Torben Stamm

Die skurrile Verwandtschaft des Friedrich K.


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Er war egoistisch gewesen, hatte seine Tochter mehr oder weniger seiner Frau Bärbel überlassen und nur gearbeitet. Seine Tochter war gut geraten, aber das nahm er nicht für sich in Anspruch. Nach der Sache mit Bärbel war der spärliche Kontakt nach Münster komplett abgebrochen.

      Und jetzt war Friedrich in Köln und geriet ausgerechnet an Dorfler! Diesen Mistkerl!

      Die Aufzugstür öffnete sich. Bernd ging in die Kabine und drückte auf die drei. Die Tür schloss sich leise und der Fahrstuhl glitt nach Oben.

      Als Bernd an Elsbeths Tür klopfte, rief diese sofort: „Ja?“

      Bernd öffnete die Tür und betrat das Zimmer: Es war zweckdienlich möbliert und verfügte über eine eigene Toilette mit Dusche. Die Türrahmen waren breiter als üblich, damit Elsbeth (und zukünftige Nachfolger) mit ihrem Rollstuhl bequem hindurchfahren konnte.

      „Hallo“, sagte er und gab ihr die Hand. Dann setzte er sich auf einen Stuhl. Elsbeth zog eifrig an ihrer Zigarette: Sie war früher eine Schönheit gewesen - und sich dessen voll bewusst. Das Alter hatte ihr allerdings stark zugesetzt und ihr ihre Mobilität geraubt. Und mit dieser auch ihre Hüften: Elsbeth wog inzwischen über 110 Kilogramm und qualmte wie die Reste eines Waldbrandes.

      „Da bist du ja. Immer, wenn du was willst, bist du sofort da, aber auf einen Kaffee kommst du nicht so schnell vorbei.“

      „Du weißt...“, setzte Bernd an, aber Elsbeth schüttelte den Kopf.

      „Ich weiß“, sagte Bernd kleinlaut. „Das nächste Mal!“

      Elsbeth zeigte auf ihr Nachtkonsölchen: „Da ist sie. Kannst sie dir selber holen.“

      Bernd stand auf und holte sich eine gelbe Akte: „Was sagst du zu der Sache?“, fragte er, während er sich wieder setzte und die Akte durchblätterte.

      „Die haben nichts. Außer Druck. Und du weißt, was Bullen machen, wenn sie Druck kriegen?“

      Bernd nickte. Das wusste er nur zu gut.

      Besuch

      „Und, warst du nochmal bei Opa?“ Friedrichs Mutter klang sehr neugierig. Friedrich saß am Küchentisch und schmierte sich ein Brot, während er den Hörer zwischen Schulter und Ohr einklemmte. Sehr bequem. Einfach perfekt, um Abendbrot zu essen.

      „Nein. Im Moment habe ich halt viel zu tun und er ist schon seltsam.“

      „Ich weiß...“

      Friedrich biss in sein Brot: „Er ist etwas... schrullig. Er will immer, dass ich ihn Sieze.“

      Seine Mutter lachte: „Ja, er hat so seine Marotten. Aber ganz ehrlich: Haben wir die nicht alle? Dein Vater ist auch nicht immer so einfach.“

      Friedrich nahm den Hörer in die Hand: Er würde mit dem Essen warten: „Naja, aber Papa hat auch sehr viele liebevolle Seiten. Ich weiß nicht, wie der eine Frau finden konnte. Bei dem Charme.“

      Stille am Ende des Hörers. Friedrich stutzte: Seine Mutter war nicht gerade für Wortfindungsstörungen bekannt, sondern für ihre Schlagfertigkeit.

      „Was ist?“, fragte er. Hatte er einen wunden Punkt erwischt?

      „Ach, nichts.“

      „Was ist denn?“

      Seine Mutter zögerte. Dann sagte sie langsam: „Du solltest über Oma nichts sagen. Zumindest solange nicht, wie er von sich aus mit dem Thema anfängt.“

      „Warum?“

      „Das möchte ich dir ehrlich gesagt nicht sagen. Er sollte selbst entscheiden, ob er dir davon erzählen möchte.“

      Friedrich legte seine Stirn in Falten: Das war seltsam.

      Nach dem Telefonat machte Friedrich es sich auf dem Sofa bequem und schaltete den Fernseher ein, während er mit seinem Handy im Internet surfte. Seine Entspannung wurde allerdings unterbrochen, als es an der Tür klingelte.

