Dominik Michalke

Arym Var


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koordinierte seine Verbindung zu den Gravitationsquellen und das Schiff glitt wie von Geisterhand aus dem Hangar, setzte in mehreren Abschnitten den Kurs neu und steuerte schließlich, unmerklich beschleunigend, auf einen Punkt in der Ferne zu.

      Morgaine hätte sich irgendwie beschäftigen können, zum Beispiel mit Informationsdaten des Bordcomputers. Doch sie verzichtete darauf und blickte stattdessen stumm in den Weltraum, der sich vor ihrem Blickfeld offenbarte.

      Nach etwa fünf Erdminuten konnte man die Epos bereits erkennen. Das Shuttle bremste geringfügig ab und schlug einen neuen Kurs entlang einer der Seiten der Epos ein. Erst jetzt konnte Morgaine ein Gefühl dafür entwickeln – verglichen mit der Stronghold – von welchen dimensionalen Ausmaßen die Flaggfregatte des AKZ tatsächlich war.

      Die Epos war gigantisch.

      Morgaine kannte die Daten und die Bilder. Sie kannte die Zahl der Besatzung von über einunddreißig tausend Mann, die 3D-Modelle der Hülle und die Waffensysteme, die allein komplette Armadas ausschalten konnten.

      Doch die Daten zu lesen war eine Sache. Das Schiff wirklich zu sehen eine andere.

      Einfach ausgedrückt sah die Epos aus wie ein silbernes flaches symmetrisches Dreieck mit abgerundeten Kanten. Dieses Dreieck hatte an seiner Ober- und Unterseite mehrere Auswölbungen. Eine dieser Auswölbungen musst etwa so groß sein wie die komplette Stronghold. An der Spitze des Dreiecks befand sich eine Art Röhre, die in horizontaler Richtung nach vorne zeigte.

      Morgaine vermutete, dass es sich dabei um die von Seth Corbane entwickelte Kronoid-Tachyonlanze handelte – umgangssprachlich auch als ‚Das Schafott‘ bezeichnet – deren Feuerkraft die von zehn Strongholds überschreiten musste.

      Als Morgaine an einer der Seiten des Schiffes entlang flog, bemerkte sie unzählige von Schiffen, kleineren Kreuzern, AKZ-Interzeptoren und sogar vereinzelte Xeter-Gefechtskreuzer, die wie Bienen um eine Honigwabe schwirrten und nahezu die Sicht auf den Weltraum versperrten. An der Seite des Schiffs waren im Vorbeiflug ununterbrochen Hangarschleusen zu erkennen.

      Einige waren verschlossen, manche standen offen. Andere öffneten sich gerade und offenbarten Kreuzer, die herausgeschossen kamen, sofort ihre Kurse veränderten und sich in das Chaos von Schiffen um die Epos eingliederten.

      Alle paar Sekunden bemerkte Morgaine eine Art dunkelblaue, pulsierende Lichtdruckwelle, die vom Heck des Schiffes ausging und wirkungslos über sämtliche Schiffe in der Umgebung strich. Morgaine vermutete den neu entwickelten Nexusplanetarantrieb, dessen Funktionsweise wie Wirkung ihr Wissen und ihr Verständnis um große Ausmaße überstieg.

      Je näher sie der Oberfläche der Epos kam, desto mehr Struktur konnte sie erkennen. Schließlich glaubte sie sogar, einzelne Fenster und Luken zwischen den silbernen Metallplatten und Stahlstreben erkennen zu können.

      Die fliegende Stadt, dachte Morgaine und vergaß einen Moment lang ihre Anspannung.

      Doch die sanfte, pseudofröhliche Frauenstimme des Bordcomputers riss sie aus ihrer Ablenkung. »Eintreffen bei Hangarbucht 22 in dreißig Sekunden. Bitte halten sie sich zum Ausstieg bereit.«

      Das Shuttle korrigierte seinen Kurs und steuerte auf eine Metallwand zu, die sich langsam zu vier Seiten öffnete. Das Shuttle manövrierte in die Öffnung und korrigierte mehrmals in völlig ruhigen Bewegungen mit dem PGA den Eintrittswinkel, bis es schließlich horizontal um hundertachtzig Grad rotierte und mit der Rückseite auf eine kreisrunde Schleuse zusteuerte. Morgaines Blick aus dem Cockpit zeige ihr, wie sich die vier Metalltüren von Hangarbucht 22

      langsam wieder schlossen. Ein Ruck ging durch das Shuttle, ein mehrfach zischendes Geräusch war zu vernehmen und das Gefährt war zum Stillstand gekommen.

      Morgaine ignorierte das »Wir haben soeben an der Schleuse in Hangarbucht 22 angedockt und bitten sie nun, das Shuttle zu verlassen«, und ging angespannt aber entschlossen auf die sich öffnende Schleuse im Heck des Shuttles zu.

