Elmar Zinke

Eine Frau für Mama


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Zur Erhöhung der Gunstchancen schaben lanzenspitzenförmige Fingernägel über seine Handrücken, ein Fuß wirft klobigen Ballast weg, erobert friedfertig von Klopps Waden. Von einem Kopf fällt hochgestecktes Haar herab, an einer anderen Stelle zaubert heftiges Kopfschütteln eine vollkommen neue Frisur herbei.

      „Frauen müssen arbeiten“, wirft die Chefin ein. „Welche Frau willst du? Oder alle Fünf?“

      In von Klopp mischt sich das Unentschlossene, Ablehnende und Forsche ins Durcheinander, Ladymamas Teeschlürfen unterbricht die Grabesstille. Nach einem unsicheren Augenaufschlag tritt ein Augenkontakt ohne Absicht ein, flugs wähnt sich die Angeschaute als Siegerin, drückt dieses Gefühl aus. Ihre kleine Hand gedenkt seine Hand zu verschlingen wie eine Schlange ein übergroß erscheinendes Beutetier.

      „Ihr Name ist Sovann“, mischt sich Ladymama ein. „Ein Geschenk als Kostprobe für eine Nacht.“

      „Das ist sehr freundlich“, reagiert von Klopp geradezu betreten.

      „Komm morgen um Fünf“, gehen ihre Worte schnörkellos über die Lippen, „Wie ich höre, willst Du eine Frau für längere Zeit kaufen. Oder ganz lange. Bring genug Dollar mit. Vielleicht ist Sovann die Richtige. Oder eine andere.“

      Sovann tritt mit Ladymama in einen kurzen Wortwechsel, kneift im Gehen seinen Unterarm. Im Eingangsbereich ruft eine Minibusladung japanischer Krawattenmänner wildes Geschrei hervor, die Gruppe drückt den Altersdurchschnitt der mittlerweile anwesenden Kundenschar. Munny begrüßt von Klopp und seine Begleitung mit einem strahlenden Gesicht, im Hotel dankt er dem Gast die Zwanzigdollarnote mit einem ehrerbietigen Gruß.

      „Was bedeutet Dein Name?“, will von Klopp im Zimmer ein nettes Gespräch ankurbeln.

      „Kondom?“, nimmt sie ruppig einen Themenwechsel vor.

      Von Klopp klärt sie über das Schubfach des Nachtschränkchens als Platz des Erfragten auf, sie vergewissert sich, lächelt zufrieden. Das Ausziehen des Wenigen übernimmt sie zügig und selbständig, in Splitternacktheit sinkt sie in eine steife Schneidersitzpose. Sie legt ihre gefalteten Hände über ihren gekreuzten Beinen ab, ihm fällt der Vergleich mit einer Buddhafigur ein. Ohne äußere Einwirkung bringt sie sich in die Stellung einer horizontalen Erscheinungsform, unverzüglich trifft sie die Sicherheitsvorkehrung, wartet in ihrer Kernkompetenz mit hochgradig zielführenden Liebetechnologien auf.

      Im körperlichen Auseinander trällert Sovann volkstümlichen Singsang los. In andächtiger Ergriffenheit bringt sie nicht die melodische Weite einer ganzen Liedstrophe zu Gehör, unentwegt wiederholt sie die Kurzform einer Liedzeile. Im Nachgang kommt zuerst die Zigarette und dann Lady in black, übermannt ihn die Erinnerung. Zuerst die einführenden Instrumentenklänge mit variantenreichen Wiederholungen wie bei einem Livekonzert, dann der Text und diese rauchige Stimme.

      Sovanns Abgang entgeht von Klopp, die Spülung der Toilette klärt ihren Aufenthaltsort. An der Zimmertür verabreicht sie ihm Wangenhauchen, er entlässt sie mit einer unzureichenden Dollarnote. Er denkt weiter an Sophie zurück, bezieht die gemeinsame Tochter Charlotte ein. Viel Gin und wenig Tonic wehren die zeitlos lauernde Selbstanklage ab.

      Kapitel 4

      Von Klopp befolgt seinen Grundsatz strikter Pünktlichkeit, nimmt den Weg zum Servicecenter erstmalig im Hellen und ohne Munny, die Tagschicht bindet ihn im Hotel, nach kurzem Abwägen zieht von Klopp ein Tuk-Tuk einem Fußmarsch vor. Graue Mauern umzingeln die Gasse beidseitig, auch vernachlässigte Natur im Hinterland bringt Menschenleere zum Vorschein. Von Klopp blinzelt zur uneinsichtigen Wegkrümmung vor ihm, schmunzelt über die Aussicht auf einen Raubüberfall. Die Ahnung tritt hundertmal weniger ein als das Ungeahnte, denkt er. Ach was, tausendmal.

