Elle West

Die Partisanen


Скачать книгу

zu können.

      „Willst du nicht erst mal ein Taxi rufen?“, fragte Sally verwundert.

      Christina schüttelte den Kopf. „Ich brauche frische Luft.“, sagte sie und zog sich bereits ihren knielangen Mantel an.

      Sally erhob sich nun ebenfalls.

      „Und ich will noch einmal durch diese Stadt spazieren.“, fügte Christina lächelnd hinzu.

      Als sie gemeinsam durch London zum Flughafen gingen, während sie beide eine von Christinas Reisetaschen hinter sich her zogen, wurde ihnen beiden schmerzlich bewusst, dass keine von ihnen sagen konnte, wann ein solcher Moment wieder eintreten würde. Als Christina noch in London gewohnt hatte, waren sie mindestens einmal die Woche in die Innenstadt gegangen um dort einzukaufen oder auch nur einen Kaffee zu trinken. Nun würde Christina im Irak leben und nach Sallys Vorstellung, bedeutete dies, dass sie nicht einmal mehr die Möglichkeit hätte, dort eine Mall aufzusuchen oder Kaffee trinken zu gehen. Sally begriff nicht, weshalb ihre Freundin ihr Leben für einen Mann auf den Kopf stellte, der es, ihrer Meinung nach, nicht einmal wert war. Damian war ein Arzt und er half von nun an in einem irakischen Krankenhaus in Bagdad aus und arbeitete mit der dortigen Hilfsorganisation zusammen. Und obwohl dies auch in ihren Augen ehrenhaft war, ließ er diese Ehre jedoch vermissen, als er entschied, mit Christina in diesem Land leben zu wollen. Welcher Mann setzte seine geliebte Frau schon gerne einem Land aus, das der Weltmacht USA so verhasst war, dass sie alles daran setzen würde, um einen Krieg zu rechtfertigen? Christina selbst hatte ihr erzählt, dass eine Invasion durch die Amerikaner nicht mehr lange auf sich warten lassen würde und sie kannte sich mit der Politik dieses Landes erstaunlich gut aus. Dennoch hatte sie dieses Wissen nicht davon abgehalten, Damians Vorschlag anzunehmen. Vermutlich will er nur von ihren Sprachkünsten oder ihrer Intelligenz profitieren, dachte Sally bitter. Sie war wütend, dass er ihr die beste Freundin nahm, aber gleichzeitig auch objektiv, was Damians Handlung betraf. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Damian und Skylla Luna glücklich wurden.

      Christina ihrerseits war nicht sicher, ob sie die richtige Entscheidung traf, aber sie tröstete sich mit der Gewissheit, dass sie, sollte sie sich falsch entschieden haben, einfach wieder das Land verlassen würde und wo anders neu anfing. Ihre Eltern lebten in Deutschland und von England aus hatte sie sie oft besuchen können. Diese Entfernung hatte ihr schon immer im Herzen wehgetan, da sie ihre Eltern so selten sehen konnte. Nun würde sie auch all ihre Freunde durch eine noch weitere Entfernung verlieren, wenn sie nicht hin und wieder zurückkehrte. Sie konnte sich allerdings nur schwerlich vorstellen, dass dies im finanziellen Rahmen des Möglichen lag, zumindest nicht, wenn sie eines ihrer Geheimnisse wahren wollte. Zwar verdiente sie in der Hilfsorganisation ihr eigenes Geld, aber dies würde nicht annähernd ausreichen um ständig zwischen London und Bagdad hin und her zu jetten. Und die Vermögen auf ihren Konten musste sie vor Damian verbergen, sonst würde er anfangen Fragen zu stellen, die sie ihm nicht beantworten wollte. Christina sah in ihrer Zukunft sehr viele Probleme auf sich zukommen und sie hoffte nur, dass Damian ihr dabei unfreiwillig eine Hilfe sein würde, indem er nützlich wäre und ihr als ihr Verlobter nicht noch zusätzlich Probleme machte und sich nicht als weitere Schwierigkeit herausstellen würde. Bisher hatte er sich als ein galanter Mann erwiesen, der stets um seine Reputation besorgt war. Christina hatte ihn deshalb ausgesucht. Er kümmerte sich mit Vorliebe um sich selbst und da er sich selbst vor alle anderen stellte, hegte sie die Hoffnung, dass er sie nicht zu genau beobachtete. Ihre Geheimnisse erschienen ihr bei einem egoistischen Mann sicherer, als bei einem liebevollen, um sie besorgten. Und sie respektierte ihn für seine hilfreiche Arbeit im Krankenhaus und beim Roten Kreuz und sie schätzte seine Bildung und seine Bereitschaft, das Heimatland für ein risikoreiches Land wie den Irak zu verlassen. Er war ganz anders als sie, aber das war nötig gewesen. Wenn sie bereit sein würde, ihn zu heiraten und sich wahrhaftig auf ihn einzulassen, bestand die Möglichkeit mehr denn je, dass sie doch noch glücklich werden würde.

