Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


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haben mich schon immer schwach gemacht.

      Obwohl wir nur schlendernd Schritt vor Schritt setzten, hörte ich schon nach kurzer Zeit mein Herz klopfen.

      Oh, oh!

      Dieser Bursche hatte etwas Animalisches. So, als hätte jemand Tarzans jugendlichen Cousin in ein elegantes Casual-Sakko gesteckt und nach ausgiebiger Schulung auf den unterversorgten Teil der Weiblichkeit in dieser Stadt losgelassen. Und beim Stichwort Unterversorgung musste früher oder später die Rede zwangsläufig auf Maxine Sawitzki kommen. Also auf mich.

      Nicht dass ich sexbesessen gewesen wäre oder sowas. Aber ein paarmal in der Woche richtig gut das Bettlaken zerwühlen, fand ich schon erstrebenswert. Ich war blutjung und kerngesund, also womit hätte ich einen romantischen Abend besser krönen können als mit einem schönen, tief unter die Haut gehenden Orgasmus, der sich meinethalben gerne durch die halbe Nacht ziehen konnte.

      Womit ich auch schon wieder beim Stichwort Unterversorgung wäre. In Wirklichkeit nämlich erlebte ich wilde Bettlakenzerwühlabenteuer momentan nur in meiner Phantasie. Zwar hatte ich gerade in dieser Hinsicht von jeher eine wahrhaft blühende Phantasie, doch ein echter Ersatz kann auch die aufregendste Phantasie für eine Frau mit echtem Feuer natürlich nicht sein. Speziell wenn sie erst 24 ist und noch so einiges vorhat.

      Und ausgerechnet jetzt lief mir so ein Mann über den Weg. Ich will nicht behaupten, dass ich mir übermäßig viel Zeit lasse, ehe ich einen Kerl ausprobiere. Aber am ersten Abend habe ich bis jetzt noch keinen rangelassen. Am zweiten und dritten auch nicht. Erst danach verliert sich die Spur im Nebel diskreten Schweigens.

      Weil ich jetzt das unbestimmte Gefühl hatte, allmählich die Kontrolle über die Situation zu verlieren, sah ich eher ungewollt auf meine Uhr, so dass ich meinen Blick wenigstens für ein paar Momente von diesem markanten Kinnwinkel lassen konnte, der mich an irgendjemanden erinnerte.

      Dummerweise tat er es mir gleich. Er sah auf die Uhr, runzelte spontan die Stirn und mutierte unversehens zum zerstreuten Professor:

      „Wo ist bloß die Zeit geblieben?“, murmelte er vor sich hin.

      Noch ehe ich antworten konnte, wandte er sich mir zu und hob entschuldigend die Hände:

      „Ich muss – leider!“, sagte er achselzuckend.

      Als ich ihm halbherzig die Hand entgegenstreckte, drückte er sie flüchtig, war aber in Gedanken unübersehbar schon beim nächsten Euter oder bei einem anderen Körperteil oder – ach, woher sollte ich das wissen?

      „War nett mit Ihnen“, sagte er so höflich, dass es wehtat.

      Nett?

      War dieser Mann bescheuert? Hatte er trotz all seines Charmes und trotz all seiner geistreichen Bemerkungen möglicherweise gehörig einen an der Waffel? War es das, was an ihm faul war?

      Eine Ansichtskarte vom Wolfgangsee war nett. Ein Gratispröbchen des aktuellen Glitzer-Nagellacks in Betty Blue war nett. Die neue Frisur der Cornelia aus meiner Lieblings-Soap war nett.

      Aber ich doch nicht!

      Ich war epochal, umwerfend, betörend, spektakulär, unwiderstehlich, begehrenswert, männermordend, unvergesslich – aber niemals nett!

      Und genau das musste ich diesem attraktiven Mann unbedingt noch mitteilen, ehe wir gleich für immer voneinander Abschied nehmen würden!

      „Ja, ebenfalls“, hörte ich mich statt dessen tonlos sagen, während ich im Geiste noch all meine hinreißenden Eigenschaften durchging und mich verzweifelt fragte, was mit mir an diesem Tag nicht stimmen mochte.

      Das konnte doch nicht sein!

      Der konnte doch jetzt nicht einfach so abhauen!

      Aber genau das tat er.

      Einfach so.

      *

      Es war nicht fair. Nicht nach allem, was zwischen uns geschehen war. Na gut: was zwischen uns noch nicht geschehen war.

