Gerald Förster

Galisia


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für ihre offenen Worte geerntet. Nur von Stauffen war es nicht geheuer, wie die beiden eben die Staatsgewalt zurechtgewiesen hatten. Minuten vergingen in unbehagliche Stille, während sich die Staatsschützer vor der Tür berieten. Nach einer unendlich langen Viertelstunde kehrten sie zurück.

      »Also schön, Frau Voss, Herr Brandt«, begann einer der Agenten. Er war leiser geworden und klang viel zurückhaltender als vorhin noch. Eine seltsame Betroffenheit lag in seiner Stimme und in seinen Zügen war sogar so etwas wie Aufrichtigkeit zu erkennen. »Sie haben recht. Wir können nicht wissen, was diesem Verbrecher im Kopf herum geht. Ab jetzt sind wir alle potentielle Opfer.«

      Von Stauffen lächelte verlegen, während Schmidt sich dem Pressemann zuwandte. Sein Ton wurde wieder schärfer. »Das geht an Ihre Adresse, Herr Ulfkötter: Rikard Avaran ist an einem Herzinfarkt gestorben. Bei seiner labilen Gesundheit war das nur eine Frage der Zeit. Er hat sich einfach zu viel zugemutet. So wird es morgen in der WAHRHEIT stehen. Und falls von dem hier und jetzt Gesprochenen etwas in einem dieser Sudelblätter zu lesen sein sollte, wissen wir, an wen wir uns zu wenden haben. Glauben Sie mir, es wäre ihre letzte Ausgabe. Und noch etwas: Tun Sie sich selbst den Gefallen und verzichten Sie auf Ihre privaten Schnüffeleien. Die Ermittlungen sind Sache der zuständigen Behörden.«

      Dem Journalisten war anzusehen, dass es in ihm brodelte und wie er sich mühte, eine verbale Entladung zu verhindern. Schmidts Augen wanderten indes von Ulfkötter wieder zu den anderen. »Ich gehe davon aus, dass alles, was Sie jetzt hören, hier im Raum bleibt. Es soll Ihren Ermittlungen dienen und ist nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Betrachten Sie das als verbindliche Anordnung.«

      Schulmeisterlich blickte Schmidt über die Köpfe hinweg. Weil offenbar niemand etwas einzuwenden hatte, schlug er wieder einen sachlicheren, gedämpften Ton an. »Ich bin diplomierter Pharmazeut. Wenn ich Ihnen jetzt etwas über die sogenannte Große Grippe erzähle, weiß ich also, wovon ich rede. Wie Sie wissen, waren, bevor die Industrie Deutschland den Rücken zu kehren begann, in jedem größerem Unternehmen Mitarbeiter des Staatsschutzes tätig. Ihre Aufgabe war es, den Firmen beratend zur Seite zu stehen. Mein Auftrag war es, Methoden und Prozesse bei EuroPharm unterstützend zu begleiten. Ich durfte erfahren, was diesen Konzern groß gemacht hat: Neben dem Fleiß seiner Belegschaft waren es in erster Linie die strategischen Fähigkeiten seiner Führungskräfte ...«

      Ulfkötter, der bereits bei »beratend zur Seite zu stehen« heftig zusammengezuckt war, riss es vom Stuhl. »... wozu auch diverse Machenschaften, Intrigen und, Einflussnahmen gehören!«

      Von Stauffen hielt sich die Hand vor die Augen. Schmidt stockte kurz, fuhr dann aber scheinbar völlig gelassen fort. »Ein ausführlicher Bericht zu den Umständen, die letztlich zur Großen Grippe führten, liegt im Archiv des Ministeriums für Gesundheit. Da es sich um ein vertrauliches Dokument handelt, werde ich Ihnen das Wichtigste daraus kurz zusammenfassen. Herr Ulfkötter, selbstverständlich steht es Ihnen frei, mich zu ergänzen. Zum besseren Verständnis werde ich zuerst versuchen, die Hintergründe zu skizzieren.« Schmidt hatte die Stimme gehoben und hielt einen Moment inne. Dabei sah er seinen Partner an, bis dieser, ohne aufzublicken, kaum merklich nickte. »Um der Anforderung der Politik nachzukommen, wachsende Rendite zu generieren, begannen nach der Jahrtausendwende viele Unternehmen ...« Er zögerte kurz. »... lassen Sie es mich so ausdrücken: kreative Gedanken zu entwickeln. Ein Vorreiter hierbei war der Schweizer Pharmakonzern Rosch. Dort hatte man die ...« Er zögerte erneut und suchte nach der passenden Formulierung, die das charakteristische Streben einer Kapitalgesellschaft beschreibt, die dabei angewandten Methoden aber per se nicht infrage stellt. »... die wegweisende Idee, den Umsatz von Medikamenten durch eine geschickte Marketingstrategie anzukurbeln.«

      »Gestatten Sie mir zwei kleine, aber nicht unwesentliche Präzisierungen«, warf Ulfkötter, der seinen Arm gehoben hatte, ein. »Die Idee, eine gefahrlose Krankheit zu einer gefährlichen Epidemie aufzubauschen, um dann ein Medikament, das sonst im Speicher verrottet wäre, als einzig wirksames Gegenmittel anzupreisen, war sehr wohl für die Pharmaindustrie wegweisend, für die Menschen aber bedeutete es unnütze Kosten und gesundheitliche Risiken. Und zweitens: Die so gern proklamierte Legende, nur ein stetiges Wirtschaftswachstum könne den Lebensstandard der Bürger konstant halten, war weniger politisch motiviert als vielmehr eine gern gebrauchte Floskel der Konzerne selbst. Die Politik hat nur die Forderungen der Wirtschaft verkündet. Der Verkauf von Medikamenten brachte Millionen, Rosch aber strebte nach Milliarden.«

