Elke Bulenda

Himmel, Arsch und Hölle!


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Ernestine, die in meinen Augen definitiv mogelte, weil sie sich permanent bei den schwierigen Balanceakten mit ihrem Stummelschwanz abstütze.

      »Wenigstens kann ich so reden, als würde ich nicht die telefonische Bestellung in einem China-Restaurant annehmen«, grollte ich zurück. Schulterzuckend verließ ich die Spielwiese, brummelte etwas davon, morgen wieder einen Stock mitzubringen und trat aus Versehen die blonde Zwergin, weil ich dem Meister noch ein paar Tod bringende Blicke hinterher schickte.

      »Heh! Pass doch auf, du Trottel!«, blaffte sie mich an.

      »Huch, ich habe dich gar nicht gesehen. Hey, dich kenne ich noch gar nicht. Bist du neu hier?«, fragte ich neugierig und hatte meinen Groll schon wieder vergessen. Die Zwergin tätschelte Ernestine und verrenkte sich fast den Nacken, als sie so zu mir aufsehen musste. Deshalb setzte ich mich ins Gras.

      »Nein, ich bin nicht neu hier, war nur eine Weile weg. Mein Name ist Diemal e. J. w. s. Eisenfaust. Du musst Ragnor sein, quasi der Adoptivsohn meiner Mutter. Sie erzählte mir schon von ihrem neuen Problemfall«, streckte sie mir selbstbewusst ihre zierliche Hand entgegen.

      »Äh, Problemfall? Gut, aber du kannst mich ruhig Ragnor nennen. Wenn du das so siehst, sind wir ja quasi Stiefgeschwister. Obwohl ich mich für eine Adoption schon wirklich zu alt fühle. Trotzdem bin ich deiner Mutter wirklich dankbar, dass sie mich als Problem..., äh, als ihr Familienmitglied ansieht, denn ich bin ein Ehrenzwerg. Und so wie sie immer sagt, kümmern Zwerge sich umeinander. Nichtsdestotrotz finde ich es ziemlich ätzend von ihr, wenn sie mir meine guten Spirituosen in den Abfluss kippt. Eine echt nette Familie«, brummelte ich etwas verdrossen und schüttelte ihr vorsichtig mit zwei Fingern das kleine Händchen. Diemal kicherte nur wissend.

      »Diemal ist ein wirklich schöner Name. Etwas seltsam, aber sehr schön. Was bedeuten die vielen Buchstaben mit den Punkten. Sind das alles deine Zweit-, Dritt- und Viertnamen, deine Anthroponyme?«, fragte ich neugierig.

      »Ja, schön seltsam, in der Tat. Eigentlich nannte mich meine Mutter: Die mal ein Junge werden sollte. Das dürfte dich nicht weiter überraschen, da du meine Brüder kennst, weißt du vom Geschmack meiner Mutter, vor allem was die Namensgebung betrifft. Ich kann wirklich froh sein, dass ich nicht Geplatztes Gummi heiße«, grinste die Blonde. Hey, die Kleine war wirklich witzig!

      »Du hast es sicherlich auch nicht leicht gehabt, so als einziges Mädchen unter lauter Brüdern. Ich empfinde es als einfach herrlich, so viele Geschwister zu haben. Wir waren acht Kinder, ich war das siebte. Meine Eltern wurden mit vier Jungen und vier Mädchen gesegnet. Eigentlich nur mein Vater, denn meine Schwester Gundfreya und ich, waren aus seiner zweiten Ehe. Zugegebenermaßen beneidete ich meine Schwestern immer ein wenig, weil sie einen Bruder mehr als ich hatten«, grinste ich vor mich hin.

      »Na ja, dafür hattest du aber auch eine Schwester mehr!«, stieg die Zwergin gleich auf den Witz ein, und schenkte mir ein süßes Lächeln.

      »Du siehst ganz anders aus, als deine Mutter Trixie. So mondän und weltgewandt und zum Glück ohne Bart. Gehörst du auch zum Team von Salomons Ring?«

      »Neuerdings ja, ich tat das einzig Vernünftige, was eine Frau tun kann, die nicht auf Kettenhemden und Frauenbärte steht«, meinte die Kleine.

      »Heiraten und Kinderkriegen?«, fragte ich, weil mir nichts Besseres einfiel.

      »Unter welchem Stein bist du denn hervorgekrochen? Nee, ich habe Geologie studiert. Apropos Gestein. Tut mir leid, ich muss jetzt zum Töpferkursus. War nett dich kennenzulernen. Äh, hab deinen Namen vergessen, ich sag mal salopp Problemfall. Wieso sollte es dir auch besser ergehen, als uns anderen Zwergenkindern«, kicherte sie und wollte sich vom Acker machen.

      »Hey, warte, ich muss auch zum Töpfern, ich begleite dich, sonst finde ich die Kursräume nicht«, bot ich ihr an.

      »Wenn es sich nicht verhindern lässt, dann kommt eben beide mit! Aber geh mir aus der Sonne, ich will noch etwas Bräune bekommen«, verdrehte sie theatralisch die Augen. »Mal sehen, ob Ernestine auch besser töpfert als du«, grinste sie sich in den nicht vorhandenen Bart.

