Dominik Michalke

Arym Var


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seinem kleinen Bildschirm am Tisch – ihre sämtliche Gedanken kannte. Völlig egal was sie tat, sie konnte sich nicht verstellen.

      Morgaine entschied gezwungenermaßen schlichtweg sie selbst zu sein.

      Langsam atmete sie ein und antwortete auf Ravenbergs Begrüßung. »Maurizius Ravenberg, Führer des Andragon-Kanton-Zusammenschlusses.«

      Fast hätte sie ein »Es freut mich, sie kennen zu lernen« hinzugefügt. Doch das blubbernde Geräusch, das aus Richtung der Mutantin kam, sagte Morgaine fast wie eine unhörbare Botschaft, dass die Situation nicht nach derartigen Floskeln verlangte.

      Ravenberg verzog den dünnen, markanten Mund zu etwas Eigenartigem, dass man unter diversen Umständen als Lächeln hätte interpretieren können.

      Seine kurzen schwarzen Haare waren ordentlich nach hinten frisiert. Morgaine schätzte ihn allein anhand seines schmalen aber nicht unattraktiven Gesichts auf Mitte dreißig. Sie hatte Thorwald gut gekannt, sein Sohn hatte ihrer Meinung nach nicht viel von seinem Vater.

      Zu früheren Zeiten hatte Morgaine des Öfteren Thorwald Ravenberg auf dem damaligen Hauptsitz des AKZ auf der neuen Erde im ‚Erbe des Lichts‘-System besucht. Dort hatte er ihr zwar von einem Sohn erzählt, sie hatte ihn jedoch nie zu Gesicht bekommen. Thorwald hatte ihr viel anvertraut, nicht jedoch die Details über Maurizius. Es war das erste Mal, dass sie ihn überhaupt sah.

      »Mein Vater«, fing Maurizius erneut in gedehntem Tonfall an und verzog seinen Mund zu dem seltsamen Lächeln, »er hat einmal von ihnen gesprochen ...« Er schien auf einmal in die Ferne zu starren, bis er schließlich wieder Morgaine mit seinen grauen Augen anblickte. »Er sagte, sie sind sehr ... zuverlässig und ... loyal.«

      Das Wort ‚loyal‘ kam Morgaine wie eine Ewigkeit vor. Sie wusste nicht was sie sagen sollte und entschied sich zu schweigen.

      »Morgaine Hera.« Er betonte die letzte Silbe ihres Namens mit besonderer Länge. »Ich habe einen Auftrag für sie. Einen geheimen Auftrag, für sie und ... die Stronghold. Die Zukunft der gesamten Kantone von Andragon könnte von den Ergebnissen dieser Mission abhängig sein.« Er machte eine bedeutende Pause.

      Morgaine schwieg und wartete. Sie versuchte ihre enorme Anspannung zu verbergen.

      »Außer ihnen und ihrer Schiffsbesatzung darf niemand von dieser Mission erfahren, da es unter Umständen eine Panik in den Andragon-Kantonen auslösen könnte. Ich hoffe ich gehe richtig in der Annahme, dass sie dazu fähig sind, ihre Besatzung kommunikationstechnisch unter Kontrolle zu halten.« Es klang mehr wie eine Aussage als eine Frage.

      Dennoch brachte Morgaine ein stummes Nicken zustande.

      »Wie ich bereits sagte, ist es ein absolut geheimer Auftrag.« Ravenberg drehte in einer unendlich langsamen Bewegung seinen Kopf und schien neben Morgaine zu blicken. Aus dem Augenwinkel konnte Morgaine feststellen, dass Brooge mit ihrem Pferdegrinsen neben ihr stand. In der ganzen Zeit und angesichts der Umstände hatte Morgaine fast nicht registriert, dass Brooge mit ihr den Raum betreten und die ganze Zeit links neben ihr gestanden hatte.

      »Lieutenant Brooge.« Ravenbergs Stimme klang so, als würde er ein selbst gepflücktes Blumensträußchen seiner zehnjährigen Nichte als Geschenk in Empfang nehmen. »Ihr Befehl lautete, Captain Morgaine Hera zu mir zu begleiten.« Ein nicht interpretierbares Zucken schnellte fast zeitgleich mit dem der Mutantin über seinen Mund.

      »Und ... Und hier ist sie!«, sagte Brooge zu schnell. Ihr astreines Pferdelächeln kam ins Wanken. Unsicherheit kroch über ihre Züge.

      »Sie sind in meinen Raum hereingekommen.« Ravenbergs Satz war weder als Feststellung, noch als Frage oder Aussage zu identifizieren.

      Morgaine spürte Spannung im Raum heran steigen. Brooges Lächeln war nun ganz aus ihrem Gesicht gewichen. Stattdessen wurde sie langsam bleich.

