Dominik Michalke

Arym Var


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Morgaine offenbarte sich ein langer, schmaler, weißer Gang. Sechs Cyborgs standen mit verschränkten Armen dem Gang zugewandt mit dem Rücken zur Wand. Keiner regte sich, als Brooge zusammen mit den anderen beiden Cyborgs an ihnen vorbeiging und Morgaine ihr folgte.

      Der Gang endete an einer massiven Flarretstahltür, die Brooge mit einem Fingerscan öffnete. Dahinter war ein weiterer weißer Raum angebracht, der keinerlei Verzierungen hatte und lediglich ein längliches Pult an der Seite beherbergte, das neben einer weiteren massiven Flarretstahltür angebracht war. Hinter dem Pult saß eine junge Frau, die ihre orangeroten Haare zu einem strengen Dutt zusammengetan hatte. Die Frau starrte Morgaine durchdringend an.

      Morgaine wusste sofort, dass es sich um einen Mutant handeln musste. Die Frau hatte schimmernde blaue Augen, die zu leuchten schienen. Sie hatte keine Augenbrauen, und ihre Fingerspitzen waren unnatürlich lang.

      »Captain Morgaine Hera«, meldete Brooge.

      Morgaine sah sie zum ersten Mal nicht aufgesetzt grinsen.

      Die Frau hinter dem Pult starrte weiterhin den Olympfregattenkapitän an und bewegte eine ihrer seltsamen langen Fingerspitzen auf einen Knopf, ohne den Blick abzuwenden. Ihre schimmernden blauen Augen erzeugten ein Kribbeln auf Morgaines Rücken.

      Vier andragonische Sekunden später blinkte ein grünes Licht über der massiven Flarretstahltür neben dem Pult. Morgaine wusste, dass sich dahinter Ravenberg befinden würde. Das erste Mal verspürte sie Angst. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, oder wie ein Treffen mit dem Sohn ihres geschätzten Freundes Thorwald Ravenberg aussehen würde, aber irgendetwas beunruhigte sie gewaltig.

      »Bitte!«, trällerte Brooge und wies auf die Tür, über der das grüne Licht pulsierte. Doch anstatt Morgaine den Vortritt zu lassen, setzte sie sich selbst in Bewegung und ging auf die Tür zu. Diese öffnete sich mit einem blechernen, kalten Geräusch.

      Morgaine folgte Brooge. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass die Frau hinter dem Pult immer noch in ihre Richtung starrte. Doch als sich Morgaine umwandte, hatte es den Eindruck, als würde die Frau nicht sie, sondern vielmehr Brooge anblicken, den Mund von einem seltsamen Lächeln umspielt.

      »Captain Morgaine Hera.« Ravenbergs Stimme klang leise, autoritär und unsagbar kalt. Sie klang, als würde man auf dünnem Eis stehen und einbrechen, würde man seine Stimmlage verändern. Ravenberg saß auf einer Erhöhung hinter einem verzierten, sehr breiten, dicken Tisch und hatte die Hände aneinander gelegt.

      Der großzügige weiße Raum hatte seltsame Bilder, Symbole und andere nicht identifizierbare Gegenstände an der Wand hängen. Zwei Cyborgs standen an den Wänden, die anders aussahen als die vorherigen, wie sie Morgaine gesehen hatte. Sie hatten dicke mehrschichtige Panzer um ihre Oberkörper und seltsame silberne Helme auf ihren Köpfen, durch deren Visierschlitze starre ausdruckslose Augen erkennbar waren. Sie hatten bedrohlich wirkende Taychonlanzen, die sie wie zum Kampf bereit in den Händen hielten.

      Doch was Morgaine auf Anhieb viel mehr Nervosität einflößte als alles andere, war das Geschöpf, das sich in einer mit Flüssigkeit gefüllten Glasröhre neben Ravenbergs Tisch befand. Es war eine Mutantenfrau, wobei Morgaine das Geschlecht nur vage bestimmen konnte. Das Geschöpf schwamm in einer leicht grünlichen Flüssigkeit und zuckte von Zeit zu Zeit. Es hatte bleiche, hellgraue Haut und der Körper erinnerte nur entfernt an den eines Menschen.

      Es war entsetzlich entstellt, hatte Knorpel und Ausbeulungen an unzähligen Stellen und die Arme und Beine waren unnatürlich verdreht.

      Doch all dies war nichts für Morgaine, verglichen mit dem Gesicht der Mutantenfrau. Dort, wo sich ein rechtes Auge hätte befinden sollen, prangte eine dunkelrote knorpelige Röhre, die direkt im Kopf des Wesens zu verschwinden schien. Das andere Auge war gelblich weiß und besaß weder Iris noch Pupille. Der Mund der Mutantin war zu einem endlosen stummen Schrei verzerrt. Etwas wie vereinzelte Zähne schienen aus verschiedenen Stellen gelblich hervor zu blinken. Der Kiefer war verdreht und zuckte ähnlich wie der gesamte Körper der Mutantin alle paar Sekunden zusammen. Mehrere unterschiedlich große Schläuche führten von der abgedeckten oberen Hälfte der Glasröhre direkt in Kopf und Körper des Wesens. Ein konstantes Zischen und Blubbern ging von dem Gefäß der Mutantin aus.

