Elle West

Die Partisanen


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war plötzlich in ihr Leben getreten und ebenso plötzlich verschwand sie nun wieder; sie war die Heimatlose. Sally ließ die Tasche ihrer Freundin zu Boden und umarmte sie weinend. „Ich hatte niemals eine so gute Freundin wie dich, Luna. Du bist meine Familie, ganz gleich, wo du sein wirst.“, brachte sie schluchzend hervor. „Du musst mir versprechen, dass du dich sooft wie möglich bei mir meldest und mich besuchst und auf keinen Fall, darfst du mich vergessen oder unsere Freundschaft…-“

      „Ich versprech’s.“, sagte Christina, als ihre Freundin sich selbst unterbrochen hatte. Sie drückte Sally noch einmal fest und löste sich dann aus der Umarmung.

      „Gib mir die Flasche wieder, die kann ich jetzt gebrauchen.“, sagte Sally, nur halb im Scherz, und nahm Christina die Sektflasche, deren Inhalt beträchtlich abgenommen hatte, aus der Hand.

      Christina lächelte bedauernd. „Bis bald.“, sagte sie und nahm die zweite ihrer Taschen auf.

      „Pass auf dich auf in dieser Hölle.“, erwiderte Sally bissig.

      Christina nickte. „Du auch auf dich.“ Sie küsste Sally auf die Wange und wandte sich dann um.

      „Luna!“, rief Sally ihr nach. Ihre Freundin blieb stehen und drehte sich zu ihr herum. „Ich hab’ dich lieb! Mach es für uns beide gut!“

      Christina lächelte traurig. „Ich hab’ dich auch lieb!“ Sie warf ihr einen Handkuss zu und ging dann ins Flughafengebäude.

      Sie blickte aus dem Fenster des Flugzeuges und sah doch nichts. Ihre Augen tränten, aber sie gab sich Mühe, dies zu verbergen. Eigentlich war sie nicht sonderlich emotional veranlagt. Eigentlich hatte sie auch keine Schwierigkeiten mit Abschieden. Für viele Menschen war dies immer ein Ende, aber sie hatte darin immer nur einen neuen Anfang gesehen. Nun jedoch hatte sie etwas verloren, das ihr wirklich etwas bedeutet hatte. Sie hatte schon viele Freunde hinter sich gelassen, hatte viele von ihnen wieder gesehen und doch war das mit Sally eine andere Art von Freundschaft gewesen, mehr familiär.

      Sie hatte Sally seit ihrem ersten Tag in London gekannt. Damals war Christina gerade aus Amerika nach Europa zurückgekehrt. Sally und sie hatten sich vom ersten Moment an verstanden und waren seither beinahe jeden Tag, den Christina in London zubrachte, zusammen gewesen. Es fiel ihr schwer, nun darauf verzichten zu müssen. Im Irak hatte sie nur Damian und ein paar Arbeitskollegen von der Hilfsorganisation. Da sie bereits öfter im Irak gewesen war, hatte sie auch privat einige Bekanntschaften gemacht, sogar einige gute Freunde gefunden. Doch diese Freunde kannten ihr wahres Leben nicht und sie würde sie niemals Damian vorstellen, da auch er glaubte, eine andere Frau zu kennen. Und dies machte sie zu einer Einzelgängerin, die sich einsam fühlte, auch wenn sie von Menschen umgeben war. Sally hatte es irgendwie geschafft, ihr nahe zu kommen, ohne dass sie die Wahrheit über sich hatte erzählen müssen. Keiner würde ihr diese Freundin ersetzen können. Aber sie würde sie auch wegen der oberflächlichen Dinge vermissen. Sollte sie vielleicht mit Damian darüber sprechen, was seine Vorzüge und was seine Nachteile waren? Über so manche Banalitäten konnte eine Frau nur mit einer anderen Frau sprechen und mit Sally hatte sie über beinahe alles reden können.

      Christina wischte sich die Tränen von den Wangen. Sie hasste es, zu weinen und meistens gelang es ihr auch, dies zu vermeiden. Sie war nicht gerne sentimental.