      Dafür schien Ravenberg ein unerwartetes, äußerst eigenartiges Lächeln um seinen Mund spielen zulassen, als er in lauterem Ton sprach. »Nun! Ich hoffe, sie haben ihren zweiten Befehl, die Abfallwiederverwertungsanlage in Sektor C betreffend, nicht vergessen.«

      Brooges Pferdegebiss war entblößt, jedoch ohne eine Spur von Lächeln darauf. »Ich ... Ich verstehe nicht ganz ... He ... Herr Ravenberg«, stotterte sie.

      »Sie werden«, sagte Ravenberg einrenkend. Ohne dass Morgaine eine Geste hätte registrieren können, bewegte sich einer der Cyborgs von der Wand fort auf Brooge zu und berührte sie mit seiner eisernen Hand an der Schulter.

      Sein Körper war in Richtung der Tür gedreht, durch die sie und Morgaine hereingekommen waren.

      Verdutzt und mit offenem Mund verstand Brooge, dass sie den Raum zu verlassen hatte. Sie blickte mehrmals zwischen Ravenberg und dem Cyborg hin und her und drehte sich schließlich stockend um. Der Cyborg ließ seine Hand auf Brooges Schulter ruhen und begleitete sie nach draußen, ohne zurückzukehren.

      Langsam wandte sich Morgaine wieder Ravenberg zu, der mit aneinander gelegten Händen hinter seinem Tisch saß und leicht lächelte. Sie versuchte ihre Anspannung und Unsicherheit auf ihrem Gesicht zu verbergen, wenngleich sie spürte, dass die zuckende Telepathiemutantin diese Impressionen und Gedanken aus ihrem Kopf herauszusaugen schien.

      »Hören sie genau zu.« Ravenbergs Stimme klang nun scharf. »Die Späher des AKZ haben vor bereits geraumer Zeit ein weiteres Bogenscheinportal entdeckt. Es führt zu einem bislang unerforschten System, das in internen Kreisen als ‚Grüner Schlund‘ bezeichnet wird. Außer einem riesigen grünen Phosphornebel und einem scheinbar endlosen Asteroidenfeld, scheint nichts in diesem System zu sein.«

      Noch ein anderes System. Und noch dazu ein völlig unerforschtes, dachte Morgaine und wurde sich in dem Moment klar darüber, dass die Mutantin ihre Gedanken gelesen hatte.

      Wie als Antwort auf ihre stumme Bemerkung fuhr Ravenberg fort. »Doch das sei nur am Rande erwähnt. Das System hat ... kaum eine Bedeutung für die Andragon-Kantone. Vielmehr geht es darum, was in der nexusferneren Gegend von meinen vertrauten Spähern bei dem Portal registriert wurde. Es wurden ... interessante Energiemuster entdeckt. Meine Vertrauten und ich gehen in der Annahme, dass es sich um eine unergründete Intelligenz handeln könnte. Ich meine damit nicht die Zodiacs. Es könnte etwas ... anderes sein.

      Ihre Aufgabe ist es nun, mit der Stronghold diese Koordinaten anzustreben und herauszufinden, was dahinter steckt. Die Stronghold ist das einzige Schiff mit noch dazu einem ... fähigen Captain, so wie man mir sagte, das entbehrlich und vor allem geeignet für diese Mission ist. Benutzen sie die Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen. Senden sie Sonden, Kontaktschwärme ... Tun sie, was sie für richtig halten und informieren sie die Epos.«

      Morgaine schluckte. Ihre Lippen waren trocken und ihre gesamte Muskulatur schmerzte bereits, da sie die ganze Zeit so angespannt war.

      Ravenberg ließ ein Script-Pad zum Vorschein kommen. »Auf diesem Pad finden sie alle notwendigen Informationen. Sie werden die Koordinaten einlesen, den Zielpunkt anstreben und ihre Mission durchführen. Ich hoffe, ihnen ist die Tragweite dieser Mission bewusst. Wir müssen herausfinden – zum Wohle der Andragon-Kantone – ob es sich bei den registrierten Objekten um Intelligenz und um Freund oder Feind handelt. Handelt es sich um eine kleine Rasse, um Boten einer entfernten Zivilisation, um ein Imperium das uns bedrohen könnte ... Finden sie es heraus. Ich lege vollstes Vertrauen in sie.« Sein letzter Satz klang normal, aber Morgaine spürte etwas Düsteres in seinen Worten.

      Ravenberg reichte ihr das Script-Pad, ohne sie aus den Augen zu lassen.

      Morgaine nahm es und nickte. Sie realisierte, dass die Unterhaltung zu Ende war und wandte sich langsam ab.

      Als sie die Tür erreicht hatte und hindurch treten wollte, hörte sie ein letztes Mal Ravenbergs eiskalte Stimme, die wie die feine Autopsiesäge eines Pathologen durch den Raum schnitt und sie verharren ließ. »Morgaine Hera ...« Die Pause war unerträglich, die folgenden Worte schlimmer. »Enttäuschen sie mich nicht.«

      »Jawohl«, sagte Morgaine kühl ohne sich umzudrehen und ging durch die Tür.

      Den gesamten Rückweg