      Morgaine hatte von Telepathen gehört, aber es zu erleben war viel schlimmer. Als sie direkt vor Ravenberg stand fühlte sie, wie die Telepathiemutantin sie gedanklich durchleuchtete. Betastete wäre der bessere Ausdruck gewesen, denn es fühlte sich an, als würden feuchte kalte Hände grob über Morgaines nackten Körper fahren, ihn an allen Ecken und Enden abtasten und schließlich den Kopf, oder vielmehr das Gehirn selbst ergreifen. Morgaine glaubte in Gedanken eine Stimme zu hören, wie ein Eindringling im Kopf, der mit wirren Worten umhersucht und nicht findet.

      Morgaine versuchte sich nichts anmerken zu lassen.

      Sie hatte oft von Mutanten gehört und gelesen, hatte sie immer verabscheut und gemieden. Doch in diesem Augenblick war sie ausgeliefert.

      Mutanten waren entstanden, als das Spezialprojekt Terrauranus gescheitert war. Das Projekt war der fragwürdige Versuch einiger abtrünniger Kantonwissenschaftler gewesen, einen Gasriesen zu terraformen. Es wurden bizarre Schwebestationen mit Sauerstoffwandlern gebaut, die von vielen heimatlosen Pendlern des ‚Erbe des Lichts‘-Systems bevölkert worden waren.

      Mehrere Jahre verlief alles normal. Doch keiner wusste von einem Element in der Atmosphäre, dass die Wissenschaftler nicht hatten entdecken können. Das so genannte Ze-Element überbrückte die Wandler des Sauerstoffgenerators und wurde über Jahre hinweg von der Bevölkerung eingeatmet, bis diese sich schließlich veränderte.

      Die Veränderungen waren schleichend und bei allen vollkommen unterschiedlich. Bei manchen Menschen veränderten sich lediglich die Zellen. Es wuchsen neue Gliedmaßen oder vorhandene mutierten. Muskelbau nahm rapide ab oder zu.

      Doch manche andere Menschen entwickelten Dinge, die absolut unerklärlich und teilweise erschreckend waren. Einige Mutierte entwickelten plötzlich telepathische, telekinetische oder ähnliche übernatürliche Fähigkeiten. Andere veränderten ihren gesamten Stoffwechsel oder ihre Körperstrukturen und schienen sich in völlig andere Lebensformen zu verwandeln.

      Wie immer gab es unterschiedliche Ansichten über diese Phänomene und daraus entwickelten sich unterschiedliche Parteien. Ein Großteil der Kantone sah Projekt Terrauranus als ursprünglich ungenehmigtes Terraforming-Projekt, das negative Folgen nach sich gezogen hatte, die es zu eliminieren galt.

      Viele Kantonführer forderten eine Liquidation der Mutationen und ein vollständiges Begräbnis des gescheiterten Projekts. Andere schlugen sich auf die Seite der Mutanten und verteidigten sie mit der Begründung, dass der Kodex der Andragon-Kantone verletzt werden würde, weil die Mutierten immer noch Menschen waren und ein Recht auf Leben haben sollten.

      Dann waren da noch die Wissenschaftler, die zwischen den Parteien standen und versuchten, ihren wissenschaftlichen Vorteil aus dem Geschehenen zu ziehen.

      Während alldem Drumherum gelang es Mutanten, Uranus zu verlassen. Viele wurden gejagt, ob von überzeugten Antimutanten, Kantongarde-Soldaten oder einfachen Söldnern. Viele Mutanten starben, doch auch viele entkamen und schienen spurlos zu verschwinden.

      Als wenige Jahrhunderte später Gras über die Sache gewachsen war, schienen wie aus dem Nichts immer und immer wieder Mutanten zu erscheinen.

      Manche vermuteten, dass sie im Verborgenen einen eigenen Stamm entwickelt hatten. Andere glaubten, dass sie sich vereinzelt mit Menschen gepaart und vermehrt hatten. Fortan waren Mutationen Bestandteil der menschlichen Bevölkerung.

      Als schließlich Thorwald Ravenberg das Gesetz der freien Andragon-Mutanten festlegte, wurden erneute Rufe zur Vernichtung der Mutanten zu Boden geworfen. Seither lebten Mutanten und Halbmutanten entlang der reinen Menschen, teils respektiert und sogar beneidet, meist jedoch gehasst und illegal gejagt.

      Es gab nicht mehr viele Mutanten und Morgaine hätte bei Maurizius am wenigsten mit einem gerechnet. Doch diese entsetzliche Telepathin befand sich direkt vor ihren Augen. Sie war neben Ravenberg und durchwühlte ihre Gedanken und Erinnerungen wie ein verschrecktes und zugleich unvorsichtiges,