Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


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sich mein Mund unaufhaltsam weiter, und ich vernahm Worte daraus, die selbst mich selbst überraschten:

      „Ha! Und wie sollte das gehen? Hopp, hopp – raus mit der Sprache!“

      Er winkte ab.

      „Nein, nein“, versuchte er mit gönnerhafter Geste abzuwiegeln, „so habe ich das doch nicht gemeint.“

      Jawohl! Schon hatte ich ihn in der Ecke, den selbstherrlichen Angeber. Das war genau der Moment, wo ich nachsetzen musste, jetzt, wo er Schwäche zeigte und leicht zu packen war!

      „Na los“, fauchte ich und machte einen kleinen Schritt auf ihn zu, „nun sagen Sie’s schon!“

      „Nein, wirklich …“

      Kleinlaut breitete er die Arme aus, die Handflächen offen nach oben gerichtet, und versuchte krampfhaft, eine Art Lächeln in seine Mundwinkel zu zaubern. Was natürlich granatenmäßig danebenging!

      „Kommen Sie!“, setzte ich ein weiteres Mal nach. „Eben waren Sie sich Ihrer Sache doch noch so sicher!“

      Er wich zurück, doch ich zog auch jetzt sofort nach. Noch einmal wich er zurück, aber ich auch diesmal sofort hinterher. Auf seinem Gesicht spiegelte sich pure Verzweiflung. Er sah fast schon wieder süß aus in seiner plötzlichen Hilflosigkeit.

      Aber jetzt bloß kein Mitleid!

      Rasch noch den Gnadenstoß, dann seine Kapitulation, und anschließend konnten wir uns ja meinetwegen wieder vertragen. Aber dann zu meinen Bedingungen!

      „Was ist nun?“, fragte ich herausfordernd. „Geben Sie endlich zu, dass ich von Anfang an recht hatte, oder brauchen Sie erst eine weiße Fahne?“

      „Das nicht“, erwiderte er verhalten, indem er sachte den Kopf hin und her wiegte. „Es ist nur …“

      „Was nur?“

      „Naja – ich schätze, das werden Sie sich nicht trauen.“

      „Was trauen? Und wieso ich? Was soll ich mich nicht trauen?“

      Er runzelte unschlüssig die Stirn, und ich konnte schon sehen, dass er schwächelte. Erst bewegte er noch ein paarmal tonlos den Mund auf und zu, dann endlich rückte er mit der Sprache heraus:

      „Wir könnten einen Test machen.“

      „Einen Test? Wann? Wo? Wie?“

      Ich war verwirrt. Was für eine seltsame Kapitulation war das denn?

      „Jetzt sofort“, entgegnete er, „hier an Ort und Stelle.“

      „Und wie sollte das aussehen?“, fragte ich fast mechanisch, weil das beunruhigende Gefühl in mir keimte, dass etwas enorm schieflief.

      „Das Zoorestaurant hat eine neue Leitung. War lange eine Zumutung, aber jetzt ist es ein echter Geheimtipp. Fast schon exklusiv. Ich spendiere ein schickes Mittagessen.“

      „Und das soll ein Test sein?“

      „Nein, das nicht. Aber auf dem Weg dorthin werden wir nur mal Ihre Hände der Freiheit berauben. Und Sie berichten dann bei der Vorspeise, ob und was Sie anders empfunden haben als sonst.“

      Ich sah ihn kurz an, weil ich nicht glauben konnte, dass er das ernst meinte. Doch kein Zweifel: Das tat er!

      Es war nicht das erste Mal, dass mein loses Mundwerk mich in die Bredouille brachte.

      „Erst denken, dann reden!“, hatte mein Vater oft gesagt. Aber so richtig war der Satz nie bei mir angekommen.

      Wäre er vielleicht besser.

      Ich muss ziemlich bedröppelt dreingeguckt haben, denn er blickte mich plötzlich fast ein wenig besorgt an:

      „Habe ich Sie erschreckt?“, fragte er teilnahmsvoll.

      „Nein, nein“, stieß ich angestrengt hervor. „Ich frage mich nur grade, ob Sie eventuell – ich meine nur ganz eventuell – vielleicht möglicherweise den Verstand verloren haben.“

      „Schon gut“, erwiderte er knapp, wobei er etwas verkrampft die Mundwinkel zur Seite zog und die aufeinandergepressten Zähne sehen ließ. Schöne Zähne übrigens. Sehr gepflegt.