      Ha, ha? Von wegen, sie ist gar nicht so wie Trixie. Wenn ihr mich fragt, ist sie ganz die Mutter!...

      Das Geheimnis des Glücks ist die Freude in unseren Händen.

      (Ralph Waldo Emerson)

      Freude in unseren Händen? Mal ehrlich, Ton in Händen zu halten ist in etwa so, als würde man in Dreck und Kacke greifen. Und ich weiß, wovon ich rede. In unserer Nordmann-Siedlung spielten wir Kinder mit fast nichts anderem, als Dreck und Kacke - es sei denn, Vater brachte mal eine Kiste Goldmünzen mit, in die wir unsere gierigen Händchen patschen durften. Holzspielzeug hatten wir auch, vor allem Knüppel, die wir uns mit wachsender Begeisterung gegenseitig auf die Schädel schlugen. Okay, vielleicht übertreibe ich ein wenig; selbstverständlich gab es bei uns auch Pferde, Kühe und Enten aus Holz geschnitzt, nur waren die nicht so handlich und schwer genug, um sie jemandem mit effizienter Wirkung auf den Kopf zu hauen. Im Gegensatz zu den heutigen Kindern, spielten wir am liebsten draußen, nach einem großen Regenguss, wenn sich unser Wikingerdorf in eine riesige Matsch-Landschaft verwandelte. Heutzutage bekommen moderne Mütter gleich eine Herzattacke, wenn sich ihre lieben Kleinen mal etwas in den Mund stecken, was zuvor schon den Boden berührte. Die Werbung suggeriert ihnen, dass das Wohl ihrer Kinder durch Viren, Bakterien und Keime bedroht sei, um ihnen etwas zu verkaufen, das 99,9%ige Keimfreiheit garantiert. Du meine Güte! Kinder müssen doch mal eine Kelle Sand fressen, damit ihr Immunsystem in Schwung kommt! Und schmutzig sollten sie sich auch machen dürfen und nicht wie kleine Barbie-Puppen herumstolzieren. Und wir Barbaren-Kinderlein haben Hände voll Dreck gefressen. Meistens steckte einer dem anderen eine Ladung in die Futterluke. Okay, und wenn man davon einmal Würmer bekam, wurde einem so viel Zwiebelsud zum Trinken eingetrichtert, bis sich die Parasiten hustend und spuckend von Dannen machten. Zum Glück durfte ich mich als Kind richtig dreckig machen. So schmutzig waren wir halben Portionen, dass unsere Mütter nur anhand der Stimmen erkennen konnten, welchen Dreckspatz sie sich zum Schrubben mit nach Hause nehmen mussten. Meine Mutter liebte den Pragmatismus und warf mich gleich in den angrenzenden Fjord. Diese Aktion diente schon der frühzeitigen Abhärtung, denn das Wasser war nicht immer warm. Diese Handlung ist auf keinem Fall herzlos zu nennen, denn so wurde ich automatisch zu einem guten Schwimmer.

      Nun saß ich vor dem Lehmklumpen und sollte meiner Kreativität freien Lauf lassen. Das zumindest behauptete diese komische Öko-Schlunze, in ihrem selbstgestrickten Dress. Damit sah sie aus, wie eine halb Verweste im Leichensack. Wenn ich diese alten Weiber schon sehe, solche Schabracken, mit grauem Pagenkopf und einer Lesebrille am Goldkettchen ... Da bekomme selbst ich es mit der Angst zu tun. Die Leiterin des Töpferkurs hatte so etwas Wölfisches an sich. Wahrscheinlich war sie in ihrer Freizeit eine Lykanthropin. Und als Krönung, hieß sie auch noch Lupinia Semmeltopf. Missmutig beobachtete ich, wie sich alle, als wären sie die Verrückten, an ihrem Lehmbatzen zu schaffen machten. Ernestine durfte nicht mitkneten, sie würde mir nur den Fußboden versauen. Stattdessen saß sie auf der Töpferscheibe und ließ sich von jemandem, der Erbarmen mit ihr fand, dumm und schwindelig drehen. Schon allein vom Zusehen bekam ich Migräne. Die Wolfs-Töpferin bemerkte wohl meine Misere, weil ich den Klumpen mürrisch anblickte und mir dabei die Schläfen rieb.

      »Ragnor? Schwierigkeiten mit der Kreativität? Dir wird doch irgendetwas einfallen, oder? Zum Beispiel, etwas, das dich schon heute morgen bewegt hat«, meinte sie wohlwollend.

      Sofort schoss mir dieser räudige Kater ein, denn er hatte mich heute schon sowohl zum angewiderten, als auch wütenden Herumhüpfen gebracht. Und wenn das kein bewegender Moment war, fresse ich den Batzen Lehm!

      »Okey-dokey«, täuschte ich innerliche Erleuchtung vor und begann zu kneten. Schnell bildete sich etwas Katzenähnliches heraus, das von der Töpferin begeistert aufgenommen wurde. Schließlich saß eine ganz passable Tonkatze vor mir. Euphorisch klatschte die Ökotante neben mir in die Hände.

      »Alle mal herkommen! Nun schaut euch doch mal diese hübsche Katze an!«, jauchzte sie, und ich wäre nicht verwundert gewesen, wenn sie ein kleines Tänzchen aufgeführt hätte. Katzentanz,