Elke Bulenda

Himmel, Arsch und Hölle!


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Gedanken zu fassen, weil ich mich auf der Jagd befinde. Nun ist alles sinnentleert. Ich falle in ein tiefes Loch, und diesen Fall kann ich nicht stoppen!«

      Der Doc schob mir eine Schachtel mit Kosmetiktüchern zu, doch ich lehnte ab, denn ich hatte keine Tränen mehr. Doch Doc Gütiger räusperte sich und zeigte auf meine Nase. »Ragnor, du läufst aus!«

      Schnell wischte ich mit der Hand einen Tropfen weg. Es war mein Blut.

      »Seit mich in New York diese Dämonin angegriffen hat, laufe ich öfters aus«, wiegelte ich ab und nahm mir jetzt doch ein Kleenex. Ferdi nickte und fuhr fort: »Weißt du, was der Begriff Bewusstsein bedeutet?«

      Natürlich nickte ich, wer kennt nicht die Bedeutung. Ich denke, also bin ich.

      »Du nickst, als würde ich nur brabbeln. Bewusstsein bedeutet, dass man sich etwas bewusst ist. Wenn du behauptest, du könntest keinen klaren Gedanken fassen, bedeutet das für mich, dass du immer einen Grund suchst, dich nicht mit irgendetwas Unangenehmen auseinandersetzen zu müssen. Du musst dir bewusst werden, dass das Leben auch viel Schönes für dich bereithalten kann. Du blickst immer nur zurück in die Vergangenheit und beschwerst dich, dass alles Mist war.«

      Am liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte: »Stimmt ja gar nicht!« gerufen. Aber wenn man sich die Worte des Doc auf der Hirnrinde zergehen lässt, dann war doch ein ganzer Batzen Wahrheit dabei. Der Kerl war schlicht und einfach entwaffnend.

      »Okay, aber wenn man so alt ist wie ich, dann hat man wirklich mehr Vergangenheit, als Gegenwart oder Zukunft. Und ich dachte, ich könnte wieder dort anknüpfen, zumindest was meine Ehe betrifft«, bemerkte ich kleinlaut.

      »Und würdest du auf jemanden 600 Jahre warten? Ich glaube nicht. Zwar gebe ich nicht allzu viel auf Gerüchte, doch hörte ich, dass du dich bisher nicht gerade wie ein Klosterbruder verhalten hast. Das soll nicht heißen, dass ich das verurteile, denn die Sexualität ist eine ganz natürliche Sache«, meinte der Doc und machte sich weiterhin seine Notizen. Seine krakelige Schrift machte es mir schier unmöglich auch nur das Mindeste davon zu entziffern, schon mal, weil es auf dem Kopf stand.

      »Wenn die Gerüchte Barbiel heißen, dann kannst du ihnen ruhig Glauben schenken. Er führt bestimmt hinter meinem Rücken eine Liste mit meinen moralischen Verfehlungen. Na und? Ich bin nun mal ein Kerl. Wenn man Tinte auf dem Füller hat, muss man eben ab und zu ein Rohr verlegen. Das hat noch lange nichts mit Liebe zu tun. Die einzige, große Liebe habe ich verloren, dabei wurde ich verraten und verkauft. Ich schenkte ihr mein Herz und sie nahm es ohne mit der Wimper zu zucken, schnitt es in Streifen und verleibte es sich ein!«, empörte ich mich.

      »Ragnor, du darfst nicht immer nur das Negative sehen. Nimm die Erinnerung an die glücklichen Zeiten mit in dein jetziges Leben und bewahre sie gut auf. Du verdirbst dir selbst alles, wenn du im Zorn zurückblickst. Du hattest das Glück, eine liebe Frau und reizende Kinder zu haben. Doch die Zeiten sind vorüber. Du wirst deinen Verlust verkraften. Und höre auf, immer den alten Zeiten hinterher zu hängen. Du solltest deine Aufmerksamkeit auf die Gegenwart fokussieren. Einer deiner großen Stärken ist, dass du extrem anpassungsfähig bist. Nicht einmal ein ganzes Jahr bist du jetzt bei uns, und du bedienst die technischen Gerätschaften besser als ich. Bis heute ist mir der Computer und seine Bedienung immer noch ein Rätsel«, schmunzelte der Doc und schaute mich aus klugen Eulenaugen an.

      »Ja, aber was soll ich jetzt mit meiner inneren Leere anfangen? Es erscheint mir alles so sinnlos und zur Untersuchung mag ich jetzt noch nicht gehen. Zuvor muss ich erst einmal mein psychisches Trümmerfeld aufräumen«, entgegnete ich verwirrt und zuckte hilflos mit den Achseln.

      »Du solltest erst einmal deine negativen Erinnerungen mit etwas Positivem überschreiben. Dabei wirst du merken, dass du auch wieder Freude empfinden kannst. Und wenn du Freude empfindest, dann lass diese Empfindung einfach zu und habe deshalb kein schlechtes Gewissen. Hier ist eine Liste, ich habe dich in verschiedene Kurse eingetragen. Da wären z. B. Kreatives Töpfern, eine Mal-Therapie, Yoga, ein bisschen Tai Chi. Das wird dir gut tun und dich mental wieder aufbauen«, meinte der Doc und schob mir das Blatt rüber. »Außerdem solltest du morgens ein wenig joggen, du siehst aus, als bräuchtest du ein wenig Training. Schwimmen und den Kraftraum empfehle ich dir ebenfalls. Du siehst mager aus und hast Muskelmasse verloren«, stellte Dr. Dr. Gütiger fest.

