Sabine Engel

Familie Kuckuck wandert aus


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mir zu.

      Mein Magen rumort und meine Zuversicht hat einen Tiefpunkt erreicht, als ich zu unserem neuen Heim zurückkehre, die Packung mit dem Schutzanzug öffne und mich vor den Augen meiner Kinder in einen Ghostbuster verwandle. Mir fehlt nur noch der Protonen-Rucksack.

      „Was, wenn du ihm damit Angst machst?“, fragt Stina.

      „Falls das Stinktier unsere Wohnung verlässt“, sage ich und will eigentlich hinzufügen, ‚… ist mir egal, ob es das aus Angst oder wegen des Katzenfutters tut‘, verbeiße mir das jedoch tapfer und lächle souverän. „Das werde ich schon nicht, mein Kleines.“

      „Hier steht, Stinktiere versprühen ihr Sekret, wenn sie sich bedroht fühlen“, erklärt Jana.

      „Siehst du, es zu bedrohen kommt also gar nicht in Frage.“ Bea grinst und zeigt dabei ihre leicht übereinander stehenden Schneidezähne. „Am Ende schließen wir alle Freundschaft.“

      „Ich glaube nicht, dass das Stinktier das möchte“, werfe ich schnell ein, bevor sich Stina Hoffnungen macht. „Bea und ich gehen jetzt hinein. Ihr wartet draußen. Okay?“

      Bevor mir jemand widersprechen kann, trete ich ins Dunkel. Weil ich mich nicht traue, das Licht einzuschalten, wer weiß, wie Stinktiere auf plötzliche Helligkeit reagieren, taste ich mich Schritt für Schritt durch den Flur vor, bis ich die etwas hellere Wohnküche erreiche. Von hier gehen die Schlafzimmer ab.

      Im ersten Zimmer sehe ich ein Doppelbett und einen Wandschrank, aber keinen Skunk, weder auf noch unter dem Bett. Vorsichtshalber lüpfe ich die Atemmaske und hole tief Luft. Alles riecht normal oder eben so normal, wie eine Wohnung riecht, die seit mindestens zwei Wochen nicht gelüftet wurde. Hier ist das Stinktier jedenfalls nicht.

      Fragend drehe ich mich nach Bea um, kann sie aber nirgendwo entdecken. Vermutlich ist das Tier im anderen Schlafzimmer. Vorsichtig, um nicht über unerwartete Hindernisse zu stolpern, schleiche ich zurück zur Küche und weiter zur zweiten Tür. Mit jedem Schritt macht mein Gummianzug knatschende Geräusche. Es würde mich nicht wundern, wenn das Skunk mich bereits erwartet. Auf das Schlimmste gefasst, drehe ich den Türknauf und blinzle in den Raum. In der Zimmermitte versinkt ein riesiges Bett unter einem Gewühl aus Kissen und Decken. Erst will ich weitergehen. Doch dann sehe ich durch das Fenster meiner Maske, dass sich eines der Kissen bewegt. Im nächsten Moment mustern mich zwei schwarze Knopfaugen.

      „He, ganz ruhig“, singe ich beschwörend, während ich eintrete und langsam die Dose mit dem Katzenfutter öffne.

      Das Stinktier hebt seinen Kopf und schnüffelt.

      „Na, komm“, locke ich.

      Wegen der Maske klingt meine Stimme gespenstisch dumpf, zumindest in meinen Ohren. Ob das Stinktier mich auch hören kann, weiß ich allerdings nicht. Es beobachtet mich neugierig, bleibt jedoch liegen. Trotz der Maske halte ich den Atem an, mache einen Schritt auf das Bett zu und strecke dem Skunk das Katzenfutter entgegen.

      „Ich heiße Jule“, erkläre ich, weil mir nichts Besseres einfällt. „Und das ist meine Wohnung.“

      Dem Stinktier scheint es egal zu sein. Also wage ich einen weiteren Schritt und spreche nun lauter. „Wir können uns einigen, du und ich. Du kannst in aller Freundschaft gehen oder …“

      Es entscheidet sich für ‚oder’, und ich springe erschrocken zurück.

      „Mami, pass auf die Vorderpfoten auf“, höre ich Tim klar und deutlich durch das geschlossene Fenster. Sein Kopf erscheint hinter der Scheibe, neben ihm erkenne ich Grashalme und Janas Sneaker.

      „Shhh“, zische ich.

      Mir gegenüber hat sich das Stinktier nun erhoben. Es ist etwa so groß wie eine kleine Katze, hat ein flauschiges schwarzes Fell, einen niedlichen Kopf und einen breiten weißen Streifen, der von der winzigen Nase über den Nacken führt, sich auf Höhe der Seiten aufspaltet und bis zu dem buschigen Schwanz reicht. Gefährlich sieht es nicht aus.

