Sabine Engel

Familie Kuckuck wandert aus


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denn passiert?“ Ich schaue von einem zum anderen.

      Stina hat Tränen in den Augen. Tim guckt ratlos zu Jana, und meine Große presst die Zähne aufeinander.

      „Das kann doch jetzt echt nicht wahr sein“, zischt sie.

      „Was?“ Ich schaue zu Bea.

      Meine Freundin versucht es mit einem Lächeln. „Nun reg dich nicht gleich auf, Jule.“

      Wenn Bea so anfängt, kann ich mir eigentlich sicher sein, dass ich mich gleich ganz fürchterlich aufregen werde. Trotzdem zwinge ich mich zur Ruhe.

      Beas Lächeln ist ungewöhnlich steif. „Das kriegen wir schon wieder hin. Vielleicht sollten die Kinder oben auf der Terrasse warten oder ein Eis essen gehen. Gut wäre es auch, wenn wir den Flur frei räumen könnten.“

      „Ich habe doch gerade erst alle Koffer hineingeschafft.“

      „Glaub mir, Jule. Unsere Sachen sind überall besser aufgehoben als in diesem Apartment. Zumindest für den Moment.“

      „Kann mir bitte jemand erklären, was hier eigentlich los ist?“

      „In unserem super-coolen Apartment ohne Pool wohnt bereits etwas“, presst Jana hervor.

      „Etwas? Ein Tier? Warum fangen wir es nicht ein und bringen es hinaus?“

      „Nun“, Bea lächelt mich beschwörend an und streichelt meinen Arm. „Du erinnerst dich bestimmt an diese Zeichentrickserie mit dem Hasen.“

      „Bugs Bunny.“

      Sie nickt. Offenbar habe ich den richtigen Riecher gehabt. Wo ist das Problem?

      „Da gibt es doch dieses niedliche Tierchen mit dem französischen Akzent, das in die schwarz-weiße Katze verliebt ist. Weißt du noch?“

      „Pepé le Pew?“

      „Ja.“ Bea seufzt.

      In meinem Kopf drehen sich ein paar Räder, rasten ein, und mir wird schlecht. „Das Stinktier?“ Meine Stimme hört sich seltsam schrill an. „In unserem Apartment lebt ein Stinktier?“

      „Echt?“ piepst Tim. „So sieht ein Stinktier aus? Darf ich noch mal rein? Ich habe es gar nicht richtig gesehen.“ Er zieht Jana am Ärmel. „Kannst du mit deinem Handy ein Foto machen? Papa möchte es bestimmt auch sehen. Bitte!“

      „Spinnst du? Ich gehe da nicht wieder rein!“, kreischt Jana.

      Stina presst ihren Kopf in meinen Bauch und schluchzt. „Ihr dürft es nicht töten.“

      „Das werden wir auch nicht“, erklärt Bea, während ich gleichzeitig etwas murmle, das eher auf das Gegenteil hinausliefe.

      „Eure Mami wird es einfangen und ihm die Freiheit schenken.“

      Bevor ich etwas einwenden kann, höre ich Stina fragen. „Kannst du das, Mami? Ehrlich? Ohne ihm wehzutun?“

      „Eure Mami kann alles“, versichert Bea.

      Vier Augenpaare richten sich voller Vertrauen auf mich, und mein Herz schmerzt, als es langsam in meine Hose sinkt. Ich nicke stumm und überlege, was in aller Welt zu tun ist. Vielleicht weiß Candis Rat. Unter dem Vorwand, mir eine Strategie zu überlegen, schleiche ich mich ein Stück vom Haus weg und wähle ihre Nummer. Leider Fehlanzeige. Vermutlich sitzt sie bereits im Flugzeug. Aber über uns, in der Wohnung, die zu der schönen Terrasse und dem riesigen Fernseher gehört, leben die Hausbesitzer. Vielleicht ist die Frage, wie man ein Stinktier aus seiner Wohnung treibt, nicht die beste aller Begrüßungen, aber sicherlich eine gute Gelegenheit, um uns ihnen vorzustellen.

      Leider ist niemand da. Ich klingle, rufe und hämmere schließlich mit dem massiven Bronzeklopfer auf das alte Holz der Tür ein, doch niemand öffnet.

