sprachführer zuzüglich des Khmeralphabets auf. Er denkt an Balls Hinterlassenschaft im Notizbuch, wühlt im Tagesrucksack nach ihm.

      „Heute neue Lady?“, hört er hinter sich Munnys gedämpfte Stimme.

      Munnys Gesäß findet Halt am Fußende der Liege, von Klopp blickt ihn stumm an, greift zum Wasserglas.

      „Weißt du“, sagt der Ältere beinahe wehmütig, „was gestern auch schön war? Die Fahrt mit Deinem Motorroller. Ich besaß in jungen Jahren ein Zweirad und war auf ihm ein glücklicher Mensch. Die letzte Fahrt bleibt leider in unguter Erinnerung. Sie endete im Straßengraben. Ich kam glimpflich davon, mit wenigen Schürfwunden, aber meine Mitfahrerin landete mit zwei Rippenbrüchen im Krankenhaus. Im Krankenbett warf sie mir schrecklichen Leichtsinn vor. Ich durfte sie nicht mehr besuchen und außerhalb der Schule nicht mehr sehen. Sogar Briefe mit eigenen Liebesgedichten änderten nichts mehr. Vorbei war die erste Liebe.“

      „Nicht nur eine Frau supersexy“, reagiert Munny mit wippenden Augenbrauen. „Bekommen Liebe von neun Ladys? Oder zehn? Wie Held.“

      Von Klopp trinkt etwas, lächelt nachsichtig.

      „Diese Zahl, mein Freund, übersteigt meine Fähigkeiten. Und meine Wünsche.“

      Munny nickt wie ein Diener, seine Augen bitten um weitere Worte.

      „Aber eine Frau, warum nicht“, spricht von Klopp bedächtig, „Ich bin frei. Ich betrüge niemanden. Höchstens mich selbst.“

      Munnys Stirnrunzeln bekundet eine Verständnisschwäche.

      „Außerdem handle ich im Auftrag der Königin“, spricht von Klopp, spielt ein strenges Gesicht vor.

      Der ovale Pool füllt sich mit jungen Paaren und Kindern, eine dunkelhäutige Schönheit vollführt einen mustergültigen Hechtsprung ins Wasser, taucht am Mittelpunkt des Beckens wieder auf.

      Munny kichert in die vorgehaltene Hand, sagt: „Verstehe. Königin ist Mama. Mama gibt Geld für schöne Frauen. Zehn Uhr?“

      Von Klopp schmäht den Anderen mit einem Blick, nickt ihm als nächstes zu. Der Page streckt den rechten Daumen in die Höhe, den kleinen Finger derselben Hand nach unten, drückt die Spitze des kleinen Fingers derselben Hand gegen die Lippen. In Folge sieht von Klopp den Pagen leere Gläser aufsammeln und längere Zeit mit einem älteren weiblichen Hotelgast reden.

      Munny spricht über seine Herkunft. Er wächst mit vier Geschwistern im Grenzgebiet zu Laos in bescheidenen Verhältnissen auf, der Vater arbeitet als Reisbauer, die Mutter versorgt die Kinder und beide Elternpaare. Von Munnys Arbeit im Hotel weiß jeder im Dorf, er schickt einen Großteil seiner Einkünfte nach Hause. Die Höhe der Zuwendungen trägt der Familie im Dorf einen überaus tadellosen Ruf ein, er nähert sich dem Ruf des Dorfältesten. Die Frau mit wabernden Elementen steckt ihm fünf Dollar zu, nach einer Verbeugung setzt er seine Arbeit für einen Hungerlohn im Foyer fort.

      Verstohlen mustert von Klopp die Damengesellschaft auf der gegenüber liegenden Poolseite. Sie liefert gehäuft Beispiele für Dickleibigkeit und Magersucht. Im Handumdrehen ärgern ihn die Bauchringe oberhalb seiner Badehose und sein Fußpilz. Er schwärzt mittlerweile den zweiten großen Zeh. Von Klopp wirft ein Handtuch über die Füße und gelobt Besserung im Umgang mit den Übeln. Anstoßklänge von Rotweingläsern tönen von Klopp entgegen, mit regloser Miene greift er zur Wasserflasche.

      Von Klopp fühlt sich auf Munnys Motorroller wiederum um Jahre verjüngt, die Strecke kommt ihm kürzer vor als am gestrigen Tag. Der Vorhof des Servicecenters und die Eingangshalle gähnen vor Leere. Gestern war Dienstag, heute ist Mittwoch, denkt er. Worin besteht der Unterschied? Das Herumstehen und Alleinbleiben stacheln ihn zu einem Rundgang an. In mehreren Räumen schlafen Zimmerfrauen, nach mehreren Frauenzimmern gewinnt er den Eindruck des Klinischsauberen. Er geht entfernten Geräuschen nach, findet sich in einer Überwachungszentrale wieder. Aus dem Flachbildfernseher lärmen Kungfukampfszenen, auf den Monitoren flackern in mehreren Perspektiven die Außenbereiche der Anlage, die Mitarbeiterinnentoiletten und die Flure.

      „Hallo Sir.“

      Die tiefe Stimme hinter ihm gehört Ladymama. Ein olivgrünes Kostüm umspannt ihren Körper, es nähert sich dem Zerplatzen. Das runde Gesicht mit auffällig kurzen Wimpern kündet von Strenge und Kälte, die Gesichtshaut ähnelt gehärtetem Teig, Ringe übersäen dickfleischige Finger.

      „Hallo.“

      „Gehen wir in mein Office“, kommandiert sie im guten Englisch.

      Ihre Schritte hallen auf den Terracottafliesen, in ihrem Besprechungsort setzt er sich ohne ihr Geheiß auf eine plüschige Couch. Sie streckt sich über die Gesamtheit der Längsseite, seitlich prunkt ein Mahagonischreibtisch mit Einlegearbeiten und vergoldeten Löwenfüßen.

      „Möchtest Du ein Bier trinken?“, fragt sie, die Stimme klingt hörbar freundlicher.

      Er entdeckt ihren Ohrknopf, am Hinterteil zwei Handys, sagt: „Ja, gern.“

      Im strammen Dastehen schickt sie kurze abgehackte Sätze durch ein Walkie-Talki. Sie öffnet