      Sobald er außer Sicht war, fühlte ich mich verlassen. Allein. Zwar war ich vorher auch schon allein im Zoo gewesen. Aber jetzt fühlte ich mich alleiner als allein. Und fand, dass das nicht richtig war. Aber das Schlimmste war: Ich brachte es nicht einmal fertig, ihm deshalb böse zu sein.

      Auf einmal war ich seltsam sauer, und je mehr ich in mich hineinhorchte, desto klarer wurde mir, dass ich sauer auf mich selbst war. Es war eindeutig keine Glanzleistung, wenn ein Typ, der mich soeben kennengelernt hatte, sich so leichten Herzens gleich wieder aus dem Staub gemacht hatte.

      Dabei hätte ich ihm jederzeit einen Platz auf der Warteliste eingeräumt, wenn er sich nur eifrig genug darum bemüht hätte.

      Aber das hatte er ja gar nicht. Dabei hatte er mich angesehen, und was er gesehen hatte, hatte ihn nicht kalt gelassen. Oder etwa doch?

      Um meine sonnige Laune war es geschehen. Meine Gedanken drehten sich im Kreis, und ich kam nicht darüber hinweg, dass der Typ nicht mal nach meiner Handynummer gefragt hatte. War ich dermaßen außer Form?

      War vielleicht irgendwas mit meinen Haaren?

      War mein Kleid zu unauffällig?

      Oder hätte ich doch andere Schuhe anziehen sollen?

      Ohne zu wissen, wie ich dorthin gekommen war, fand ich mich irgendwann am Streichelzoo wieder. Dann an der Eulentaiga. Schließlich vor dem Wasserfall im Borgori-Wald, wo Gorillas und Orang-Utans faulenzend und einander gemächlich entlausend die kraftvolle Mittagssonne genossen.

      Das war vollkommen anders als bei uns im Amt. In diesem Urwald hier gab es viel mehr lebhaftes Geschrei.

      Natürlich hätte auch ich mich irgendwo am Wegesrand ins Gras legen und die Sonne genießen können. Doch diese Schmach ließ mir keine Ruhe. Es kam sowieso nicht oft vor, dass ich einen Kerl interessant fand.

      Gab es denn nicht irgendein Gesetz oder wenigstens ein paar unveröffentlichte Ausführungsbestimmungen zu einer Landesverordnung, denen zufolge ein so gutaussehender Mann sich wenigstens vorgestellt haben musste, ehe er aus heiterem Himmel die Flucht vor mir ergreifen durfte?

      Doch wie es aussah, hatten sich unsere Wege schon für immer getrennt.

      Und das wäre möglicherweise besser für mich gewesen.

      *

      Lange musste ich nicht warten in meinem Versteck. Zehn vor eins war ich da gewesen und hatte mir gleich eine schlecht einsehbare Ecke gesucht. Was in dem kleinen Bau leichter gesagt als getan war. Aber er sollte auf keinen Fall denken, dass ich etwa auf ihn gewartet hätte.

      Ich doch nicht!

      Die Nilpferde residierten im Nashornhaus, was ich ziemlich verwirrend fand. Zumal sie gar keine Nilpferde waren. Sondern Flusspferde. Jedenfalls stand das da, und der Unterschied wurde offenbar sehr wichtig genommen. Ich hätte geschworen, dass ich sie immer nur als Nilpferde gekannt hatte. Naja, Hauptsache keines der Tiere musste sich diskriminiert fühlen, wenn es vielleicht tatsächlich nicht vom Nil stammte.

      Allerdings würde ich mich wohl schon bald ein weiteres Mal umstellen müssen. Denn irgendwann würden die nimmermüden Sprachinquisitoren ja doch herausbekommen, dass weder Nilpferde noch Flusspferde auch nur entfernt mit den Pferden verwandt sind.

      Aber das sollte nicht mein Problem sein. Mein Problem ging auf zwei Beinen und zeichnete sich vor allem durch einen widerspenstigen braunen Haarwuschel aus, den ich zu gerne auf der Stelle gebändigt hätte.

      Also auf in den Kampf!

      Vorsichtig verließ ich mein Versteck und trat wortlos neben ihn, den Blick fest auf die Hippos gerichtet. Er sollte ruhig wissen, dass es Interessanteres zu sehen gab als ihn.

      „Sie schon wieder“, sagte ich so vorwurfsvoll wie möglich, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. „Und? Mal wieder auf der Suche nach Brüsten?“

      „Ah, Sie! Was für ein Zufall!“

      Einen Moment lang war ich verunsichert. Hatte