Dominik Michalke

Arym Var


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      Die Bewegungen wurden immer schneller und immer bizarrer. Schneller, als ein Mensch sich bewegen konnte. Dann wurde Asruans Körper ein Stück durch die Luft geschleudert und sein Kopf und Torso zersprangen gleichzeitig in einer entsetzlichen Wolke aus dunkelroter Masse. Seine Gliedmaßen trennten sich vom Körper und flogen in unterschiedliche Richtungen, um am Boden zum Stillstand zu kommen.

      Kargan spürte nichts.

      Er war unter Schock. Sein Mund stand halb offen und seine Augen waren starr auf den Monitor gerichtet, wo sich das schreckliche Schauspiel in völliger Stille abgespielt hatte. Doch dann bewegte sich das andere Wesen. Kargan war sich nicht sicher, aber er hatte das Gefühl, dass das Wesen in die Kamera blickte. Es zuckte mehrmals hin und her und schien plötzlich näher vor der Kamera zu schweben. Durch den wabernden Strom und die Verzerrungen in der Luft glaubte Kargan den Umriss eines Gesichts zu erkennen. Zwei kugelrunde verschwommene Löcher, die mehr an riesige Augenhöhlen erinnerten, befanden sich im oberen Bereich des Gesichts. Anstelle eines Mundes war ebenfalls ein klaffendes großes dunkles Loch zu erkennen, das zu einem endlosen Schrei geöffnet zu sein schien.

      Dann verbog es sich und war weg.

      Kchrrrt, kchrrrt, kchrrt.

      Kargan schrak aus seinem Schockzustand, nur um in einen weiteren zu fallen. Was sollte das? Er hatte den Terra-Kom-Receiver abgeschaltet.

      Kchrrrt, kchrrrt, kchrrt. Rrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrrr.

      Das Geräusch kam nicht aus dem TKR-Lautsprecher. Es kam aus dem Kurzstreckentransceiver-Lautsprecher. Nicht nur aus dem, es kam auch aus dem Langstreckentransceiver-Lautsprecher. Und aus den Sonarstoßempfängern. Es kam von überall her. Aus jedem Gerät und aus jedem Lautsprecher, den Kargan in seinem Kom-Turm hatte.

      Dann kamen weitere der Wesen. Kargan sah sie auf den Überwachungsstreams. Die meisten kamen durch die verschlossene Hauptschleuse. Manche kamen einfach durch die Wand daneben. Es waren mindestens vier oder fünf.

      Kargan rann der Schweiß von der Stirn. Erneut blickte er in seinem Raum hin und her, riss die Türen des Spindes auf und sah hinein, blickte zum Fenster hinaus und sah sich nach etwas um, das er nicht finden konnte.

      Das Fenster. Draußen war der Sandsturm in vollem Gange. Das Fenster schützte den Turm einwandfrei. Es war aus Flarretglas. Flarret war eine Universalverbindungskomponente, die Jan Flarret kurz nach der Zerstörung der ersten Erde durch die Nanobombe von 2471 entwickelt hatte. Sie war mit fast jedem anderen Stoff zu verbinden, war günstig herzustellen und lieferte gute Qualität meist in Form von Stabilität.

      Aber Flarretglas war nicht kugelsicheres Glas.

      Ein Summen war zu vernehmen, das konstant lauter wurde. Kargan vermeinte sogar, wieder den minimalen Sog in seinem Kopf zu spüren. Sie kommen, dachte er und schaute auf den Monitor.

      Dieser ging jedoch plötzlich aus, bevor Kargan einen genaueren Blick darauf werfen konnte. Er benötigte eine weitere Sekunde, bis er realisierte, dass der gesamte Strom aus war. Kein Notstromaggregat sprang an. Die Geräte in Kargans Kom-Raum waren erloschen. Er saß fast in Dunkelheit. Lediglich ein geringer Lichtschimmer schien noch von draußen durch die roten Schwaden des tobenden Sandsturms herein.

      Das Summen wurde lauter. Es nahm wieder den entsetzlichen leiernden Klang an, der an einen kaputten Kassettenrecorder erinnerte. Kargan schwebte in dem Grauen, dass ihn dasselbe Schicksal ereilen würde wie vor wenigen Infidelis-Sekunden Asruan.

      Doch er hatte noch Barg-Sas Waffe und er hatte immer noch den Expeditionsanzug an. Er zielte auf das Flarretglasfenster vor sich und drückte ab.

      Mit einem lauten Knall schlug das Projektil auf der Glasscheibe ein. An dieser Stelle verformte sich das Glas, splitterte und lies einen milchigen runden Bruch erkennen. Aber die Glasscheibe hielt.

      Das Summen wurde unerträglich laut. Sie mussten den Fuß des Kom-Turms erreicht haben.

