Torben Stamm

Die skurrile Verwandtschaft des Friedrich K.


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das denn?“

      „Eine Anrede wie DU könnte den Eindruck vermitteln, wir würden uns näher stehen. Dem ist offensichtlich nicht so, immerhin haben SIE mich gar nicht erkannt. Kann Ihnen keinen Vorwurf machen, immerhin war ich immer unterwegs und für Besuche war keine Zeit.“ Er nahm einen großen Schluck Kaffee. „Ändert aber halt nichts am Ergebnis.“

      „Aber... Du...SIE... sind mein Opa.“

      „Stimmt. Ich freue mich auch, Sie kennenzulernen. Auch wenn ich Ihre Arbeit als ziemlich peinlich empfinde. Wie alt sind Sie jetzt?“

      „32.“

      „Und noch immer Praktikant?“

      „Das ist nur zum Einstieg.“

      „Was ist das denn für ein Job, wo man so spät einsteigt? In Ihrem Alter habe ich schon lange Geld verdient.“ Er schüttelte den Kopf.

      „Hey! Ich habe studiert. Das dauert.“

      Opa Bernd lachte in sich hinein: „Studieren nennt der das.“

      „Wenn Sie mein Leben so lächerlich finden, warum waren Sie dann gestern bei der Ausstellung?“

      Opa Bernd lehnte sich zurück: „Ich wollte dich persönlich in Augenschein nehmen.“

      „Kein Kunstfan?“

      „Kann ich nicht behaupten.“ Friedrich musterte den alten Mann: Er wirkte müde, aber in seinen Augen lauerte eine tiefe Intelligenz. „Vor allem hat mich die ganze Sache ziemlich müde gemacht.“

      „Hat die Polizei dich...SIE... solange aufgehalten?“

      „Mich aufgehalten? Guter Witz! Nein: Nachdem ich gesehen habe, dass ein Bild geklaut worden war, bin ich gegangen. Ich habe mit den Beamten kein Wort gesprochen.“ Den letzten Satz presste er verächtlich zwischen den Zähnen hervor.

      Friedrich war fassungslos: „Sie sind einfach abgehauen? Aber das geht doch nicht!“

      „Doch, das geht sogar ziemlich gut. Und warum nicht? Ich habe nichts geklaut und nichts gesehen. Meine Aussage wäre so hilfreich gewesen wie Ihr Wissen über Kunst.“ Er machte eine kurze Pause: „Die Polizei ist froh, wenn sie nicht jeden Mist aufnehmen muss.“

      „Sie haben ja eine hohe Meinung von unseren Freunden und Helfern.“

      Opa Friedrich schaute in seinen Becher. Zusätzlich zu der Intelligenz meinte Friedrich nun auch Traurigkeit in den Augen seines Opas zwar nicht zu erkennen, aber doch zu erahnen.

      „Das sind keine Helfer! Freunde erst recht nicht. Die wollen alle nur auf der Karriereleiter nach oben. Der Fall macht ziemlich Presse. Ich wette, irgend so ein Jungbulle rennt durch die Gegend und nimmt den ersten Trottel auf die Hörner, der ihm vor die Füße fällt, damit die Presse jubelt.“

      „Der Beamte war gar nicht so jung.“

      Opa Bernd schaute Friedrich interessiert an: „Sie haben mit ihnen gesprochen?“

      „Ja, natürlich. Das hat jeder. Hätten Sie auch gemusst, wenn Sie nicht abgehauen wären.“

      „Wer hat denn die Untersuchung geleitet? Ich habe heute noch keine Zeitung gelesen. Ist gestern zu spät geworden.“

      „Spät? Sie sind doch abgehauen! Wir mussten noch ewig warten, bis wir gehen durften.“

      „Egal. Also: Wer leitet die Untersuchung?“ Opa Bernd wurde langsam ungeduldig.

      Friedrich dachte nach: „Dor...Dorf...?“

      „Dorfler? Heribert Dorfler?“

      „Ja, genau. So ein Dicker.“

      Opa Bernd lachte: „Ja! Das ist zwar kein Jungbulle mehr, aber er fällt definitiv in die gleiche Kategorie.“

      „Woher kennen Sie ihn?“

      Opa Bernd wurde schlagartig ernst: „Das“, sagte er, „ist kompliziert. Und ich würde da nicht mit jemandem drüber reden, den ich nur mit SIE anspreche, weil ich ihn quasi gar nicht kenne.“ Er warf einen Blick auf Friedrichs Kaffeebecher: „Ihr Kaffee wird kalt!“

      „Ich hatte heute schon viel Kaffee“, sagte Friedrich entschuldigend.