      „Ist Mam da unten?“, fragt Jana. Kurz darauf verschwinden ihre Füße und ihr Kopf erscheint neben dem von Tim.

      „Rutscht mal ein Stück, ihr beiden“. Jetzt schiebt sich auch Bea dazwischen. Sie schlägt ihr Skizzenbuch auf und beginnt zu zeichnen.

      Wieso ist sie draußen?

      „Seid um Himmelswillen leise“, zische ich wütend.

      „Mam, ich glaube, es hebt den Schwanz“, warnt Jana.

      Mein Herz pocht, und ich merke, dass die Dose mit dem Katzenfutter in meiner Hand zittert.

      „Nein, tut es nicht.“ Bea zeigt mir durch das Fenster den Daumen hoch. „Das machst du ganz prima, Jule. Aber entspann dich ein bisschen. Denk an die hässlichen Falten.“

      Om!

      „Warum versuchst du es nicht mal mit einem Leckerli?“

      Obwohl sich das Skunk nun wieder in Candis’ Decke gekuschelt hat, traue ich mich kaum, mich zu bewegen, ganz zu schweigen davon, mein Gesicht zu entspannen und die Falten zu glätten. Wie soll ich die Tüte mit den Leckerli öffnen, ohne dass sich das Vieh wieder aufrichtet und mir dieses Mal womöglich seine Drüsen zeigt?

      „Ja, Mami, leg ihm eine Spur“, schlägt Tim vor.

      Hinter der Wand, die an die Küche grenzt, raschelt es. Das Stinktier schaut auf. Schnell mache ich einen Schritt zurück. Mir gegenüber erhebt sich der Skunk. Das Katzenfutter scheint ihm jetzt egal zu sein. Seine gesamte Aufmerksamkeit ist auf die Wand gerichtet, von der nun ein leises Klopfen kommt. Dem Stinktier gefällt das Geräusch offenbar ganz und gar nicht. Es wuselt unruhig in den Decken und springt schließlich vom Bett direkt auf mich zu. Mit einem Satz rette ich mich hinter die Tür und beobachte verblüfft, wie das schwarz-weiße Pelztier langsam an mir vorbei in Richtung der Küche verschwindet. Doch es ist nicht allein. Ein zweites, viel kleineres Tier krabbelt nun ebenfalls aus dem Bett. Es watschelt etwas ungelenk, weil seine Hinterbeine im Vergleich zu den Vorderbeinen irgendwie zu hoch geraten sind. Schwankend folgt es seiner Mutter quer durch unsere Küche und weiter in den Flur.

      „Oh Mami, hast du das gesehen? Es hat ein Baby“, flüstert Stina. Ihr Kopf erscheint in der Tür.

      „Ja, habe ich. Aber mach jetzt weiter. Was auch immer du getan hast, ich glaube, es funktioniert.“

      Auf Knien schiebt Stina sich den schmalen Flur entlang, wobei sie mit den Fingern leise gegen die Wand klopft und die beiden Stinktiere, denen das Geräusch offenbar etwas unheimlich ist, vor sich her treibt. Ich folge in sicherem Abstand. Erst als der letzte buschige Schwanz im Freien verschwunden ist, sprinte ich vor und schließe die Tür. Dann nehme ich meine Tochter in den Arm und drücke sie fest an meinen Ghostbuster-Gummianzug.

      „Du bist großartig!“

      Stina lächelt tapfer. Aber hinter ihren Brillengläsern glitzern Tränen. Die letzten Tage waren einfach zu viel für sie. „Ich hätte sie so gerne behalten“, schnieft sie.

      „Glaub mir, es geht ihnen gut“, tröste ich. „Sie haben bestimmt draußen irgendwo einen Bau und konnten nicht mehr zurück, weil die Tür verschlossen war. Jetzt gehen sie nach Hause und machen es sich gemütlich.“

      „Meinst du?“

      „Ganz bestimmt. Und das machen wir nun auch. Wir packen aus, kaufen etwas Leckeres zu essen und machen es uns hier, in unserem neuen Zuhause, richtig gemütlich.“

      „Ich spendiere allen ein Eis“, verkündet Bea. Sie erscheint mit Jana und Tim in der Tür.

      „Ich dachte, du hast kein Geld“, erwidere ich etwas schärfer als beabsichtigt.

      „Stimmt. Kannst du mir was leihen?“

      Ich seufze und nicke ergeben. Eine andere Wahl habe ich eh nicht. „Hauptsache, ich bekomme ein Bier.“

      „Na, klar.“ Bea strahlt wie Pepé le Pew beim Anblick des schwarz-weißen