      »Aber Herr Ulfkötter«, schaltete sich von Stauffen ein und sah dabei entschuldigend in Richtung der beiden Staatsschützer, »vom Wachstum haben wir doch alle etwas.«

      »Ach so? Helfen Sie mir«, entgegnete der Journalist spöttisch. »Wie lautete noch mal die Frage, auf die das Wachstum die Antwort liefern sollte? Ich empfehle Ihnen, eine bessere Zeitung zu lesen!«

      Ein zustimmendes Gemurmel erhob sich, in dem von Stauffens verständnisloses »Also bitte, Herr ...« von niemandem mehr gehört wurde. Schmidt fuhr mit einem energischen »Ich will offen zu Ihnen sprechen« dazwischen. Augenblicklich wurde es wieder still. Er zögerte einen Moment und dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck zu einer fast leidvollen Miene. »Ich bin persönlich daran interessiert, dass der Tod von Rikard Avaran so schnell wie möglich aufgeklärt wird.«

      Schmidt wirkte kurz verunsichert, fand aber seine Souveränität schnell wieder. »Aber kehren wir zur Vorgeschichte zurück. Ende des zwanzigsten Jahrhunderts ...« Unvermittelt brach er seinen Satz ab und sah den Anwesenden in die Augen. »Irgendwie habe ich das Gefühl, es ist egal, was ich Ihnen jetzt erzähle, Sie werden es anzweifeln. Vielleicht möchte unser Chefenthüller fortfahren. Herrn Ulfkötter werden Sie wohl Glauben schenken.«

      Schmidt sah den Journalisten auffordernd an. Der blickte argwöhnisch zu dem Agenten hinüber und nickte dann langsam. »Wie Sie meinen.« Ulfkötter legte seine Brille wieder vor sich auf den Tisch, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich langsam zurück. »Ende des zwanzigsten Jahrhunderts also«, nahm er Schmidts angefangenen Satz auf, »entwickelte der Biochemiker Buschberger das Grippemittel Flutamin, dessen Wirksamkeit immer umstritten blieb. Der Antrag auf Arzneimittelzulassung scheiterte, weil man seinen Nutzen nicht belegen konnte. Das Präparat drohte, ein Flop zu werden. Erst durch massive Einflussnahme auf wichtige Entscheidungsträger der Weltgesundheitsorganisation wurde es, trotz nicht nachgewiesener Wirksamkeit, dafür aber mit nachweisbaren Nebenwirkungen, in die Pandemiepläne der WHO aufgenommen. Als man dann in den Medien von einem angeblich mutierten H5N1-Virus, der wegen seiner Harmlosigkeit bis dahin kaum wahrgenommen wurde, berichtete und passend dazu einige Grippetote aus Fernost präsentierte, war erreicht, was man erreichet werden sollte: Besorgte Menschen kauften sich scharenweise das Medikament. Rosch steigerte seinen Umsatz durch den Verkauf von Flutamin innerhalb eines Jahres um zwei Milliarden. Die Lobbyisten in der WHO drängten die Politik, sich mit dem Wirkstoff ausreichend zu bevorraten. Durch willfährige Einkäufe der Regierungen wurde das Präparat zum Verkaufsschlager. Von Roschs Erfolg angestachelt, versuchten gleich mehrere Pharmakonzerne, unter anderen die ebenfalls in der Schweiz beheimatete Neuwallis AG, das gleiche Vorgehen noch einmal: Drei Jahre nach dem Erfolg von Flutamin wurde abermals eine, im Normalfall für den Menschen harmlose, durch den Influenza-A-Virus H1N1 hervorgerufene Krankheit, für gefährlich erklärt. Vorhandene Impfstoffe wurden als unwirksam hingestellt und man begann mit der Produktion eines speziellen Präparates. Wieder sorgten die Medien für Verunsicherung und wieder funktionierte das Geschäft mit der Angst. Die Politik gehorchte auch dieses Mal. Die Lobby setzte sich erneut durch und man folgte praktisch ungeprüft den Empfehlungen der WHO, sich mit dem Impfstoff Pandein einzudecken. Allein das deutsche Gesundheitsministerium bestellte daraufhin fünfzig Millionen Dosen. Alle Wirksamkeitsstudien wurden von der Pharmaindustrie finanziert und zurechtgetrimmt, eine unabhängige Studie wurde nie in Auftrag gegeben. Wohl die letzte Grippelüge noch im Hinterkopf und das Flutamin im Arzneischrank entstand in der Bevölkerung ein zunehmendes Unbehagen gegenüber den Behauptungen der Pharmastrategen. Weniger als zehn Prozent ließen sich impfen. Wegen ihrer begrenzten Haltbarkeit mussten übrig gebliebene Impfstoffe im dreistelligen Millionenbereich vernichtet werden. Gelder, die ohne Gegenleistung aus öffentlichen Kassen direkt in private Portemonnaies geflossen waren.«

      Ulfkötter blickte triumphierend auf. Von Stauffen schaute nichts Gutes ahnend zu Boden, während