Gerald Förster

Galisia


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ohne eine Miene zu verziehen.

      »Der im Schloss installierte Lifescanner«, fuhr Kallenbach fort, »liefert ebenfalls unklare Ergebnisse. Seine Aufzeichnungen decken sich mit den Daten der Fahnder, aber es gibt keine Hinweise darauf, wie der Täter in das Gebäude gelangt ist. Schlussendlich ist das Anwesen mit einem Energiefeld umgeben, das jedes Eindringen anzeigen soll. Auch das hat er unbemerkt passiert. Drei unabhängig voneinander arbeitende Systeme hat er überlistet, ebenso wie die Wachmannschaft. Er hat keinen Fingerabdruck hinterlassen, keine DNA, keine Spur, kein Tatwerkzeug. Nichts. Es scheint, als hätte er nicht einmal geatmet.«

      »Um die Fahnder kümmern wir uns«, tönte einer der Agenten. »Ansonsten würde ich sagen, Herr Kallenbach, erledigen Sie ihre Hausaufgaben.«

      Der warf einen gereizten Blick zurück. »Gut, dass wir darüber gesprochen haben, Herr Schmidt. Für sachdienliche Hinweise bin ich immer offen.«

      »Höre ich da einen sarkastischen Unterton?«, entgegnete Schmidt in einem Akzent, der Widerspruch offensichtlich nicht gewohnt war.

      »Erklären Sie mir nicht meine Arbeit. Sie machen Ihre, ich mache meine«, antwortete Kallenbach, der nicht aufgelegt war, sich vor der Staatsmacht zu ducken.

      Von Stauffen, der die Vibrationen wahrnahm, fühlte sich bereits zum zweiten Mal zum Eingreifen veranlasst. »Machen wir weiter«, unterbrach er die Situation, bevor sie eskalierte. »Dr. Uhland, was hat die Autopsie ergeben?«

      Uhland, der sich im Stillen noch über die kleine Szene amüsierte, blickte auf. »Avaran wurde eine Mixtur aus den Insektiziden Chlordan und Aldrin sowie dem Fungizid Hexachlorbenzol in die Halsschlagader injiziert. In der verabreichten Dosis war das Gebräu absolut tödlich. Er starb innerhalb einer, höchstens zwei Minuten. Es handelt sich um Gifte, die in der Landwirtschaft eingesetzt werden und wegen ihrer krebserregenden Wirkung stark umstritten sind. Ich erwähne das deshalb, weil delikaterweise alle drei Substanzen in dem Konzern hergestellt werden, dem das Opfer bis gestern vorstand.«

      »Warum wird so ein Zeug nicht verboten?«, rief Brandt aufgebracht.

      »Dazu kann ich etwas sagen«, mischte sich Ulfkötter ein. Er setzte seine auffällig gerahmte Brille, die er vorhin auf den Tisch vor sich gelegt hatte, auf die Nasenspitze und schaute unter seinen buschigen Brauen hervor. Dann nahm er sie wieder ab und biss auf einen der Bügel. »Dieses Teufelszeug, wie Sie es völlig zu Recht nennen, stand viele Jahre lang auf der dirty dozen list. Das ist die Schwarze Liste der weltweit geächteten Giftstoffe. EuroPharm gelang es mittels einer Reihe von Gutachten, dass diese und andere verbotene Mittel wieder zugelassen wurden. Ich muss nicht erwähnen, dass man diese Gutachten selber in Auftrag gab und dass sie dann auch die gewünschten Ergebnisse lieferten.«

      »Warum tun die so etwas?«, fragte Brandt unwirsch.

      »Profit!«, wusste Ulfkötter, der jetzt in Fahrt kam. »Zum einen ist die Produktion verträglicher Pflanzenschutzmittel teuer, zum anderen spekulierte man, so den Verkauf seiner sündteuren Therapiemittel an Krebspatienten zu steigern.«

      »Herr Ulfkötter«, unterbrach einer der Herren Schmidt den Journalisten schroff, »wir haben Sie nicht eingeladen, damit Sie uns mit Ihren abstrusen Verschwörungstheorien plagen. Derlei Behauptungen konnten und können Sie nicht belegen.«

      »Meine Herren, das hat doch nichts mit unserem Fall zu tun«, versuchte von Stauffen, der ein verbales Gefecht mit den Staatsschützern zu verhindern trachtete, die Gemüter zu beruhigen. »Kehren wir doch bitte zu den Fakten zurück.«

      Ulfkötter aber überhörte von Stauffens besorgten Einwurf und redete sich weiter in Rage. Seine Finger krallten sich um die Tischplatte. »Falsch! Das sollte ich nicht belegen. Und damit ich das auch ja nicht vergesse, brannte damals meine Agentur ab. Und mit ihr die Ergebnisse meiner Nachforschungen zu dieser und anderer EuroPharm-Sauereien.« Bei seinem letzten Satz war er laut geworden. Sein Gesicht war rot angelaufen und er atmete schwer, fühlte er sich doch jäh wieder an die Nacht erinnert, in der ein vermummtes Rollkommando sein Allerheiligstes in Asche gelegt hatte. Als bekannt wurde, dass er in Sachen EuroPharm recherchierte, hatte man ihn bespitzelt, dann verhaftet, verhört und sogar in Ordnungshaft genommen. Die Zerstörung seines Büros, davon war der Journalist überzeugt, hatte der Staatsschutz zu verantworten, auch wenn er dafür nie Beweise fand. Er stand auf und sah den Agenten drohend an. Dann aber setzte er sich wortlos wieder auf seinen Stuhl. Schmidt zog es offenbar vor, sich nicht weiter zu äußern und sah teilnahmslos auf den erschöpft wirkenden Zeitungsmann.

