Dominik Michalke

Arym Var


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erschauerte.

      Sein Neutronengewehr! Er hatte sein Neutronengewehr in der Fötuskammer nach dem Kampf mit dem fünften Wächter liegen lassen. Er verfluchte sich einmal und abermals. Wie hatte ihm nur so etwas passieren können? Noch dazu in einer derartigen Situation! Abgesehen davon, dass er nun keine Fernkampfwaffe mehr besaß, hatte er nun zur Beleuchtung des Höhlensystems nur noch die etwas schwächere Pulslampe auf seinem Kampfpanzer-Helm zur Verfügung.

      Vor Wut über sich selbst schrie er laut auf in seinem Helm, ohne an Geschwindigkeit nachzulassen. Es gab kein Zurück mehr. Und er hatte bereits mehr als einen Wächter mit allein seiner Talusklinge besiegt. Doch eine weitere Aktion wie die Modifikation des Umgebungsanpassers würde seine Anzugenergie in extrem kritische Bereiche bringen. So etwas konnte er sich nicht noch einmal erlauben.

      Murdoc fluchte ein letztes Mal und erreichte zu seiner Erleichterung den senkrechten Höhlengang, der Giebels und ihn zur Fötus-Kolonie geführt hatte.

      Ohne großartig abzubremsen setzte Murdoc zu einem waghalsigen Sprung in Richtung des Tunnels an, der etwa drei Meter breit war.

      Zu seinem Erstaunen war ihm der Sprung relativ gut gelungen und er schwebte mittig durch den Durchgang, drehte sich um neunzig Grad und fand mit seinen Gravitationsstiefeln halt.

      Genau in dem Moment, als seine Füße zu Boden kamen, schoss ein lautes Zischen des Team-Koms durch Murdocs Helm.

      Er keuchte die für den Sprung angehaltene Luft laut aus, um sich von dem Schock abzulenken. Er hätte das Team-Kom auch ausschalten können, doch das wollte er nicht riskieren. Wer wusste, ob sich Giebels oder jemand von den anderen am Ende nicht doch noch meldete?

      Murdoc hastete weiter den dunklen Tunnel nach oben. Die Zehn-Prozent-Grenze der Anzugenergie wurde soeben unterschritten. Er konnte es schaffen.

      Er würde es schaffen! Von oben aus war es nicht mehr weit bis zum Extraktionspunkt. Aber was war mit Giebels? Sollte er nach ihm suchen? Verdammt, sollten sie ihn Feigling nennen, sollten sie ihn beschimpfen, was auch immer da oben passiert war, Murdoc wollte nicht das gleiche Schicksal erfahren wie die anderen, dessen war er sich sicher. Seine Anzugenergie würde sowieso nicht mehr reichen. Er musste zum Extraktionspunkt.

      Wie ein Kribbeln am Rücken verspürte Murdoc wieder diese Präsenz, die hinter ihm alles zu verschlingen schien. Er schaute nicht zurück.

      Die Pulslampe auf seinem Helm setzte kurz aus und ging wieder an. Einen Moment war er in absoluter Dunkelheit gewesen.

      Nein, nicht meine Pulslampe. Nicht die Lampe! Die Lampe muss halten!

      Die Standard-Pulslampen auf den Neutronengewehren oder an Cheops Mark IV Helmen der Kantongarde hielten vier Monate in brennendem Zustand. Diese Lampe konnte einfach nicht den Geist aufgeben.

      Die Dunkelheit! Sie verschlingt dich und löst dich in Nichts auf!

      Murdoc verscheuchte die singende Fratze mit den Katzenohren aus seinem Gedächtnis und rannte weiter.

      Bald kam er dort an, wo Giebels und er Foster Lagebericht erstattet hatten, bevor sie den Kontakt zu dem Missionsleiter verloren hatten.

      In dem Moment als Murdoc aus dem Tunnel heraustrat, setzte seine Pulslampe aus. Doch er hatte etwas gesehen. Den Umriss einer Gestalt, kurz bevor die Lampe ausgegangen war, direkt gegenüber von ihm.

      Diesmal war Murdoc zu abgelenkt um Zeit für Angst zu haben. Instinktiv ließ er sich in die Hocke sinken und ließ seine Talusklinge ausfahren.

      Die Pulslampe ging wieder an.

      Da war die Gestalt vor ihm, etwa fünf Meter entfernt, reglos. Murdoc überlegte sich schon, ob er gleich angreifen oder warten sollte, doch die Stimme brachte ihn wieder zu Sinnen.

      »John.«

      Die monotone Stimme Giebels’ schien in Murdocs Helm zu echoen.

      »Giebels! Oh Gott, Giebels, was bin ich erleichtert sie zu sehen! Giebels, ich habe den Fötus! Lassen sie uns von hier verschwi ...«

      »John.« Giebels Stimme war fast doppelt so laut wie zuvor. »Sie sind alle tot, John. Alle. Foster, Lanzett, Akriba. Alle tot.«

      Murdoc starrte ihn an. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, weil sich das Licht seiner Pulslampe auf Giebels Helm grell spiegelte.

