Sabine Engel

Familie Kuckuck wandert aus


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hast es versprochen!“ Schieres Entsetzen knistert in ihrer Stimme. „Strand und Sonne. Ein cooles Apartment mit Pool. In Australien.“

      „Lass uns doch erst mal hören, was deine Mam gefunden hat“, beschwichtigt Bea. „Apartments mit Pool gibt es bestimmt auch in Vancouver.“

      Aber Jana ist bereits wieder in ihre Handywelt versunken. Ihre Daumen zucken wild über die Tastatur. Vielleicht ist es besser so. Denn was den Coolnessfaktor unserer neuen Wohnung angeht, bin ich mir nicht hundertprozentig sicher. Von einem Pool stand in der Anzeige jedenfalls nichts.

      Bea klopft einladend neben sich auf den Sand. „Lass hören.“

      Mittlerweile hat auch Tim mich entdeckt und rennt auf uns zu.

      „Was haltet ihr davon, wenn wir den Sommer hier verbringen und uns Kanada angucken, bevor wir nach Melbourne weiterfliegen?“, frage ich meine Jüngsten. „Wusstet ihr, dass Vancouver regelmäßig zur drittschönsten Stadt der Welt gewählt wird?“

      „Wer, wir?“, hakt Stina nach, und ihr Blick wandert von mir zu Bea.

      „Wir alle“, seufze ich. „Bea und die Kuckucks.“

      Stina nickt und verdreht die Augen hinter ihren Brillengläsern wie immer, wenn sie nachdenkt.

      „Bea und die Kuckucks?“ Meine Freundin kichert. „Das klingt wie eine dieser grellen Rock ’n’ Roll Bands aus den 50ern.“

      „Gibt es in Kanada auch Haie?“ Tim lässt sich in meinen Schoß fallen. „Ich habe den ganzen Tag noch keinen einzigen gesehen.“

      „Was ist mit Papa?“, will Stina wissen.

      „Wir treffen ihn wie geplant in Australien. Nur dass wir eben nicht schon vorher dort sind.“

      „Versprochen?“

      „Ganz bestimmt!“, verspreche ich. „Und Haie sehen wir spätestens in zwei Monaten. Meinst du, du kannst so lange noch warten?“

      „Wie lange sind zwei Monate?“ Tim braucht grundsätzlich verlässliche Fakten.

      „60 mal schlafen“, erklärt Stina.

      Er runzelt seine kleine Stirn. „Soweit kann ich nicht zählen.“

      „Ich bastle dir einen Bilder-Kalender. Dann kannst du jeden Tag ein Bild abhaken.“

      Ich umarme Stina und Tim. Bei Jana bin ich im Moment lieber vorsichtig.

      Bea nickt zufrieden, lehnt sich zurück und dreht ihr Gesicht wieder in die Richtung der Wolke, hinter der sie die Sonne vermutet. „Wann ziehen wir ein?“, fragt sie und gähnt.

      „Morgen. Wir könnten es uns jetzt schon anschauen. Oder morgen direkt die Schlüssel übernehmen. Allerdings fliegt Candis, so heißt unsere Vermieterin, glaube ich, bereits um 11 Uhr ab. Das bedeutet, wir müssen vorher den Schlüssel bei ihr abholen. Wir könnten also heute bereits …“

      Bea schüttelt den Kopf. „Vergiss es. Wegen der blöden Zeitverschiebung bin ich seit zwei Uhr wach und viel zu müde, jetzt durch die halbe Stadt zu gondeln, nur um eine Wohnung anzugucken, die wir morgen so oder so mieten.“ Damit mummelt sie sich in ihren bunten Schal.

      „Besser wäre es trotzdem.“

      „Gibt es denn eine Alternative?“

      „Nein.“ Alternativen habe ich natürlich keine. Die Auswahl an möblierten Apartments mit fünf Betten war eher übersichtlich. Es gab genau eines. Und auch das verfügt streng genommen nur über zwei Schlafzimmer mit jeweils einem Doppelbett, ein schmales Queensize Bed für Bea und mich und ein extra breites Kingsize für die Kinder. Es wird also gemütlich werden.

      „Ach, Jule. Dann ist doch alles klar. Wenn wir morgen wieder um zwei Uhr wach sind, haben wir endlos Zeit zum Aufstehen und Packen und Frühstücken und Umziehen.“ Bea gähnt. „Schau mal ein bisschen aufs Meer. Du wirst sehen, das wirkt enorm entspannend.“

      Obwohl ich das Gefühl nicht loswerde, irgendein wichtiges Argument vergessen zu haben, lasse ich brav meine Augen über die Bucht gleiten.