      Ich überflog die ellenlange Liste und blies die Backen auf.

      »Hm, okay, solange ich nicht mit dem Hintern meditatives Glasblasen veranstalten muss, geht das in Ordnung. Eigentlich halte ich von diesem Meditations-Kram überhaupt nichts! Meinen Namen tanzen und den Mond anbeten.«

      Über Dr. Dr. Ferdinand Gütigers Gesicht huschte der Anflug eines Grinsens.

      »Du hast Glück gehabt, der Glasbläser-Kurs war schon voll belegt. Sprich nicht so, Meditation klärt den Geist und befreit vom Verlangen. Du musst nicht wie Siddhartha Gautama 49 Tage unter einem Bodhi-Baum meditieren, um geistig zu erwachen. Durch bewusstes Handeln kannst du ebenfalls einen geistig reinen Zustand erreichen. Frei von Kummer und vereint mit deiner Umwelt. Ja, das wäre es dann für heute. Wir sehen uns zum nächsten Termin. Falls es dir schlecht geht, ruf mich an. Jederzeit. Bis dahin, alles Gute.«

      Beim Verlassen seines Büros spechtete ich durch den Türschlitz und guckte direkt in Molly Flannigans türkisfarbenes Auge. Wie sich gegenseitig abstoßende Magnete, stob jeder von uns rückwärts. Doch als ich die neugierigen Eulenaugen des Docs auf mir ruhen fühlte, schloss ich hinter mir die Tür und schritt zur Rezeption.

      »Molly Flannigan, hast du etwa an der Tür gelauscht?«, fragte ich drohend.

      »Ach, wie kommst du darauf? Außerdem heißt es: ›Hallo Molly, schön dich zu sehen!‹ Du Rüpel! Wo hast du solange gesteckt und wie siehst du eigentlich aus?«

      »Hallo, du Rüpel! Ob es schön ist dich zu sehen, kann ich erst sagen, wenn du mir meine Frage beantwortet hast. Hast du da gerade an der Tür gelauscht? Wo ich war und wie ich aussehe, das geht dich gar nichts an«, knurrte ich ungehalten. Trotz meines Widerwillens Molly zu sehen, musste ich eine Erektion niederkämpfen. Sie sah wirklich wunderschön aus und sie duftete so herrlich. Wie immer fühlte sich mein Körper von diesen Reizen sofort angesprochen. Trotzig schaute Molly zu mir auf.

      »Nein, diese Tür ist Schalldicht, ich wollte nur dem Doc Bescheid sagen, dass der Neuzugang seinen Test abgeschlossen hat. Den dürftest du auch kennen, es ist Link Rattus aus Paris, er macht hier seine Grundausbildung«, meinte Molly pikiert und zeigte mir darauf das Klemmbrett mit den Testergebnissen Und ich kam mir wieder wie ein paranoides Arschloch vor.

      »Link Rattus? Da fragt man sich immer, wer hier die Ratte in unserer Organisation ist. Damit wäre die Frage wohl beantwortet. Okay, es war schön dich zu sehen!«, knirschte ich und wollte die Rezeption verlassen. Molly hielt mich an der Hand fest.

      »Ragnor, warte! Hast du heute Abend schon etwas vor? Ich würde mir gerne deine neue Bleibe ansehen.«

      Habe ich es gewusst, oder habe ich es gewusst? Jetzt drängte sie sich schon wieder auf. Ihr Puls raste, ihre Haut war angenehm kühl und ich verlor beinahe meine Beherrschung. »Tut mir leid Molly, heute Abend bin ich nicht zuhause. Ein anderes Mal, okay?«, flunkerte ich ganz ungeniert. Das Mädchen hingegen konnte seine Enttäuschung kaum verbergen. »Hm, na dann, ich nehme dich beim Wort!«, grinste sie schließlich doch noch.

      »Ja, ja!«, grunzte ich, verdrehte hinter ihrem Rücken die Augen und entschwand. Ich hörte noch, wie sie rief, ich solle nicht immer die Augen verdrehen. Verdammt, woher wusste dieses kleine Luder davon?!

      Und da wir gerade beim Thema sind, wartete schon das Nächste auf mich. Also Luder, nicht Thema ... Trixie grinste, als hätte sie sich gerade einen Witz erzählt.

      »Was grinst du so blöde? Ist das eine Gesichtslähmung, oder hat dir jemand ins Knie geschossen?«, fragte ich unwirsch.

      »Hey, so langsam kommst du wieder in Schwung! Du pöbelst schon wieder ganz formidabel«, bemerkte die Zwergin. »Nein, heute ist dein echter Glückstag! Gerade traf ich rein zufällig Simon, von dem ich dich übrigens grüßen soll. Er sagte, dass eine neue Lieferung mit Jeeps eingetroffen wäre. Hast du ja natürlich