      „Was, schon gut?“

      „Ich dachte mir schon, dass Sie sich nicht trauen werden. Ist schon gut. Machen Sie sich deswegen keine Gedanken!“

      Das war wieder dieses herablassende Getue, das mich schlagartig zur Weißglut brachte. Er war ja niedlich, dieser Bursche, immer noch absolut engere Wahl, allerengste sogar. Aber das gab ihm nicht das Recht, mich so begütigend abzukochen. So zu tun, als ob er mir, dem armen dummen Mädelchen, etwas schenken müsste.

      „Wer sagt, dass ich mich nicht traue?“, raunzte ich ihn an. Noch während die Worte über meine Lippen strömten, registrierte ich, dass ich wieder mal mit dem Denken nicht ganz so schnell gewesen war. Gar so herausfordernd hatte ich das eigentlich nicht raushauen wollen. Aber nun war es schon passiert.

      „Ja, sicher“, sagte er mit dem schlecht verhohlenen Anflug eines spöttischen Grinsens. „Zuhause sind Sie bestimmt das mutigste Mädchen der ganzen Straße.“

      Aus seinem Mund klang das, als hielte er mich gerade für mutig genug, auf dem Weg zum nächsten Postkasten ein etwas zu kurzes Kleid zu tragen. Aber auch das nur, wenn im Moment beim besten Willen nichts anderes greifbar war. So ein superblinder Schnösel!

      „Sie haben doch gar keine Ahnung von mir! Sowas wie Sie verspeise ich normalerweise zum Frühstück!“

      „Ist ja schon gut!“, erwiderte er da abwiegelnd. „Sie müssen mir nichts beweisen. Ich glaube Ihnen auch so!“

      „Tun Sie nicht!“, blaffte ich zurück. „Sie glauben bloß, Sie müssen jetzt den edlen Ritter spielen. Aber da haben Sie sich geschnitten! Also los, wie soll das ganze ablaufen?“

      Nun kratzte er sich auf einmal nachdenklich am Kopf.

      „Ja, wie könnten wir das jetzt machen?“, sagte er unschlüssig. „Ich habe jetzt gar nichts Geeignetes bei mir. Sowas wie ein Seidentuch …“

      „Wie wär’s mit Ihrem Schlips?“, warf ich keck ein, weil mir das weinrote Ding just im falschen Moment ins Auge gestochen war.

      „Ja, das … nein … naja …“

      Er wand sich jetzt wie ein Aal. Schon wieder eine Situation, in der ich ihn nicht vom Haken lassen durfte.

      „Also dann her damit!“, forderte ich ihn energisch auf. „Nur keine falsche Scham!“

      Bei dem Wort Scham zuckte ich zusammen. Plötzlich überfiel mich eine heftige Hemmung, das, was sich da anbahnte, tatsächlich mit mir machen zu lassen. In aller Öffentlichkeit, vor unzähligen fremden Leuten, die keine Ahnung hatten, dass es nur ein wissenschaftliches Experiment war.

      Gerade noch rechtzeitig entschied ich, dass das alles kompletter Blödsinn war und dass ich lieber doch nicht mitspielen wollte.

      „Naaaa!“ sagte er grinsend, als ich eben den Mund aufmachte, um ihm cool die unwiderlegbaren Gründe für meinen Rückzug zu erklären. „Jetzt kriegen Sie aber doch noch Manschetten! Das sehe ich Ihnen an!“

      „Überhaupt nicht!“, erwiderte meine flinke Zunge blitzschnell. „Ich frage mich bloß, wie lange Sie hier noch herumtrödeln wollen!“

      Kaum hatte ich die Worte hinausgestoßen, war ich schon das pure Entsetzen über meine Leichtfertigkeit. Sollte ich nicht lieber doch einlenken und so schnell wie möglich zugeben, dass mir das alles jetzt doch ein ganzes Stück zu gewagt war?

      Das hätte geheißen, klein beizugeben. Und vor allem hätte ich damit zugegeben, dass er von Anfang an recht gehabt hatte. Er, nicht ich.

      Kam doch gar nicht in Frage!

      „Na, nun sagen Sie schon, Sie Held! Wie wollen Sie es denn haben?“

      *

      Er