      Er öffnete den Mund, doch bevor er etwas erwidern konnte, zerbrach Giebels Helm mit einem lautlosen Ruck und sein Kopf explodierte im Vakuum. Sein Cheops Mark IV Kampfpanzer sank langsam zu Boden und entblößte den dahinter stehenden Mörder. Ein menschengroßes Wesen, das Murdoc noch nie gesehen hatte, mit einer blutigen Klinge in der Rechten, legte den Kopf leicht schief und schien rückwärts in die Dunkelheit zu schweben und mit ihr zu verschmelzen, als wäre es nie da gewesen.

      Murdoc hörte ein Wimmern. Die Tatsache, dass es sein eigenes war, riss ihn aus seinem Schockzustand. Hektisch und voller Anspannung beleuchtete er den Abschnitt, in dem er sich befand. Von dem Wesen war keine Spur zu sehen. Blutpartikel waren im Licht zu erkennen, die unendlich langsam zu Boden schwebten. Der Lichtstrahl streifte Giebels’ Körper, oder das, was von ihm noch übrig war. Murdoc drehte den Kopf schnell zur Seite und versuchte seinen Würgereiz zu unterdrücken.

      Er musste sich jetzt konzentrieren. Er musste es verdrängen so gut es ging.

      Immerhin war er noch am Leben. Und er wollte es bleiben.

      Es musste sich um ein Zodiac gehandelt haben, ein Sucherwesen. Eines der Wesen, die schon vor dem Einzug der Andragon-Kantone im Arym Var-System gewesen waren.

      Es durfte kein Zodiac auf diesem Asteroiden geben! Die Missionsvoraussetzung war absolute Sicherheit bezüglich der Konditionen. Die Sicherheit, dass bestimmte Variablen vorhanden, und andere nicht vorhanden waren. Die Sicherheit, dass mit Widerstand durch Wächter gerechnet werden musste und sich aber kein Zodiac auf dem Asteroiden befand. Was hatte das zu bedeuten?

      Es war absolut ausgeschlossen für die perfekte Missionsplanung des Karndalf-Kantons, dass eine Variable übersehen wurde.

      Murdoc wusste, dass das Zodiac ihn auch töten würde. Es war nur die Frage, wann und wo es erneut zuschlagen würde. Zodiacs töteten seit dem Einzug der Andragon-Kantone Menschen. Dabei war kein bestimmtes Prinzip zu erkennen. Sie erschienen unregelmäßig an unterschiedlichsten Orten – meist Orte völlig unabhängig von strategischen Bedeutungen – und schlugen dann zu. Sie waren gefürchtet selbst im Karndalf-Kanton, welches für seinen technologischen Fortschritt, seine Sicherheit und seine gute Organisation bekannt war. Soldaten erzählten sich gegenseitig Schauermärchen in Kasernen oder auf Kreuzern, doch getötet hatte noch nie jemand ein Zodiac.

      Die alles auflösende Dunkelheit hinter ihm, das Gefühl einer bösen Präsenz, alles Schwachsinn, versuchte sich Murdoc einzureden. Das Böse hat ein Gesicht in diesen Gewölben.

      Er rannte los. Da er der einzig Überlebende war, würde das automatische Perser-Shuttle seinen Teleport-Befehl ausführen, sobald er in Reichweite war. Zumindest konnte Murdoc das nur hoffen, ansonsten war er verloren.

      Doch musste er den Fötus überhaupt zu seinem Shuttle bringen? War da nicht die Marx, die irgendwo in unmittelbarer Nähe des Asteroiden sein musste? Warum griff sie nicht in das Geschehen ein?

      Als hätte jemand seine Gedanken gelesen, ertönte das Karndalf-Signal in seinem Helm und die monotone Stimme erklang, die Murdoc schon in der Nähe des Fötus einmal gehört hatte. »John Casper Murdoc, hier spricht die Missionsleitstelle der Olympfregatte Marx unter der Führung von Kantonvorsitzender Amelie Sakarelij. Ihre Anweisung lautet nun, sich so weit wie möglich zur Oberfläche des Asteroiden zu bewegen. Da das Asteroidenfeld des Aaron-Schwarms zu dicht für eine Olympfregatte der Größe der Marx ist, befinden wir uns am nexusnnäheren Rand des Aaron-Schwarms und werden sie von der Oberfläche teleportieren. Die Struktur des Asteroiden weist ein uns unbekanntes Mineralienvorkommen auf, das den Richtstrahl des Teleporters der Marx noch blockiert. Aktualisieren sie ihre Topografiedaten und suchen sie umgehend den nächstmöglichen Weg an die Oberfläche. Ich brauche sie nicht daran erinnern, dass der Fötus von unsagbarer Wichtigkeit für die Andragon-Kantone ist.«