Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


Скачать книгу

sind es auch vier“, sagte er jetzt mit leichtem Achselzucken, ehe er sich seelenruhig wieder dem Gehege zuwandte.

      „Vier was?“

      „Vier Zitzen. Das ist von Art zu Art verschieden. Manchmal sogar innerhalb ein und derselben Art.“

      „U-u-und von welcher Art reden wir grade?“

      „Von Paarhufern. Wovon sonst?“

      „Paar…“

      „Paarhufern – genau!“

      „Und was heißt das jetzt?“

      „Hippotragus niger niger!“

      „Sie Rüpel! Unterlassen Sie auf der Stelle diese schmutzige Anmache!“

      „Verstehen Sie denn nicht? Die Rappenantilope hat gekalbt, und es ist gleich doppelter Nachwuchs geworden. In freier Natur würde sie wahrscheinlich eines davon verstoßen, weil sie mit ihrer Milch nur eines durchbringen kann. Aber bei dem Euter …“

      „Is’ nich’ wahr!“, sagte ich mechanisch, und mehr brachten meine süßen kleinen Lippen erst einmal nicht zustande.

      Viel zu sehr lenkte mich ein reißerisch geschnittener Videoclip ab, der plötzlich vor meinem inneren Auge ablief und in dem die demütigendsten Blamagen meines jungen Lebens aneinandergereiht waren. Grauenhafte, erschütternde Blamagen, die ich mir in der Vergangenheit allesamt durch meine unkontrollierbare Forschheit eingehandelt hatte.

      Mein vorlautes Mundwerk, wie Papa trocken eingeworfen hätte.

      Als der Clip in der allerjüngsten Vergangenheit angelangt war, schaltete der Player auf Zeitlupe, und ich sah quälend langsam einmal und nochmal und nochmal mein ganzes hilfloses Gestammel, all meine grundlosen Vorhaltungen, die ich diesem armen, ahnungslosen, unschuldigen und leider auch noch unheimlich gutaussehenden Mann soeben entgegengeschleudert hatte. Ich fühlte deutlich, dass mein Gesicht die Farbe eines Dreierpacks spanischer Paprika annahm. Abwechselnd. Rot-gelb-grün.

      Hilflos rang ich nach Luft. Er aber redete unbekümmert weiter:

      „Ich leite ein Forschungsprojekt über Säugetiere in Gefangenschaft.“

      „Is’ nich’ wahr!“, stieß ich krampfhaft hervor und wurde das Gefühl nicht los, dass ich das schon erwähnt hatte.

      „Doch, doch. Na, Sie wissen schon: Welche Bedingungen müssen herrschen, damit eine spätere Auswilderung möglichst große Aussicht auf Erfolg hat und all so’n Zeug eben … Aber ich will Sie nicht langweilen.“

      Ratlos sah ich leeren Blickes an ihm vorbei.

      Die Rappenantilope war ein bildschönes Tier. Stolz erhobenen Hauptes verharrte sie, mit imponierend aufragenden schwarzen Hörnern. Allerdings war sie sonst nicht ganz so schwarz, wie ich mir ein Rappentier vorgestellt hätte. Außer den Hörnern glänzten nur die Mähne und ein breiter Streifen auf der langen Nase in herrlichem Pechschwarz. Aber das zarte Hellbraun ihres Fells stand ihr ohnehin viel besser. Und das Weiß in der Backengegend kontrastierte effektvoll mit den schwarzen Partien, verlieh ihr in Verbindung mit der auffallend spitzen Nase sogar etwas ausgesprochen Edles. Klasse Outfit, absolut gut gemacht, also wirklich!

      Und die beiden Kälbchen erst, die übermütig um die junge Mutter herumtollten! Sie waren einfach nur süß. Jetzt, wo sie ab und zu mit den Nasen danach stupsten, sah ich auch das Euter. Es war tatsächlich von beachtlicher Größe, und trotzdem war es mir vorher nicht aufgefallen. Ob ich dafür diesen typisch männlichen Blick gebraucht hätte, der weibliche Brüste immer und überall als Sehenswürdigkeiten ersten Ranges erspäht?

      *

      Die Sonnenstrahlen spielten vergnügt zwischen den Zweigen der jungen Linden in ihrem Frühlingskleid, als wir dann den geteerten Weg Richtung Serengeti-Saal entlangschlenderten. Ich hatte mich etwas von meiner Blamage erholt, auch weil er mit keinem Wort mehr darauf eingegangen war. Es war fast, als hätte er gar nichts davon bemerkt, und wenn ich mir das lange genug einredete, konnte ich es irgendwann vielleicht sogar glauben.

