Elmar Zinke

Eine Frau für Mama


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ein, Ball übersetzt es in ihre Muttersprache.

      „Bong slang one“, spricht er ihr nach.

      Ball nickt verhalten Einverständnis, sagt: „Baby, gontpai.“

      Er wiederholt beide Worte, Ball spreizt rechtshändig Zeigefinger und Mittelfinger zu einem schmalen Victoryzeichen, führt die Hand zu den Lippen.

      „Barei“, sagt sie, ihre Stimmlage bekundet Abscheu.

      „Smoking“, lächelt er seine Vermutung hinaus, „Rauchen“.

      Er klopft eine Fingerspitze an die Brust, vollführt eine beiderseitige Kopfdrehung.

      Ball faltet die Hände in Kinnhöhe, sagt: „Tamate“.

      Die Körpersprache fördert nicht die Übersetzung, auch das Zeigen auf die gegenständliche Welt im Zimmer dient nicht der Wahrheitsfindung. Von Klopp erklärt das Wort kurzerhand zum unlösbaren Rätsel, küsst ihre aalglatte Wange. Den gesprochenen Worten folgt Geschriebenes in sein leeres Notizheft. Ihre Khmerschriftbild wirkt auf von Klopp uniform, die Buchstabenlängen im Falle von ´Tamate´ ähneln aus seiner Sicht den ungelenken Schreibeigenheiten eines Schulanfängers. Die Schreibweise seines Namens, ihres Namens und des Wortes Baby festigen seine Eindrücke, zugleich entdeckt er in ihren Achselhöhlen mehrere Leberflecken.

      Womit diene ich uns noch?, denkt er und rutscht vom Bett. Das gesuchte Badetuch findet er feucht auf dem Badfußboden vor. Er schlingt es um seine Hüften, strebt zielbewusst zu einer Wand. Sie liegt dem Bett gegenüber, seine Finger richtet er zum einzigen Bild im Raum. Die lackholzgerahmte Farbfotografie rückt Angkor Wat vor einen verlöschenden Sonnenball, das Nichtvorhandensein von Menschen steigert die besinnliche Grundstimmung.

      „Angkor Wat“, strahlt sie.

      „Bild“, sagt er. „Das ist ein Bild.“

      „Angkor Wat“, wiederholt sie rechthaberisch.

      Von Klopp anerkennt den missverständlichen Charakter des Gegenstandes, zeigt in Balls Richtung: „Bett“!

      Ihre Hände gleiten über das Metallbettgestell, unsicher entfährt ihr: „Beed“.

      „Bett“, wiederholt er ausdrucksstark.

      „Bett.“

      Von Klopp hebt den Daumen vor Anerkennung, beide steigern ihr Lächeln ins Übertriebene. Das Geschäftspaar bezieht den Stuhl, die Lampe und den Schrank in diese Redeebene ein, im Weiteren dehnt sich der Wunsch zur Verständigung auf das Schreiben in deutsch und in Khmer aus. Die ausgelassene Heiterkeit beflügelt beide zum verbalen Zerlegen des Zimmers bis zu den Nebendingen Bodenvase, Bademantel, Lichtschalter, Kugelschreiber, Menükarte, Klodeckel, Eiswürfel und Zahnbürste. Ball unterbindet das Ausreizen der Idee bis zum letzten Gegenstand. Sie greift vom Nachtschränkchen den Kambodschareiseführer, fortan dienen Fotos als Hilfsmittel zum Reden und Lachen. Von Klopp hört ihr genau zu und denkt, Mama könnte Kuh heißen. Und diese enorm lange Zeit zwischen beiden Silben, hochinteressant. Ball blättert immer neue Bilder auf, sie einigen sich auf die Übersetzung von Tatkru mit Krokodil, von patei meit mit Himmel, von Lok Dschadlei mit Stupa.

      Ein Postkartenmotiv zeigt Pfahlbauten am Flussufer. Palmen umgeben sie paradiesisch, in der Flussmitte trägt ein schmales Boot ein Mannweib, Holzkisten, Vogelkäfige und Obstkörbe. Balls Sinne geraten in helle Aufruhr. Ihr Mittelfinger hämmert in die Senke ihrer Brüste, aus ihren Augen quellen Tränen.

      „Deine Heimat?“, fragt er ergriffen.

      Ihr Gesicht drückt Unverständnis aus, mit gedämpfter Stimme setzt er neu an: „Mama, Papa“?