      Das erste was ihr auffiel waren die beiden Gestalten, die rechts und links um eine Frau mittleren Alters postiert waren. Sie trugen die gleichen Vis-Vorrichtungen vor ihren Augen wie der Kontaktmann auf dem Monitor der Stronghold und standen mit regungslosen Mienen und verschränkten Armen da. Morgaine bemerkte, dass ihre Schädel keine Haare trugen sondern silberne Metallbahnen, die über die Stirn und hinten in Richtung der Wirbelsäule verliefen.

      Cyborgs, dachte sie grimmig. Cyborgs, kybernetische Organismen, wurden unter den Andragon-Kantonen oft als Minenarbeiter oder Hüllenreparaturkräfte genutzt. Dass sie hier als Sicherheitskräfte unter normalen Menschen agierten, ließ Morgaine stutzen. Es war ungewöhnlich. Cyborgs konnten programmiert werden, aber sie konnten auch manipuliert werden.

      Die Frau in der Mitte schenkte ihr ein fast zu schönes Lächeln. Sie hatte kurze Haare, die ihr kaum bis zu den Schultern reichten und trug eine enge Uniform, die das Kodexzeichen des AKZ zeigte. Sie hielt Morgaine die Hand entgegen. Morgaine ergriff sie widerwillig.

      »Captain Morgaine Hera! Mein Name ist Lieutenant Brooge. Ich begrüße sie mit den Grüßen des Kodex auf der Epos, der Flaggfregatte des AKZ. Mir wurde die ehrenhafte Aufgabe zuteil, sie zu Maurizius Ravenberg in seinen Regierungssitz zu begleiten.« Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd.

      Morgaine fand, dass Brooge das Pferdegebiss einer alten Tante hatte, wenngleich sie wohl nur halb so alt war wie der Olympfregattenkapitän mit sechsundvierzig Erdjahren.

      »Sehr erfreut«, log Morgaine und entzog sich sachte der klammernden Hand von Lieutenant Brooge.

      »Bitte folgen sie mir!«, trällerte Brooge und setzte sich in Bewegung. Die beiden Cyborgs folgten ihr zeitgleich, einer links, einer rechts. Beide hielten genau einen Schritt Abstand und starrten stumm nach vorne. Morgaine folgte.

      Nach einem breiten Gang erreichten sie einen riesigen kreisförmigen Raum, der offensichtlich das Zugangszentrum für die Offiziershangars darstellte. Von diesem kreisförmigen Raum aus, der an der Decke mehrere helle Pulslampen angebracht hatte, gingen einzelne Durchgänge zu allen Seiten weg, die mit Nummern von eins bis fünfzig beschriftet waren.

      Morgaine folgte Brooge und den Cyborgs zur Mitte des kreisförmigen Raums, wo eine schmale Säule direkt nach oben verlief. Erst als Morgaine unmittelbar davor stand erkannte sie, dass es sich um eine Art Röhrentransporter wie auf der Stronghold handelte. Eine smaragdgrüne Flarretglastür verschwand fast lautlos im Boden und öffnete den Weg zu einer Transportkapsel, die etwa sechs Mann fassen konnte.

      Morgaine betrat langsam hinter Brooge den engen Raum und versuchte, nicht einen der Cyborgs zu berühren, die mit ausdrucksloser Miene starr zu den Seiten blickend neben ihr standen. Brooge frischte lediglich schweigend ihr künstliches Pferdelächeln auf und aktivierte eine Transportroute.

      Die Kapsel setzte sich in Bewegung. Morgaine erkannte kaum einen Unterschied zu den Röhrentransportern der Stronghold, außer, dass die Kapsel sich viel schneller fortzubewegen schien und Röhrenübergänge wechselte, dass ihr schwindlig wurde. Durch die gelben Funken hindurch, die außerhalb der Kapsel entlang stoben, erkannte Morgaine verschiedene Abschnitte der Epos, durch die sie sich bewegten.

      Sie schienen durch das halbe Schiff zu reisen. Zuerst schossen verschiedene Hangarbuchten vorbei. Schließlich wurden die Metallwände dunkler und schienen eine Art maschinelle Umgebung anzukündigen. Förderbänder transportierten Gegenstände, Bedienstete huschten in Frachträumen umher. Manche Förderbänder schienen unmittelbar neben den Röhren des Röhrentransporters zu verlaufen. Morgaine glaubte etwas wie eine Nahrungsentwicklungsfabrik und eine Müllkompressionsanlage zu sehen. Dann veränderte sich die Umgebung. Die Röhre, in der sie dahinschossen, führte in einen länglichen großen Raum, dessen Enden Morgaine kaum erblicken konnte. Tausende Menschen marschierten über den weißen Boden zwischen seltsamen Geräten, Kuppeln und turmartigen Gebilden hin und her.

      Der Raum schoss an Morgaine vorbei. Die Kapsel vollführte mehrere Röhrenwechsel. Sie nahm einen Kurs ein, der Morgaine ein ‚nach oben‘-Gefühl vermittelte und bremste langsam ab. Gelbe Funken stoben an der Hülle entlang und die Kapsel kam vertikal zum Stillstand.

      »Hier wären wir!«, sagte Brooge