Narcia Kensing

Saphirherz


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ewig so weiter gehen. Wollte sie auf Alexis' Couch alt werden? Sicherlich nicht.

      Lilly erhob sich schwerfällig, ging ins Bad, putzte sich die Zähne, löschte das Licht und ließ sich zurück aufs Sofa fallen. Was für ein beschissener Tag!

       ***

       03.05.1987, New York City

       Mit einem Gluckern versickerte das Dreckwasser im Ausguss und hinterließ einen schmierigen schwarzen Film auf der weißen Keramik. Erneut verteilte ich Seife auf meinen Handflächen, verrieb sie zu einem cremigen Schaum und schrubbte mir die Fingernägel mit der Nagelbürste, doch das Ergebnis wurde kaum besser. Entnervt trocknete ich mir die Hände an einem Handtuch, das so schmutzig war, dass man sich neuen Dreck auf den Händen verteilte. Ach, was soll's. Man sah zumindest, dass ich mein Geld mit ehrlicher Arbeit verdiente. Ich stopfte die fleckige Arbeitshose in meinen Rucksack und verließ den Waschraum.

      »Hast du an den Ölwechsel von dem Porsche gedacht?«, rief Harry quer durch die Werkstatt. Er tippte mit dem Finger auf seine billige Armbanduhr aus Plastik, die nicht einmal von weitem den Anschein erweckte, teuer gewesen zu sein. Lohnte sich auch nicht in unserem Job.

      »Ja, ich weiß, ich mache zehn Minuten zu früh Feierabend. Aber der Porsche ist fertig, du kannst Mr. Belani anrufen und es ihm sagen.«

      Wie gerne hätte ich mir selbst so eine Karre gegönnt, anstatt mir nur die Hände daran schmutzig zu machen. Stattdessen schlug ich mich mehr schlecht als recht durchs Leben, an ein Auto war nicht einmal zu denken.

      Harry nickte und wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Okay, dann geh. Bis morgen!« Er wendete sich wieder dem 85er Dodge Lancer mit dem gerissenen Keilriemen zu. Harry arbeitete wie ein Tier, manchmal hatte ich das Gefühl, dass er in seiner Werkstatt schlief.

      Ich liebte Autos, aber ganz so weit ging meine Begeisterung nicht. Punkt sechzehn Uhr machte ich Feierabend, basta. Ich hatte schließlich noch ein Leben neben der Arbeit. Bisweilen warfen mir meine beiden Kollegen Dan und Kyle einen bösen Blick zu, wenn ich den Schraubenschlüssel fallen ließ und ging, aber das war mir egal. Harry wusste, dass er keinen besseren Mechaniker finden würde als mich, und das nutzte ich gerne aus.

      Ich rief noch ein 'Bye' in die Werkstatt, das sich an niemand Bestimmten richtete, und trat hinaus auf den Bürgersteig, ohne eine Antwort abzuwarten.

      Zumindest hatte es aufgehört zu regnen, die Straßen und Bürgersteige waren nass und dampften in der Nachmittagssonne, die sich durch die dichten grauen Wolken gekämpft hatte. Seit ich am Morgen mein winziges Einzimmerapartment in der 72. Straße verlassen hatte, hatte es geschüttet wie aus Eimern. Dementsprechend schwül war es jetzt, für einen Tag im Mai eigentlich viel zu warm. Mir klebte mein Shirt unter dem Rucksack am Rücken, eine Schweißperle rann mir an der Schläfe hinab. Ich ahnte bereits, wie warm und stickig es in der Metrostation unterhalb der Straße sein würde, und beschloss deshalb, fünfzehn Blocks zu Fuß zu gehen. Schließlich wartete zuhause niemand auf mich, außer vielleicht der Haushalt. Ich hoffte noch immer, dass er sich irgendwann von allein erledigen würde, wenn ich ihn nur beharrlich genug anstarrte, aber bislang hatte er mir den Gefallen nicht getan.

      An Werktagen waren die Straßen von Manhattan zu dieser Uhrzeit unerträglich voll. Zu den Tausenden von Touristen kamen etliche, die - so wie ich - um sechzehn Uhr ihre Arbeit niederlegten und eilig auf dem Weg nach Hause waren. Wohl dem, der sich ein Heim leisten konnte. Viele Pendler reisten jeden Tag von weit her nach NYC, um zu arbeiten. Immerhin konnte ich ein Zimmer innerhalb der Stadt mein Eigen nennen. Wenigstens ein kleiner Vorteil, irgendwie musste man sich das Dreckloch schließlich schönreden.

      Nachdem ich mit gefühlt fünfzig Personen zusammengestoßen und mich drei Mal von einem Taxi habe anhupen lassen, bereute ich beinahe, nicht die U-Bahn genommen zu haben. Inzwischen brannte die Sonne unerbittlich. Zwar erreichte sie zwischen den Häuserschluchten selten den Asphalt, dafür gab es auch keinen Wind, der einem die Temperaturen ein wenig angenehmer hätten erscheinen lassen.