      Sie bejaht die Frage mit ungestümen Regungen, die Klingeltöne ihres Handys schrillen in dieses mitreißende Gefühl. Die andere Seite redet unaufhörlich, von Klopp zieht sich ins Bad zurück, fummelt vor dem Spiegel im Gesicht. Nach seiner Rückkehr zappt die junge Frau durch die Fernsehprogramme, sie wirkt angegriffen und blickleer. Ein Sportsender überträgt Thaiboxen in einer überfüllten Arena, sie stoppt die Suche, von Klopp atmet erleichtert auf,

      die unangenehme Luftkühle der Klimaanlage bewegt von Klopp unter das Bettlaken. Du lieber Gott, was so ein Mann nicht alles alles denken kann, redet er mit sich. Beschämt nur steh ich vor ihm da und sag zu allen Sachen ja. Bin doch ein arm unwissend Kind, begreife nicht, was er an mir findt. Ihre kalten Hände wagen einen Annäherungsversuch, das Verinnerlichte in ihm klingt aus, er blickt umher. Ball löst sich aus ihrer Wartestellung, an der Türschwelle zückt er das Portmonee für ein gutes Handgeld.

      „Du lieben Mann?“, fragt sie ängstlich.

      Er verneint es erschrocken, wie zur Beglaubigung streichelt er ihre vollständig freie Schulter.

      „Kein Mann, kein Kind, kein Krankheit“, sagt sie, es fehlt nicht an Gefühlen zwischen Gedrücktheit und Zuversicht.

      Wenige Minuten nach ihrem Weggang klingelt das Zimmertelefon.

      „Hallo Sir“, meldet sich die Stimme des Nachtportiers. „Ihre Lady will das Hotel verlassen. Ist das in Ihrem Sinne?“

      „Das geht in Ordnung“, bestätigt von Klopp.

      „Gute Nacht, Sir“, sagt der andere, legt auf.

      Kapitel 3

      Ein Traum zeigt von Klopp mit Betty am Pool seines jetzigen Hotels. Er liegt auf dem blanken Gestell einer Liege, Betty führt Kunststücke eines Zirkusakrobaten vor. Ihre Hände werfen und fangen tennisgroße Bälle, mal drei und mal vier. Klingenlange Messer schlagen in eine Palme ein, an einer Holzwand umreißen vier Äxte ein Quadrat. Im Badeanzug springt Betty ins Wasser, speit aus dem Mund eine Stichflamme, ihr Abtauchen löscht das Feuer. Der Traum reißt ihn im Morgengrauen aus dem Schlaf, die Rückholaktion der Traumbilder macht von Klopp hellwach. Wieso diese Betty und nicht Ball?, denkt er. Er versucht sich im Bücherlesen, ermüdet alsbald für die Reststunden bis zur üblichen Frühstückszeit.

      Der Helfershelfer von gestern schwingt von Klopp die Ausgangstür auf, sein Gesicht kündet von verschworener Nähe. Vor der Hotelanlage riecht von Klopp den Geruch von frisch gemähtem Rasen, der Tuk-tuk steht im Schatten eines laubreichen Baumes, der Fahrer wienert den Lederbezug der Rückbank. Nach der Handreichung stellt sich von Klopp mit Martin und der Fahrer mit Dschin vor. Von Klopp steigt ein, breitet über seine bedeckten Oberschenkel eine Karte von der weitläufigen Tempelanlage Angkor. Er kennt die Vorzeigeobjekte aus dem Vorjahr, nennt sie Dschin. Dschins skizzierte Streckenführung beugt einer Wiederholung vor, findet ein gesundes Maß zwischen der Entfernung und der Bedeutsamkeit der Sehenswürdigkeit.

      „Angkor Wat möchte ich natürlich wieder sehen“, spricht von Klopp in Vorfreude. „Als krönenden Abschluss.“

      Geschmeidig ordnet sich Dschin in einen gut fließenden Verkehr ein, zwischendurch lobpreist er den Fußball in Deutschland. Die Namen Schweinsteiger, Klinsmann und Beckenbauer fallen, der Fahrgast quittiert die Namensnennungen mit nickender Zustimmung und denkt kurz über die Generationenabfolge nach.

      Dschin breitet sein mittelprächtiges Fußballwissen weiter aus, eine Leerstelle nutzt von Klopp zur Frage: „Tamatei, was bedeutet dieses Wort?“

      Der Fahrer bezeugt stumm seine Unwissenheit, ohne Erfolg schiebt von Klopp alle gängigen Betonungsvarianten hinterher. Die Sonne legt an Stärke zu, das multinationale Touristenheer fällt über die Tempelstadt im Urwald her. Sein Kopf speichert Ankors Bilder lupengenau ab, das magische Nimmersatt auf das Kommende bleibt bestehen. Er klettert emsig Tempelgipfel empor, weidet sich am Ausblick ins Malerische. Er schluckt den feinen Staub halbdunkler Gänge, häufig zwingt die Enge zum gebeugten Gehen. Von Klopp fotografiert weniger als die meisten Touristen, die eigene Person spart er grundsätzlich aus, die hundertfache Vielfalt von in Stein gehauenen Figuren erklärt er allesamt zu Studienobjekten. Er betastet die Reliefkunst und denkt, keine Ahnung, warum mich der Direktkontakt genauer an alles erinnert. Aber es ist so.

      Während der langen Strecke zu Prasat Sour Prat drängen Luxusreisebusse den Tuk-Tuk durch dröhnendes