      Ladymama empfängt ihn ganz in weiß, eine Fingerkrümmung zitiert ihn zu ihr, er zögert einen Lidschlag. Sie schlingt ihre Hände um seinen Hals, biegt seine Bambussteife in Abdrückhöhe, ein Fingernagel ritzt seine Halsschlagader wie eine Messerspitze.

      Sie drückt seinen Körper beiseite, säuselt: „Geschäft?“

      „Bisher fehlt die Frau dafür.“

      Ladymama erteilt Kommandos durch das Walkie-Talkie, binnen weniger Minuten füllt ein Dutzend blutjunger Frauen den Raum. Ihr Stelldichein geben in von Klopp flüchtig abgespeicherte und wildfremde Gesichter, keine Frau fesselt ihn länger als einen Augenblick.

      „Vor zwei Tagen waren zwei Frauen in der engeren Auswahl“, spricht er langsam. „Wo ist die Frau, die nicht ins Hotel kam?“

      „Welche Nummer?“

      „Darauf achtete ich nicht“, gibt er sich arglos, fügt nach reichlich Bedenkzeit hinzu: „Sie sieht nicht aus wie eine Khmer oder eine Thai. Eher wie eine Japanerin oder eine Chinesin.“

      Ladymama grübelt mit regloser Miene, eine Erleuchtung legt etwas Durchtriebenes frei. Sie wählt eine Handynummer, spricht abgehackt einige Sätze.

      „Wir haben eine halbe Chinesin, aber sie sieht aus wie eine ganze Chinesin“, erklärt sie.

      Sie greift in die Mundwinkel, dehnt die Lippen, redet weiter: „Das Gesicht ist das Gegenteil von lang. Aber nicht kurz. Sie ist nicht hier. Warten wir.“

      Sie reicht ihm ungefragt ein kaltes Bier im Glas, von Klopp trinkt mäßig.

      „Gehört Dir das Haus?“, kurbelt er eine Unterhaltung an.

      „Gekauft vor wenigen Monaten. Ich leiste schwere Arbeit dafür. Zwanzig Jahre, Mein halbes Leben.“

      Sie sieht wie Sechzig aus, denkt er amüsiert. Offenkundig bewahrheitet sie das Klischee der doppelten Alterung in dieser Berufssparte.

      „Gehen die Geschäfte gut?“

      „Gut, ja“, wiegt sie bedächtig den Kopf. „Zu viel Geld zahle ich für Provision. Fünf Dollar. Besser, die Gäste kommen allein.“

      „Denk nicht an das Geld, was Du an Dritte abgibst, sondern daran, was Dir Dritte Gutes überbringen.“

      Er erntet ungläubige Blicke, wiederholt das Gesagte mit anderen Worten, nimmt das scheinbare Nichtverstandenwerden als gegeben hin.

      „Gibt es ein Problem mit Aids?“, setzt er seine Befragung fort.

      „Kein Problem“, wiegelt sie ab. „Ich schicke jede Lady alle drei Monate ins Krankenhaus. Test positiv…“

      Sie vollendet den Satz durch eine wegwerfende Handbewegung, ihr Gesicht verschießt eine geballte Ladung Wut und Ekel.

      „Demnach ist Aids ein Problem“, schlussfolgert er.

      Ein kleines Beben erzittert ihre Brust und ihre Hände.

      Sie packt ihn derb am Arm, stellt brüllend klar: „Wenn Test positiv, dann Kaution weg. Tausend Dollar. Deshalb ist es kein Problem. Jede Lady ist gute Geschäftsfrau.“

      Die Frau im Türrahmen nutzt ihr Haar zu einer stabförmigen Erhebung in der Kopfmitte. Klein und forsch setzt sie ihre Schritte, die fleischigen Wangen nähren den Eindruck eines breiten Gesichtes. Von der Makellosigkeit ihres Äußeren künden ihre vollen Lippen, ihre groß gezogenen Augen, eine blass gepuderte Haut. Das erste Lächeln zeigt gleichmäßige Reihen mäusekleiner Zähne, das Kleid leistet einen Offenbarungseid für einen superschmalen Körper. Er schließt auffällige Rundungen ein, die Brüste wirken schöngebessert.

      „Ich lasse euch einen Augenblick allein“, streut Ladymama ein, entschwindet.

      „Wie heißt Du?“, fragt er in das kecke Lächeln.

      „Nhim.“

      „Nimm“, wiederholt er heiter.

      Sie kramt aus der Schublade des Schreibtisches ein Blatt Papier und einen Bleistift, schreibt die Großbuchstaben NHIM auf, wiederholt das Wort. Der H-Buchstabe fehlt in der Aussprache, denkt er unverfänglich. Nimm mich. Nimm alles Hab und Gut. Nimm Mama.

      „Wie alt bist Du?“