      „Was soll das denn?“, fragte er sich selbst, während er auf die Uhr sah. Neun Uhr! Er ging zur Tür und drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage: „Ja?“, fragte er.

      „Ich bins“, kam die Antwort - aber nicht aus der Gegensprechanlage, sondern von der anderen Seite der Tür! Friedrich sah durch den Spion: Vor seiner Wohnungstür stand sein Großvater und schaute grimmig auf das Guckloch. Friedrich verdrehte die Augen: Der Kerl hatte nicht nur irgendwelche Marotten, sondern ernsthafte Probleme.

      „Wenn du mich noch länger durch das Loch anguckst, musst du einen Euro dafür zahlen“, sagte der Alte. Friedrich öffnete die Tür: „Was willst du hier?“

      „Was wollen SIE hier!“, verbesserte Bernd seinen Enkel. Der schüttelte den Kopf: „Dann eben Sie. Aber eine Antwort schulden SIE mir trotzdem.“

      „Stimmt“, gab Bernd zu. „Aber das sollten wir in der Wohnung besprechen.“ Er warf einen Blick über die Schulter.

      Friedrich trat einen Schritt zurück und ließ seinen Großvater eintreten. Der marschierte zielsicher durch den Flur, bog in das Wohnzimmer ab und setzte sich in den Sessel, neben den er eine abgewetzte Ledertasche stellte.

      „Ich sehe, Sie haben es sich schon bequem gemacht“, stellte Friedrich fest.

      Bernd nickte. Dann runzelte er die Stirn: „Was ist das denn?“, fragte er und zeigte auf das Fensterbrett.

      Friedrich folgte seinem Blick und antwortete irritiert: „Meine Smartwatch.“

      „Was für ein Ding?“

      „Das ist eine Uhr, die ich mit meinem Handy verbinden kann. Dann kann ich mit ihr telefonieren, Mails lesen und so weiter.“ Er sah seinen Opa an: „Haben Sie ein Handy?“

      Bernd schüttelte entschlossen den Kopf: „Ich hasse die Dinger! Die machen nur Stress. Und man ist jederzeit erreichbar! Wer will denn sowas?“

      Friedrich zuckte mit den Schultern: „Ist ja auch egal. Ich denke, Sie möchten nicht mit mir über die Vor- und Nachteile des digitalen Zeitalters diskutieren. Zumindest hoffe ich das, denn ich bin ziemlich kaputt und würde gerne mal abschalten.“

      „Werden Sie nicht frech! Und wenn Sie abschalten wollen, sollten Sie dieses Uhren-Teil als Erstes wegschmeißen.“

      „Frech ist es, um diese Zeit unangemeldet aufzutauchen.“

      „Sie hatten sich auch nicht angemeldet.“

      „Da war es mittags. Jetzt ist es neun.“

      Bernd schüttelte den Kopf: „Junge. Sie sind noch jung. Neun ist doch keine Zeit!“

      Friedrich nahm seufzend auf dem Sofa Platz.

      „Möchten Sie mir nichts zu trinken anbieten?“, fragte Bernd. Friedrich schaute kurz zur Decke, dann fragte er: „Was möchten Sie denn trinken?“

      „Nichts.“

      „Warum soll ich Ihnen dann was anbieten?“

      „Weil man das so macht. Ich hätte ja Durst haben können. Bei mir haben Sie auch einen Kaffee bekommen.“

      Friedrich lehnte sich auf dem Sofa vor: „Was wollen Sie? Ich hatte den Eindruck, Sie haben bei unserem letzten Treffen sehr deutlich gemacht, dass Sie kein Interesse an einem weiteren Treffen haben.“

      Bernd schüttelte den Kopf: „Das stimmt so nicht. Ich habe Sie nur darum gebeten, mich nicht spontan zu besuchen.“

      Friedrich starrte ihn fassungslos an: „Und was ist das dann hier? Wo ist der Unterschied?“

      „Naja: Ich habe Sie jetzt unangemeldet besucht. Dadurch konnte ich mich entsprechend einrichten und vorbereiten.“

      „Vorbereiten? Ich würde sagen, Sie kommen jetzt mal zur Sache.“

      Bernd nickte: „Gute Idee. Sie haben gesagt, dass ein gewisser