Elmar Zinke

Eine Frau für Mama


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widerfährt ihr hastig. „Zwanzig, mehr.“

      „Wie gut sprichst Du Englisch?“

      „Nicht bloß Bumbum“, kichert sie das Gesagte. „Sage viel. Ganzes Buch. Noch mehr verstehen.“

      „Wollen wir zusammen eine Reise machen? Eine Woche oder etwas weniger?“

      „Ja.“

      „Gut, ich kaufe für morgen zwei Tickets nach Phnom Pen.“

      Sie nickt eifrig, bis zu Ladymamas Wiedereintreffen strahlt sie in Begeisterung und Reinheit.

      „Alles klar?“, fragt Ladymama, blinzelt wie in grelles Licht.

      „Reden wir noch über das Finanzielle“, sagt er sachlich.

      Sie ballt die Fäuste, stößt sie aneinander.

      „Wahre Dein Geld allen Menschen in diesem Raum das Gesicht“, verklärt sie feierlich ihr Geschäftsmodell.

      „Für jeden Tag einhundert Dollar“, schlägt er nach kurzem Überlegen vor. „Vierhundert Dollar jetzt, der Rest am Ende. Außerdem eine kleine Erfolgsprämie, wenn wir eine gute Zeit miteinander verbringen.“

      Die Hausbesitzerin bläst ihre Wangen wie einen Luftballon auf, übt sich im theatralischen Luftablassen, kräht: „Ihr seid ein echter Gentleman. Mit euch führt junge Lady ein gutes Leben.“

      „Nicht gute Reise, nicht wenig Geld“, sprudelt Nhim furchtsam hervor und faltet die Hände in Kinnhöhe.

      Er blättert die erste Rate der Kaufsumme überschaubar hin. Ladymama schiebt die Scheine zusammen, nimmt mit angeleckten Fingern jede Banknote zur Hand, grunzt: „Vertrauen ist gut, Zählen ist besser“.

      Von Klopp durchströmt ein warmes Grundgefühl.

      „Sei bitte pünktlich acht Uhr vor dem Hotel“, wendet er sich an Nhim.

      Ihr Kopf senkt sich zur auffälligen Schäglage, die Daumenspitzen ihrer gefalteten Hände tupfen an ihre Nasenspitze.

      Von Klopp wirft einen Blick zum Vorplatz des Hotels, Rauchwolken einer Unratverbrennung auf dem Nachbargrundstück mindern die Sicht. Sein Frühstückstisch am offenen Fenster gestattet die Aussicht auf die gepflegten Außenanlagen der Rückseite des Hauses, eine Vielzahl von Bediensteten trifft hier letzte Vorbereitungen einer herrschaftlichen buddhistischen Hochzeitszeremonie.

      Am Büfett bescheidet er sich mit Käse und Marmelade, die schlechte Güte der Brötchen stößt ihm übel auf. Für die Einhaltung der Übereinkunft bürgt allein das gegebene Wort, denkt er während des Frühstücks. Nach guter hanseatischer Sitte. Die Welt stützt sich auf Menschenvertrauen und nicht auf die breit gestreuten Niederungen des Menschengeschlechtes. Mama indes stellt diesem Vertrauensvorschuss seit Urzeiten wasserdichte Kontrakte entgegen. Bei Käthe setzt sie sogar einen Vertrag mit Wortlast über Gebühr auf. Nach so vielen Jahren im Haus.

      Von Klopp überprüft die Uhrzeit, holt Nachschub am Kaffeeautomat und denkt entsetzt, oh Gott, ich muss mich endlich bei Mama melden! Aber diese schreckliche Zeitverschiebung. In Hamburg herrscht jetzt Schlafenszeit. Gewissensbisse lindert er durch eine SMS, das Beruhigende im Ausführlichen streut er sicherheitshalber auf zwei Kurzmitteilungen.

      Der Zeitvorrat einer halben Stunde führt ihn abermals zum Büfett. Ein Angestellter stellt Früchteteller ab, von Klopp langt übermäßig zu, neben mundfertig geschnittenen Stücken von Ananas, Honigmelone und Zitrusfrüchten bevorzugt er eine dicke Scheibe Wassermelone. Das Fleisch trennt er von der Schale mit seinem rasierklingenscharfen Fischmesser, das Schneidwerkzeug begleitet ihn auf sämtlichen Reisen in einer Tasche am Gürtel. Mitten im Schälvorgang rutscht er ab, über die gesamte Breite der Fingerspitze klafft eine halbzentimetertiefe Wunde.

      „Tolpatsch!“, knurrt er halblaut.

      Das Blut tupft er mit einer Serviette ab, erst im Zimmer versiegt die Verletzung. Über die Wunde klebt er ein Heftpflaster, wenig später löst es sich unbemerkt. Beim Checkout herrscht im Minibargebrauch Übereinstimmung zwischen seinen Angaben und der Inaugenscheinnahme des Hotelpersonals. Er zahlt mit der Kreditkarte, für das persönliche Abschiednehmen hält er vergeblich nach Munny Ausschau.