      Ich wandte mich nach rechts und ging die zehnte Avenue nordwärts. Hier war es ein wenig ruhiger, den größten Trubel gab es Downtown, dort, wo die Touristen sich von zahllosen Theaterticketverkäufern anquatschen ließen.

      Neben der Metropolitan Opera gab es einen kleinen Park, den ich jeden Tag auf dem Weg nach Hause passierte. Ich hatte der Ansammlung von alten Eichen nie viel Beachtung geschenkt, aber heute blieb mein Blick auf einem Farbklecks hängen, der zwischen den Sträuchern unter den Bäumen hervor blitzte. Weshalb man in dieser bunten Stadt ausgerechnet auf ein gelbes Shirt starrte, das zwischen all den anderen in allen Farben schimmernden Klamotten der Passanten genau genommen mehr als unscheinbar war, ist mir ein Rätsel. Dennoch glotzte ich auf den Rücken seiner Trägerin, die auf einer kniehohen Mauer im Park saß und sich über etwas auf ihrem Schoß beugte. Ich sah nur ihren Hinterkopf, ein blonder schulterlanger Schopf. Ihre Statur war zierlich und sie schien in dem ganzen Trubel, der um sie herrschte, seltsam abwesend und gelassen zu sein. Vielleicht war es das, was mir an ihr auffiel. Jeder hier war in Eile, mich eingeschlossen, und auf einer Mauer in einem Park zwischen den Gebäuderiesen saß diese Frau und strahlte eine Ruhe aus, die ich an den meisten Einwohnern der Stadt vermisste.

      Ich blieb stehen, wurde sogleich wieder von einem schimpfenden Passanten angerempelt und ging auf den Park zu. Ich näherte mich der Dame bis auf wenige Yards, machte einen unauffälligen Bogen um sie herum und tat so, als würde ich mir die umliegenden Gebäude ansehen. Ich kam mir dabei albern vor, als hätte ich etwas zu verbergen. Hoffentlich glaubte sie nicht, ich wolle sie überfallen.

      Ich warf ihr einen verstohlenen Seitenblick zu. Sie beugte sich über einen Zeichenblock, der auf ihren Knien lag. Gedankenverloren strich sie sich eine blonde Strähne hinter das Ohr, die ihr jedoch sogleich wieder ins Gesicht fiel. Sie war noch ziemlich jung, vermutlich ging sie noch zur High School. Ich schätzte sie auf maximal sechzehn oder siebzehn Jahre. Ihr Gesicht war ebenmäßig und hell, die Augen blau und wach. Sie war wirklich schön, auch ganz ohne Make Up. Herrje, jetzt kam ich mir wirklich wie ein Schwerverbrecher vor! Ich sollte so etwas nicht über eine Minderjährige denken.

      Sie hob den Blick und für einen Moment sahen wir uns in die Augen. Es durchfuhr mich wie ein Blitz. Obwohl sie keine Miene verzog, stellte ich mir vor, wie sich ihre vollen Lippen zu einem Lächeln kräuselten. Mein Herz wummerte wie eine Kriegstrommel. Rasch wandte ich den Kopf. Ich spürte ihre Blicke noch immer in meinem Nacken prickeln. Oder bildete ich mir das ein?

      Jetzt reiß dich zusammen und geh nach Hause. Such dir Frauen in deinem Alter, nicht so unschuldige junge Dinger!

      Ich kam mir mit einem Mal schäbig und hässlich vor in meinem dreckigen Shirt und den schmutzigen Fingernägeln, wie ein Schandfleck. Der Drang, sich schnell aus dem Staub zu machen, wurde zwar übermächtig, aber aus irgendeinem Grund glaubten meine Beine, ein Eigenleben führen zu müssen. Ich ging zwei Schritte auf das Mädchen zu, und tatsächlich lächelte sie mich jetzt an. Herrgott, meine Beherrschung!

      Weil ich mir dämlich vorkam, wie ein Idiot vor ihr zu stehen und sie anzuglotzen, brachte ich einen unverfänglichen Satz hervor. »Was malst du denn da?«

      »Ich male nicht, ich zeichne.« Ihre Stimme war hell und rein, wie Glockenklang.

      »Und was zeichnest du?«

      »Pflanzen. Heute ein Vergissmeinnicht. Eine meiner Lieblingsblumen.«

      Wie sie mich ansah - völlig ohne Vorurteile. Ich kam damit nicht klar. Ich umgab mich für gewöhnlich mit finsteren Typen, mit Aufreißern und Kleinkriminellen. Frauen kannte ich nur aus windigen Bars und zweifelhaften Etablissements.

      »Machst du das öfter?« Ich beugte mich interessiert ein wenig über ihren Zeichenblock. Talent hatte sie, das musste man ihr lassen. Aber verglichen mit mir hatte so ziemlich jeder Talent, der einen geraden Strich hinbekam.

      »Diese Blume fasziniert mich, sie möchte der Sage nach niemals vergessen werden, ebenso wie ich. Ich möchte der Welt auch etwas hinterlassen, das für immer bleibt.« Jetzt strahlte sie über das ganze Gesicht. »Außerdem ist sie blau, meine Lieblingsfarbe. Saphirblau mag ich am liebsten, aber diese Farbe findet man