      „Ich hatte auch schon eine Kanne. Der Weg von der Ausstellung hierher ist verdammt lang.“

      „So weit ist das doch gar nicht?“, fragte Friedrich verwirrt. „Das sind doch höchsten 20 Minuten. Vor allem nachts.“

      „20 Minuten mit dem Auto.“

      „Ja... Haben Sie kein Auto?“

      „Nein.“

      Friedrich musterte seinen Großvater.

      „Gucken Sie nicht so. Ich bin nicht zu alt zum Fahren. Ich finde es nur ätzend. Wir sind in Köln, verdammt. Hier braucht man kein Auto.“ Er unterstrich seine Aussage mit einem grimmigen Gesichtsausdruck. Dann wedelte er mit seiner Hand herum: „So“, sagte er und stand auf. „Jetzt müssen Sie leider gehen. Ich habe zu tun.“

      „Aber...“

      „Nichts aber. Sie arbeiten seit Wochen in dieser Stadt. Plötzlich kommen Sie auf die Idee, mich zu besuchen und erwarten, dass ich sofort vor Begeisterung überquelle?“ Er schüttelte verächtlich den Kopf.

      Friedrich stand auf: „Gut“, sagte er mit einer Mischung aus Traurigkeit und Wut. „Dann werde ich Sie nicht weiter stören.“

      Opa Bernd geleitete seinen Enkel zur Tür und öffnete diese: „Danke für Ihren Besuch“, sagte er höflich. „Ich würde Sie bitten, von weiteren spontanen Besuchen abzusehen.“

      „Aber...“

      „Fangen Sie jeden Satz so an? Kein Wunder, dass es nur für ein Praktikum reicht.“ Er schob Friedrich aus der Tür. „Wenn ich mit Ihnen sprechen möchte, melde ich mich.“ Er schloss die Tür.

      „Aber...“, sagte Friedrich erneut. Dann flüsterte er: „Sie haben doch gar nicht meine Nummer.“

      Opa Bernd

      Bernd Kammers ging in sein Arbeitszimmer und schloss die Tür sorgfältig hinter sich. Er schaute aus dem Fenster, das zur Straße zeigte, und konnte gerade noch seinen Enkel erkennen, bevor er endgültig verschwand.

      Er setzte sich an seinen alten Sekretär und öffnete ihn. Links in einem kleinen Regal lag ein Notizbuch, das er nun zur Hand nahm und aufschlug. Es enthielt lauter Buchstaben, die auf den ersten Blick keinen Sinn ergaben:

      1 sfdhkjsdfhjsdfjs : sdfjlksdfsdjflkjslkdjfljlsjdfj

      2 alsdjflsjdfjsdfjk : sfhsvdbmxcvoeipaldmfn...

      Er blätterte mehrere Seiten durch, bis er den Eintrag gefunden hatte, nach dem er suchte. Dann griff er zum Telefonhörer und wählte eine Nummer. Es dauerte einen Augenblick, dann wurde das Gespräch entgegengenommen: „Hallo?“, krächzte eine alte Frauenstimme. „Wer ist da?“

      „Hier ist Bernd.“

      „Bernd? Was willst du?“

      Bernd musste grinsen: Elsbeth war vom alten Schlag - sehr direkt!

      „Ich bräuchte ein paar Informationen.“

      „Dann guck ins Internet.“

      „Du weißt, dass ich das scheiß Ding nicht leiden kann.“

      Elsbeth lachte, was allerdings in ein keuchendes Husten überging: „Bernd, das ist kein Ding. Du bist so clever, du müsstest eigentlich Spaß daran haben.“

      „Jaja“, sagte Bernd verärgert. Sie führten dieses Gespräch dauernd und sie kamen stets zu dem gleichen Punkt: Bernd hielt das Internet für einen scheiß Marktplatz von Idioten, Verbrechern und Selbstdarstellern, während Elsbeth als kettenrauchende Rollstuhlfahrerin sich über jeden Kontakt zur Außenwelt freute.