      Im sich aufklarenden Tageslicht ähnelt Nhims quer gestelltes Rollköfferchen vor dem Tuk-Tuk einem schlafenden Hund, im losen Nebeneinander mit Dschin erliegt Nhim einem gesteigerten Mitteilungsbedürfnis. Von Klopp fällt ihr olivgrüner Rollkragenpullover mit langen Ärmeln auf, ihr herabfallendes Haar und ihr entspanntes Gesicht. Nach einer förmlichen Begrüßung dehnt sich das Schweigen auch an der Bushaltestelle. Rucksacktouristen bevölkern zuhauf die Bürgersteige des Verkehrsknotenpunktes, größtenteils warten Pärchen mit einem Studentenaussehen auf einen fahrbaren Untersatz.

      Ein Mann Anfang Sechzig tritt als Single in Erscheinung. Aus dem schmuddeligen Weiß seines Jeansanzuges ragt ein weißes, weit aufgeknöpftes Hemd, ein Gummiband zügelt rücklings die langen widerspenstigen Haare. Zum billig ausschauenden Brillengestell paart er handgefertigte, purpurrote Schuhe, eine unbequeme Sitzhaltung strafft den kleinwüchsigen Körper.

      „Fährst Du auch nach Sihanoukville?“, spricht er von Klopp deutsch und freundlich an.

      „Nein, nach Phnom Pen. Aber einen Tag oder zwei Tage später kommen wir nach.“

      „In Phnom Pen gönnte ich mir einen Monat. Diese Stadt ringt noch um ihre Seele. Spätestens in zehn Jahren geht der Kampf verloren. Dann schaudert die Stadt wie das Einheitsmonster Bangkok.“

      Von Klopp nimmt das Gehörte widerspruchslos hin, vergegenwärtigt sich die Reiseroute, schlussfolgert:

      „Offensichtlich reist Du ohne klares Ziel.“

      „Das tue ich seit Jahren“, widerfährt ihm traurig. „In der ganzen Welt.“

      Die Männer stellen einander vor, sogleich hält Antonio Antillo einen Vortrag über die Stadt am Mekong. Er schönt die Prachtbauten am Mekong, durchstreift mit Hingabe jede Ecke und Nische des Königspalastes, trotzt dem klobigen Gebäude des Spielcasinos den Status des Ansehnlichen ab. Den ersten Platz seiner Schönheitshitliste sichert er der schachbrettartig angelegten Altstadt mit ihren beschaulichen Kolonialbauten zu, den schleichenden Verfall stuft er als zart, originär und Zuspitzung des Schönen ein. Antillo schließt die Augen mit der Hingabe eines Weinliebhabers nach dem ersten Schluck seiner Lieblingsrebe, hebt die Lider in Zeitlupe, reißt sie auf.

      „Mein Bus“, ruft er schrill.

      Aus dem Minibus der Gegenfahrbahn heult rhythmisch der Motor auf. Antillo wirft den ledernen Rucksatz über die linke Schulter, schnappt den Hartschalenkoffer, stürmt mit einem leicht hinkenden Bein los. In der Straßenmitte büßt er das Gleichgewicht ein, knallt auf den geschotterten Asphalt, liegt wie tot da. Autos vollziehen vor ihm eine Vollbremsung, von Klopp hastet zu ihm, greift beherzt den Körper. Das Stützen im Aufstehen missrät ins Linkische. Von Klopp bemächtigt sich des Koffers, schenkt Antillo Halt bis zur Bustür.

      „Danke“, spricht Antillo mitgenommen, drückt eine Träne hervor, schüttelt von Klopp beidhändig die Hand. „Am Meer feiern wir das Wiedersehen. Versprochen? Ich lade Dich und Deine reizende Begleitung zum Essen ein. In zwei Tagen um zwanzig Uhr am Hafen. Er liegt am nördlichen Strandabschnitt. Kommt Ihr später, kein Problem. Mein Freund, ich warte jeden Abend. Ich muss Dir …“

      Antillo würgt den Satz ab, steigt ein. Auf seinem Platz presst er die flache Hand gegen die Fensterscheibe, von Klopp gewahrt die großflächig geschrammte Innenfläche. Noch im Stillstand des Busses gleitet von Klopps Blick mechanisch zum Blutverschmierten seiner Hand, gleichzeitig stellt er Nhims Abwesenheit fest.

      „Kein Wasser für Blut“, erklärt sie achselzuckend nach ihrer Rückkehr.

      Von Klopp nutzt zu diesem Zeitpunkt seinen Koffer als Sitzgelegenheit, schaut betrübt drein. Das fremde Blut und von Klopps aufgerissene Verletzung tupft sie mit geübten Handgriffen, aus der Wunde sickert ununterbrochen Blut nach. Übellaunig schüttelt sie den Kopf, sputet sich, kehrt mit einer Zweiliterflasche Mineralwasser aus einem Minimarkt zurück. Nach dem Reinwaschen