      »So, jetzt atmen wir alle wieder durch die Nase und dann mache ich mal weiter«, meldete sich Uhland nach einem Moment angespannter Stille wieder zurück. »Auf Avarans Kopfkissen haben wir eine Medikamentenkapsel gefunden. Die Analyse ergab, dass es sich um das Grippemittel Eutamidin handelt. Interessanterweise ist es ein Exemplar aus einer elf Jahre alten Charge, also jener Produktion, die damals wirkungslos geblieben war. Und es wird noch spannender: In dem injizierten Giftcocktail haben wir den H5N1 Virus nachgewiesen. Allerdings in seiner nicht mutierten Form.«

      Augenblicklich wurde es still und eine seltsame Verunsicherung machte sich breit. Bloß das nicht, nicht noch einmal, schien jeder zu denken. Selbst Schmidt und Schmidt wirkten plötzlich nervös.

      »Was ich mit ›nicht mutiert‹ sagen will«, fuhr Uhland unaufgeregt fort, »in dieser Form ist der Virus ungefährlich. Zudem war er lyophilisiert. Das ist eine spezielle Form der Trocknung, die zum Verlust seiner viralen Aktivität führt. Damit ist er konserviert und unfähig, sich zu vermehren. Ich möchte behaupten, dieses Gebräu wurde in einem Labor und von einem Fachmann zusammengemischt.«

      Ganz langsam wich der Schrecken wieder aus den Gesichtern. Was ihm folgte, waren fragende Blicke.

      »Wir können also davon ausgehen, dass da jemand etwas von der Materie verstanden hat. Ein Chemiker möglicherweise«, schlussfolgerte Brandt. »Allerdings frage ich mich, was dieser Auftritt soll.«

      »Diese Mixtur, das Eutamidin, das sind symbolische Hinweise auf EuroPharm«, meldete sich Voss zu Wort. »Hier wurde eine aufwendig vorbereitete Tat zelebriert. Jemand bestrafte Avaran für das, was er zu verantworten hat. Vielleicht ist es späte Rache, vielleicht mehr.«

      »Rache, Symbole«, fiel ihr der Geheimagent, der bisher geschwiegen hatte, ins Wort. »Bevor Sie sich da in etwas verrennen, Frau Voss, meine Herren, möchte ich eines klarstellen: Avaran trägt keine Schuld an dem, was damals passiert ist. Der Oberste Gerichtshof hat das ausdrücklich bestätigt. Ich rate Ihnen dringend, Ihre Ermittlungen in die richtige Richtung zu lenken.«

      Brandt war für seine Verhältnisse bisher zurückhaltend geblieben, jetzt aber wurde er deutlich. »Herr Schmidt und Herr Schmidt, so werden wir nicht weiterkommen. Ein mutierter H5N1 war der Auslöser des größten Sterbens in der Geschichte der Menschheit und er stammte aus dem Hause EuroPharm. Das werden Sie nicht ernsthaft bestreiten wollen. Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder wir lenken, wie Sie es eben nannten, unsere Ermittlungen in die richtige Richtung, oder wir finden heraus, was wirklich passiert ist. Aber seien Sie sich eines bewusst: Stolzenfels ist eine uneinnehmbare Festung. Dennoch ist der Täter dort nach Belieben ein- und ausspaziert. Nicht modernste Elektronik, geschweige denn die Wachmannschaft, konnte ihn davon abhalten. Wer dort hineinkommt, der kommt überall hinein. Woher wollen sie wissen, dass er nicht vorhat, noch weitere Morde zu begehen? Wie es im Moment aussieht, ist vor ihm niemand sicher. Und wenn ich niemand sage, meine ich: Niemand!« Beim letzten »Niemand« hatte er mit der Faust auf den Tisch geschlagen. Dann schaute er in die Runde und wurde sowohl verlegener als auch mitgerissener Blicke gewahr. Er nickte leicht in alle Richtungen und war augenblicklich wieder die Ruhe selbst. Schmidt wollte etwas erwidern, aber Voss ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Ich bin sicher, dass das Motiv in der Vergangenheit zu suchen ist. Sie sollten aufhören, sich und uns Theater vorzuspielen. Max Ulfkötters alte Recherchen kursieren bis heute im Netz. Stimmt es, was dort zu lesen ist? Sie kennen die Wahrheit. Sagen Sie uns, was vor zehn Jahren tatsächlich geschah. Um Avarans Tod aufzuklären, benötigen wir ein wirklichkeitsgetreues Bild von ihm und seinem Unternehmen.«

      Die Agenten sahen sich überrascht an. Mit einer derartig vehementen, zugleich aber auch stichhaltigen Argumentation hatten sie offenbar nicht gerechnet. Erregt