      Die Sonne hat sich einen Weg durch die Wolken gebahnt. Der Himmel über uns klart auf. Ein paar weiße Segelboote ziehen durch die dunkelblauen Wellen. Und weiter hinten, auf der anderen Seite der Bucht, erheben sich die Berge der Coast Mountains. Beautiful British Columbia.

      Ich trinke den letzten Schluck Kaffee aus meinem Becher und lehne mich an das warme Holz des von Wind und Wasser glatt geschliffenen Baumstamms. Ja, alles wird gut.

       Schwarz-weiße Mitbewohner

      „Oh, je! Jule, das tut mir so leid“, klagt Bea nun bestimmt zum fünften Mal in den letzten paar Minuten. „Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Ich muss irgendwie im Schlaf den Wecker ausgestellt haben.“

      „Hm.“

      Ganz im Gegensatz zu meinen sorgfältig durchdachten Plänen, nach denen wir früh aufgestanden und Candis vor ihrer eigenen Abreise in ihrem alten und unserem neuen Apartment getroffen hätten, riss uns ihr Anruf um 9.23 Uhr aus den Federn.

      Natürlich war nichts gepackt.

      Jana reagierte als erste. Bevor ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte, war sie im Bad verschwunden und verließ kurz darauf angezogen und mit geputzten Zähnen das Zimmer, um für uns alle Toastbrote zu schmieren und Einwegbecher mit Kaffee, Tee und Kakao zu organisieren. Stina half ohne zu murren Tim beim Anziehen, sodass ich mich um das Taxi kümmern und Bea alle unsere im Zimmer verteilten Klamotten wahllos in diverse Koffer und Taschen stopfen konnte.

      Keine halbe Stunde später sitzen wir nun wieder in einem Taxi. Dieses Mal fahren wir zum Flughafen in der vagen Hoffnung, Candis noch vor der Sicherheitskontrolle zu erwischen. Das Geld für die Miete habe ich auf dem Weg in aller Hektik einem Automaten entlockt und damit mein Konto an den Abgrund des Dispo-Bereichs geführt. Wenn wir jetzt nicht die Schlüssel bekommen, war alles umsonst.

      „Ich würde dir meinen Anteil sofort geben, wenn ich ihn hätte. Ehrlich!“, schwört Bea. „Dabei bin ich mir ganz sicher, die richtige Nummer eingetippt zu haben.“

      Der Automat war sich da weniger sicher und behielt nach dem dritten Fehlversuch Beas Karte kurzerhand ein. Doch darum werden wir uns später kümmern. Jetzt drängt die Zeit. Was hat Candis gesagt? Boarding Time 10.20 Uhr.

      Die Digitalanzeige neben dem leise vor sich hin ratternden Taximeter zeigt 10.17 Uhr, als wir endlich vor dem Flughafen halten. Ich bitte den Fahrer auf mich zu warten, lasse Bea und die Kinder zurück und sprinte, so schnell ich kann, durch die Abflughalle, an den Schaltern vorbei, bis zum Eingang der Sicherheitskontrolle.

      Eine junge Frau mit Dreadlocks und Augenbrauenpiercing hockt im Schneidersitz auf dem Boden neben der Schlange und hält demonstrativ einen Schlüsselbund in die Höhe.

      „Candis?“, rufe ich mit dem letzten bisschen Sauerstoff in meinen Lungen.

      Sie wiegt den Kopf. „Jule? Great.“ Dabei wirft sie einen Blick auf die Uhr und sagt schnell: „Ich habe dir hier die Adresse aufgeschrieben. Das Haus hat eine mega Lage. Total coole Gegend. Die Wohnung liegt im Garden Level. Der Eingang ist hinten. Du wirst alles finden.“

      „Bestimmt“, versichere ich, nehme Schlüssel und Zettel entgegen und überreiche meinerseits den Umschlag mit der Miete. „Ich hätte dir das Geld auch überweisen können. Sollen wir Blumen gießen oder so?“

      „Nicht nötig. Das Apartment versorgt sich selbst.“ Candis lacht. „Ich war die letzten beiden Wochen nicht dort. Mein Mitbewohner ist letzten Monat abgereist, und ich habe bei einem Freund gewohnt. Sein Zimmer ist näher an der Uni. Ich hoffe, alles ist okay. Die Vermieter wohnen oben, sind im Sommer aber selten da. Wenn etwas ist, hast du meine Nummer.“