      Kargan feuerte. Dreimal, viermal. Die Glasscheibe hielt stand. Kargan spürte, dass eines der Wesen direkt unter der Luke sein musste. Voller Rage sprang er auf die Bedienungskonsole vor sich und hieb mit voller Wucht mehrmals mit seinem Fuß gegen die Scheibe. Beim dritten Schlag gab die Scheibe nach. Die Scherben stoben nach draußen und wurden durch den tobenden Sandsturm in alle Richtungen fortgerissen.

      Kargan fiel durch den Schwung durch die Öffnung hindurch.

      Das erste was er realisierte waren die Sandkörner, die wie Nadeln in Höchstgeschwindigkeit auf sein Gesicht einprasselten und ihm die Luft zum Atmen nahmen. Der Wind zerrte an seinem Körper und füllte seine Ohren mit einem Tosen.

      Er rutschte von der Kante ab. In letzter Sekunde fand er Halt an einer Querstrebe, die sich entlang des Stahlgerüstes am Turm zog. Barg-Sas Waffe entglitt seinen Händen und verschwand in den rotbraunen Wolken unter ihm.

      Kargans Füße baumelten frei in der Luft. Angestrengt versuchte er sich entlang des Gerüstes zu tasten und Halt zu finden. Er spürte eine weitere Querstrebe mit einem Fuß, die den Kom-Raum über der Verbindungsstahlröhre stabilisierte und versuchte, sich darauf zu stützen.

      Er erinnerte sich daran, was er gesehen hatte, als er sich beim Anflug auf Andragon Outrange 15 mit dem Perser-Shuttle die Station im Bordcomputer angesehen hatte. Der Kom-Turm hatte bei dem 3D-Modell auch eine Leiter außerhalb des Turmes gehabt, allerdings auf der östlichen Seite.

      Irgendwie schaffte er es, sich an den Querstreben um den Turm herum zu hangeln, während der Sandsturm um ihn herum tobte und Rotsand in seine Augen trieb. Auf der anderen Seite erreichte er die externe Leiter und begann hektisch den Abstieg. Kargan betete, dass eins der Wesen nicht auf die Idee kam, durch die Turmwand direkt neben ihm heraus zu schweben. Offensichtlich hatten sie die Fähigkeit, einfach durch Wände zu fliegen. Doch er hatte Glück und erreichte erschöpft und geläutert das Dach über dem ersten Stock.

      Dass er keine Zeit zum Verharren hatte realisierte er, als er einen Blick nach oben warf und durch die Sandschwaden vage den Umriss eines Kugelrunden schwarzen Kopfes durch das offene Turmfenster sah. Selbst aus dieser Entfernung konnte Kargan noch erkennen, dass sich die Umgebung um das Wesen verzerrte und verbog. Die eintreffenden Sandkörner um das Wesen schienen viel langsamer zu werden, als würden sie in Wasser fallen und dort langsam zu Boden sinken.

      Dann fiel Kargans Blick nach Süden. Der Nexus war nicht mehr zu erkennen, nur noch rotbraune Schwaden im dämmrigen Licht, die über den Boden, über die Betonblöcke und über die kaum erkennbaren Umrisse der Wesen stoben.

      Es mussten mindestens vierzehn oder fünfzehn sein. Sie standen wie Kerzen nebeneinander in der südlichen Wüste vor Andragon Outrange 15. Sie hatten allesamt ihre Hände horizontal von ihren dünnen Körpern weggestreckt und schienen nun in ihren seltsamen Auren zu flimmern und zu zucken. Kargan merkte, dass er nun ein deutliches, leierndes Summen über dem Tosen des Sturms vernehmen konnte.

      Panisch blickte er nach Norden. In der geringen Reichweite, die er sehen konnte, waren keine der Wesen zuerkennen.

      Er rannte zur nördlichen Kante des Dachs. Er bemerkte einen der Betonklötze, der nahe genug war, dass er einen Sprung wagen konnte. Ohne zu zögern rannte er weiter, legte er seine ganze Energie in seine Beinmuskulatur und sprang.

      Er wäre beim Sprung fast abgerutscht, hatte aber genügend Schwung, um den Betonklotz zu erreichen. Dadurch hatte er etwa drei Meter Höhe verloren und war dem Boden ein Stück näher. So gut es ging nahm er wieder Anlauf und sprang zum nächsten Betonklotz in nördlicher Richtung. Dies setzte er fort, bis er an der vier Meter hohen nördlichen Außenbetonreihe angelangt war. Er ließ sich an der Außenwand herunter, verlor den Halt, schürfte sich seine Handflächen auf und landete unsanft im Sand. Keuchend raffte er sich wieder auf und rannte in die Richtung, die seiner Meinung nach Nordwesten war. Seine einzige Chance war, die anderen zu suchen.

      Nach mehreren hundert Metern wagte er einen letzten Blick zurück. In den Schwaden des Rotsandes, die über die Teneib-Wüste fegten, glaubte Kargan zu erkennen, wie sich die ganze Station veränderte. Die gesamte Luft um die Station schien sich zu verzerren und die Sicht verschwimmen zu lassen. Wo eben noch dunkle Strukturen