      Allerdings gab es so viel von ihr, das er nicht kannte. Er wusste so vieles nicht und dies waren Dinge, die sie nicht wagte ihm anzuvertrauen. Es ging um Dinge, die er nicht gefährden durfte und es ging um andere Menschen, die sich auf ihr Schweigen verließen. In gewisser Hinsicht waren sie so verschieden, dass ihr Misstrauen ihm gegenüber zu groß schien, um es zu überwinden. Und nun würde sie erst einmal nach Spanien, denn in den Irak fliegen. Sie würde sich erst einmal um ein paar geschäftliche Angelegenheiten kümmern, ehe sie zu ihrem wartenden Verlobten flog. Doch auch das hatte sie weder ihm, noch Sally erzählt. Manchmal war es leichter, nichts zu sagen, anstelle zu lügen.

      Christina wurde aus ihren Gedanken gerissen, als sie mit einem Mann zusammen stieß. „Entschuldigung.“, brachte sie hervor und sah ihm in die Augen. Es war, als hätte sie einen kleinen Schlag gekriegt. Als ginge etwas, das in seinen dunklen Augen lag direkt in sie über. Sie blickte in sein unrasiertes, aber dennoch auffallend attraktives Gesicht.

      „Das war meine Schuld. Verzeihen Sie.“, erwiderte der Mann und ließ ein charmantes Lächeln sehen. Auch er schien im ersten Moment verwirrt gewesen zu sein, fasste sich jedoch schneller als sie.

      Christina bemerkte seine aufmerksamen Blicke, die nur auf ihr ruhten und wandte sich augenblicklich ab. Wenn sie Damian eine gute Ehefrau sein wollte, fing sie am besten gleich damit an und ließ eine Möglichkeit verstreichen. Und irgendwie war dieser Fremde eben das gewesen, eine Möglichkeit.

      Sally folgte dem plötzlich sehr schnellen Schritt ihrer Freundin nur mit Mühe. „Hey!“, rief sie und bewegte Christina so dazu, langsamer zu gehen. „Was ist denn plötzlich in dich gefahren? Kannst du es nun doch nicht mehr erwarten, in den Krieg zu ziehen, Luna?“

      Christinas Gesicht zeigte ein Lächeln. „Entschuldige, aber ich bin spät dran.“, sagte sie, obwohl es nicht ganz stimmte. Sie hatte jedoch keine Lust, Sally zu erklären, dass der Mann sie ein wenig aus der Fassung gebracht hatte. Dies würde ihrer Freundin nur Anlass sein, sie vom Bleiben überzeugen zu wollen. „Außerdem herrscht noch kein Krieg.“, merkte sie beiläufig an. „Vielleicht haben wir ja Glück und die Amerikaner kommen mit ihren herbei gezogenen Anschuldigungen nicht durch?“ Es wurde schnell offensichtlich, auf welcher Seite Christina stand und sie bemühte sich auch nicht, ihre Abneigung gegen die Amerikaner zu verbergen. Und dennoch hatte sie vor einen Amerikaner zu heiraten.

      „Luna, hast du dir den Mann, der dich angerempelt hat, mal genauer angesehen?“, fragte Sally grinsend und ignorierte die voran gegangene Bemerkung ihrer Freundin unabsichtlich. Sie hatte jedoch weniger auf die Reaktion von Christina geachtet, als auf das Antlitz des Unbekannten. „Der war doch wirklich heiß oder nicht?“ Er war groß und breit gewesen, sonnengebräunt und hatte perfekte Zähne und ein umwerfendes Lächeln gehabt.

      „Ich bin verlobt.“, sagte Christina und hoffte, dies würde genügen, um sie vom Weiterreden abzubringen.

      „Na und?“, fragte Sally stattdessen. „Trotzdem darfst du dir die Männer jawohl noch ansehen! Und der eben, war um einiges schärfer als dein Damian. Vielleicht solltest du besser ihn heiraten.“

      Nun brach Christina in Gelächter aus. „Du bist absolut unmöglich.“, kommentierte sie die Bemerkung ihrer Freundin. „Glaub mir, das werde ich mehr als alles andere vermissen.“

      Sally blickte sogleich bedrückt drein. Immer noch hoffte sie, ihre Freundin würde es sich anders überlegen. „Ich werde deine Verrücktheiten auch vermissen.“, gestand sie melancholisch. „Erinnerst du dich an den Tag in der Mall, als diese Pralinenausstellung war?“

      „Als die komplette Pyramide aus ordentlich drapierten Pralinen und Kuchen umgefallen ist?“, fragte Christina und musste nun ebenfalls grinsen.

      „Ja und das war ganz allein deine Schuld, weil du dir ja unbedingt die unterste Praline klauen musstest und mir nicht glauben wolltest, dass das Ding dabei umkippt.“

      Die beiden Frauen lachten, während sie in der Erinnerung schwelgten. Dann tauchte das Flughafengebäude vor ihnen auf und ließ sie augenblicklich verstummen.

      Sally betrachtete ihre Freundin. Von Anfang an hatte sie sich in diesen wunderschönen Mandelaugen wieder gefunden und nun konnte sie nicht sagen, wie lange sie sie nicht mehr sehen würde. Es war selten, dass man eine Freundin fand, mit