      „Okay“, sage ich, als ich wieder bei Bea und den Kindern stehe. Ich bemühe mich, so zuversichtlich zu klingen, wie es in dieser Situation nur geht. „Dann wollen wir mal anfangen.“

      „Ich helfe dir, Mami. Ich bastle eine Falle.“ Tims Gesicht leuchtet, während er sich schon daran macht, das Gerümpel unter der Terrasse nach fallentauglichem Material zu durchstöbern.

      „Das ist eine gute Idee“, erkläre ich.

      So ist zumindest Tim beschäftigt. Bea hält Stina im Arm.

      Jana spielt mit ihrem Handy. „Ein charakteristisches Merkmal für alle Vertreter der Skunks sind die ausgeprägten Analdrüsen, die ein streng riechendes Sekret absondern, das bis zu sechs Meter weit verspritzt werden kann“, erläutert sie ohne aufzusehen. „Das Sekret wird einem potenziellen Angreifer entgegen gespritzt, wenn dieser auf die Warnung durch Aufstampfen der Vorderpfoten und Anheben des Schwanzes nicht reagiert. Der Geruch ist lang anhaltend und wirkt tränenreizend. Na, toll.“

      „Woher weißt du das alles?“

      „Wikipedia.“

      „Steht da vielleicht auch, wie man ein Stinktier, das es sich in einer Wohnung gemütlich gemacht hat, wieder los wird?“, erkundigt sich Bea interessiert.

      Jana scrollt über die Seite und schüttelt schließlich den Kopf.

      „Vielleicht können wir es rauslocken?“, flüstert Stina. „Mit Fressen oder so.“

      „Und was fressen Stinktiere?“, frage ich und werde prompt von dem giftigen Sekret, das nun aus Janas Augen sprüht, getroffen.

      „Skunks sind opportunistische Allesfresser, die vorwiegend fleischliche Nahrung zu sich nehmen“, setzt sie ihren Vortrag fort. „Kleine Säugetiere, Insekten, Wirbellose … Äh, was ist denn das?“

      „Schnecken.“

      „Igitt! Aber auch Früchte und Nüsse.“

      „Katzenfutter“, stellt Bea pragmatisch fest.

      „Gut.“ Ich atme tief durch und bete stumm mein Mantra. Om, om, om. Beautiful British Columbia. Ich habe es ja so gewollt. Ich wollte die Herausforderung. Jetzt werde ich sie auch meistern. „Ich suche einen Laden und besorge Katzenfutter. Ihr räumt in der Zwischenzeit das Gepäck aus dem Flur, sodass unser Stinktier den Weg nach draußen findet. Und dann …“

      „Aber wir können es doch nicht einfach rauswerfen. Was, wenn es regnet?“ Stina schluchzt verzweifelt.

      Bea streichelt ihr zärtlich übers Haar und winkt mir zu gehen. „Herzchen, Stinktiere sind wilde Tiere. Auf Dauer will es bestimmt nicht in einem Haus wohnen“, höre ich sie noch flüstern, während ich mich zurück zur Hauptstraße aufmache.

      Natürlich sind die meisten Geschäfte geschlossen. Warum auch nicht an einem stinknormalen Wochentag? In den Cafés sitzen junge Menschen und schwatzen, als hätten sie alle Zeit der Welt. Schön muss es sein, das Leben in Kanada, zumindest wenn man nicht gerade einen Skunk aus seinem Apartment scheuchen muss.

      Zum Glück finde ich ein paar Blocks die Straße hinab einen kleinen Tante Emma Laden, in dem mir ein freundlicher Verkäufer eine Dose Katzenfutter und eine Tüte besonders schmackhafter Leckerli verkauft. Als er erfährt, wozu ich das Zeug brauche, starrt er mich einen Moment lang entsetzt an. Dann bittet er mich zu warten und erscheint zwei Minuten später wieder an der Kasse mit einem Gummi-Overall und einer Atemmaske unter dem Arm.

      „Ziehen Sie das lieber über“, schlägt er vor und fügt schnell hinzu, „nur für alle Fälle. Wenn etwas einmal nach Skunk riecht, bekommt man es nie wieder hin. Mein Onkel hat vor drei Jahren ein Stinktier überfahren. Er konnte sein Auto danach verschrotten.“

      Die Frau hinter mir nickt. „Unser Hund wurde einmal von einem Skunk angegriffen. Wir mussten ihn von einer Spezialfirma abholen lassen, um den Geruch aus seinem Fell zu waschen. Es war grauenvoll.“

      Ich merke, dass mir der Mund offen steht, und schließe ihn schnell wieder.

      Der junge Verkäufer verzieht