      Nun musste sie sich eben wieder verschließen. Seit mehr als fünf Jahren war sie daran gewöhnt. Und nun tauschte sie eben eine Heimat gegen eine andere. Sie hatte versucht, mit Damian über ihre Zweifel, bezüglich der Ehe und einem Leben im Irak, zu sprechen, aber er hatte ihre Einwände nicht ernst genommen und versucht, ihr einzureden, das alles ganz wunderbar werden würde. Er hatte nicht verstanden, dass sie sich keine Sorgen machte, irgendwo neu anzufangen, sondern dass es sie beunruhigte, es nicht alleine zu tun. Von ihrem Leben hatte er keine Ahnung und er ging sogar davon aus, dass er ihr Mittelpunkt war. Deshalb wollte er sie zu sich holen und vermutlich nahm er an, dass sie sich in einer fremden Umgebung fester an ihn binden würde. Christina tat es in erster Linie, weil sie eine Aufgabe hatte, die sie am besten vor Ort erledigen konnte. Und dann gab es in ihr noch eine Art Hoffnung, sie wäre weniger verschlossen, glücklicher, wenn sie ihm die Chance gab, ihr näher zu sein. Ihr Vater hatte sich für sie eine so glückliche Ehe wie die seine gewünscht und sie wollte versuchen, ob es ihr gelingen würde. Vielleicht waren ihre Zweifel, die nicht so sehr auf Logik, als viel mehr auf einem Bauchgefühl beruhten, unbegründet. Vielleicht traf sie von Anfang an die richtige Entscheidung. Sally sagte immer, dass Verdrängung ein sehr wirksamer Prozess war und Christina beschloss, eben dies mit ihren Zweifeln zu versuchen. Schließlich hatte sie sich schon seit zwei Jahren darauf vorbereitet, einen nützlichen Informanten zu finden, der nichts von ihrer zweiten Identität ahnte. Ihn durch eine Ehe an sich zu binden, wäre nicht nur eine sinnvolle Tarnung, sondern versorgte sie hoffentlich auch dauerhaft mit den gewünschten Informationen. Nur fiel es ihr schwerer als erwartet, sich selbst so berechnend zu sehen. Sie hatte, trotz ihres Doppellebens, niemals Menschen direkt verletzt. Doch sie nahm an, dass sie, sollte Damian je die Wahrheit über sie erfahren, mehr in seinem Ego verletzt wäre, als dass ihn ihr Betrug aufrichtig nahe ginge. Zwar warf er ihr immer Emotionslosigkeit vor, doch er bemerkte nicht, dass er selbst nur sich selbst gegenüber Liebe empfand. Er war ebenso kalt wie sie, doch besaß nicht ihre Einsicht diesbezüglich.

      Sie schob die lästigen Gedanken beiseite und wischte sich erneut über die Wangen. Sie hatte aufgehört zu weinen, wenngleich ihre Augen noch immer brannten. Erst einmal würde sie nach Spanien fliegen und dabei hatte weder ihre Trauer um Sally, noch ihre Sorge um die Zukunft ihrer Beziehung einen Platz einzunehmen. Sie würde nach Spanien fliegen und dort einen Mann treffen, der der Hilfsorganisation Verpflegung für die Iraker sicherte. Christina arbeitete schon länger mit ihm zusammen und war sicher, dass seine Arbeit nur in den seltensten Fällen legal war. Aber er ermöglichte es ihr, günstiger an Medikamente zu kommen und beschaffte ihr auch sonst, was auch immer sie wollte.

      Sie blickte auf als sich jemand neben sie setzte und erkannte den Mann, den sie viele Minuten zuvor angerempelt hatte. „Oh, Sie schon wieder.“, brachte sie überrascht hervor, obwohl sie dachte, dass dies ein wirklich komischer Zufall war.

      Der Mann setzte sich und griff ihre Hand. „Freut mich sehr, Sie wieder zu sehen.“, sagte er und lächelte geheimnisvoll. Er betrachtete ihre wunderschönen braunen Augen, die ihn mit den langen, geschwungenen Wimpern an die von Rehen erinnerten und dennoch sah er neben der Liebenswürdigkeit in ihnen auch Leidenschaft und Kampfgeist. Sie war eine schlanke Frau und sie war nicht klein, obgleich sie ihm nur bis zur Brust reichte. Aber er war etwas über zwei Meter groß und deshalb war das nicht verwunderlich. Sie konnte ihm dennoch leichter in die Augen sehen, wenn sie vor ihm stand, als die meisten anderen Frauen, die er kannte. Ihm gefiel die Art wie sie sich kleidete: Eine enge hellblaue Jeans und ein enger Kapuzenpullover der ihren Brüsten schmeichelte. Sie war nicht geschminkt und trug ihre langen rotblonden Locken zum einfachen Zopf gebunden. Sie musste nichts aus sich machen und war immer noch außergewöhnlich schön. Alles in ihrem Gesicht schien perfekt zueinander zu passen, wirkte harmonisch und anziehend zugleich.

      Christina bemerkte seinen musternden Blick und betrachtete ihn dann ihrerseits. Er war groß und hatte eine kräftige Statur, obwohl sie sehen konnte, dass es Muskeln waren und nicht Fett, die dies bewirkten. Einen Moment lang schätzte sie, dass er ein beruflicher Boxer oder Ähnliches war, aber dann änderte sie ihre Meinung, da sein Gesicht zu unberührt wirkte, mit Ausnahme der kleinen Narbe über seiner linken Augenbraue. Seine Augen waren von einem ungewöhnlichen Braun, was vielmehr an ein dunkles Grau oder gar Schwarz erinnerte. Sie versuchte über seine Augen etwas über ihn heraus zu finden, stellte jedoch nur einmal mehr fest, dass nichts als eine geheimnisvolle Aura von ihm ausging. Sein Gesicht war sehr maskulin, was durch die Bartstoppeln nur verstärkt wurde. Seine Nase war kräftig, aber wohlgeformt, seine Stirn gehoben, ohne dabei arrogant zu wirken und seine Lippen waren nicht zu schmal, sodass sie keine Kälte ausstrahlten. Und während er sich im Sitz zurecht rückte, konnte sie sehen, dass sein Hemd seine Tätowierungen kaum zu verbergen vermochte. Sally hatte Recht gehabt, er war sehr attraktiv.

      Aber Christina fand auch, dass er, im Gegenteil zu Damian, eher gefährlich wirkte und dies in vielerlei Hinsicht. Vermutlich konnte er sogar ihr gefährlich werden, wenn sie bereit gewesen wäre, es auf einen Versuch ankommen