      Ich schätzte ihn auf Mitte dreißig und er trug keinen Ring. Schwul war er nicht, das hätte ich sofort gewittert. Also was war dann mit ihm faul?

      Es war leicht, mit ihm zu reden. Er plauderte geistreich und unbekümmert, fast so, als müsste er in meiner Gegenwart keinerlei Hemmungen haben. Dabei war ich sicher, dass er mich bemerkt hatte – ich meine: mit allem Drum und Dran bemerkt hatte –, aber gerade, wenn es so war, ließ es ihn eindeutig um einiges zu kalt. Ob er vielleicht kurzsichtig war?

      „Tragen Sie sonst eine Brille?“, fragte ich unvermittelt. Erst als die Worte schon meinen Mund verlassen hatten, nahm ich wahr, dass ich damit offenbar mitten in einen spannenden Vortrag hineingeplatzt war.

      „Nein, sollte ich?“, gab er verdutzt zurück.

      „Würde Ihnen vielleicht ganz gut stehen“, erwiderte ich kess, und seinem Lächeln nach war mein Angriff diesmal wohl direkt genug gewesen. Jetzt glitt sein Blick endlich an meiner Figur abwärts und dann langsam wieder ein Stück nach oben. Er schien nicht abgeneigt.

      „Für Sie könnte ich ja eine Ausnahme machen“, sagte er tatsächlich mit leicht anzüglichem Unterton, und wir lachten beide belustigt auf.

      „Mittwochs“, erläuterte er dann mit einer fast entschuldigenden Geste, „drehe ich zur Zeit immer meine Runde im Zoo.“

      Ich auch. Kaum zu glauben, dass ich ihn trotzdem noch nie gesehen hatte. Dabei hätte ich schwören können, dass ich einen Mann wie ihn auch unter tausend minderwertigen Exemplaren nicht übersehen konnte.

      Mittwoch war deswegen in den Sommermonaten mein Zootag, weil ich da am leichtesten freinehmen konnte: An diesem Tag war nachmittags im Amt generell kein Publikumsverkehr zugelassen. Was sehr vernünftig war, weil man sonst bei den unzähligen skrupellosen Störern kaum einmal zur Ruhe kam. Manchmal tauchten vier oder fünf von denen an einem einzigen Nachmittag auf und erwarteten selbstverständlich alle, dass man uneingeschränkt für sie da war. Und wenn es nur für eine einzige Frage war.

      Sofern ich es geschickt einrichtete – und das tat ich immer –, konnte ich schon am späten Vormittag Schluss machen und kurz darauf am Zooeingang meine Karte vorzeigen. Vom Amt in der Mörfeldener Landstraße waren es über den Main grade mal zwei Kilometer zum Zoo, und schon war ich in meiner grünen Oase der Ruhe, die ich erst so richtig schätzen gelernt hatte, seit das mit der Arbeit zu einer unerfreulich regelmäßigen Einrichtung geworden war. Um so mehr, seit die Lage sich zugespitzt hatte.

      Die Laute, die all die exotischen Tiere in Häusern und Gehegen von sich gaben, hatten etwas so urwüchsig Kraftvolles, dass ich mich auch nach den grauesten und greulichsten Bürostunden binnen kurzer Zeit wieder spannkräftig und energiegeladen fühlte. Im Herzen war ich eben ein Kind des Urwalds. Oder der Savanne. Je nachdem, in welchem Tierhaus oder vor welchem Gehege ich mich grade aufhielt. Jedenfalls war etwas unbezähmbar Wildes in mir, das in der öden Stadt mit ihren tausend freudlosen Regeln, Zwängen und Vorschriften so gut wie gar nicht zur Entfaltung kam.

      „Ich bin auch manchmal hier“, sagte ich und tat dabei so unbeteiligt wie möglich. „Warum habe ich Sie noch nie gesehen?“

      „Ich versuche immer, einen bestimmten Rhythmus einzuhalten. Ihrer ist vielleicht anders. Heute Nachmittag fange ich zum Beispiel Punkt ein Uhr mit den Hippopotamii an.“

      „Was denn, bei Tieren gibt’s auch Hypochonder?“

      „Nein, Hippopotamii. Ähm, wie sagt man bloß? Ah ja: Nilpferde, wenn Sie so wollen.“

      „Ach so, ja, natürlich! Das wusste ich gleich.“

      Er lächelte mich hintergründig an. Sagte aber nichts.

      Ich mag es nicht besonders, wenn ein Mann mich hintergründig anlächelt. Gierig ist okay. Lechzend noch besser. Aber nicht hintergründig. Da komme ich zu leicht auf die Idee, dass er sich mir überlegen fühlen könnte.

      Für ihn galt das genauso. Und doch wieder