Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


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in den Nacken und strich mit einer Hand langsam und ausgiebig durch mein seidenweich fallendes Haar. Der arme Kerl konnte gar nicht anders, als eingehend meine perfekt zur Schau gestellte Büste zu mustern:

      „Euter!“, sagte er denn auch ein wenig nervös. „Bei höheren Säugetieren nennt man es Euter!“

      „Ach richtig“, erwiderte ich amüsiert und schenkte ihm mein strahlendstes Lächeln, „das sagten Sie ja schon.“

      Am liebsten hätte ich ihm zwar noch sauber eins reingewürgt, weil er mich vorher einfach so abgehängt hatte, doch aus taktischen Gründen verschob ich das erst mal auf später. Erst einmal musste ich ihn am Haken haben, ehe ich dazu übergehen konnte, ihn nach meinen Vorstellungen zurechtzubürsten. Also plapperte ich erstmal munter drauflos:

      „Und? Projekt abgeschlossen?“

      „Was? Oh, das! Nein, das ist eine Langzeitstudie. Die wird vielleicht nie vollendet.“

      „Ach. Und worum geht es da?“

      „Grundlagenforschung, wenn Sie so wollen. Jedes höhere Tier braucht das richtige Maß an Freiheit und an Unfreiheit. Sonst verkümmert es.“

      „Unsinn! Freiheit ist doch das einzige.“

      „Nicht bei domestizierten Tieren.“

      “Wieso das denn?“

      „Freiheit ist Unsicherheit.“

      „Kris Kristofferson?“

      „Chris was?“

      „Me and Bobby McGee!“

      „Mia wie?“

      „Freedom’s just another word for nothing left to lose!“

      „Sie singen es.“

      „Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun?“

      „Tiere lassen sich domestizieren, weil sie sich Sicherheit versprechen.“

      „Alle?“

      „Viele. Das Leben kann angenehm sein in Gefangenschaft.“

      „Quatsch!“

      „Keine Sorgen. Kein Gedanke ans Morgen. Keine Fehlschläge bei der Nahrungssuche.“

      „Nur den Tag genießen?“

      „Nur den Tag genießen.“

      „Und wo bleibt das elementare Selbstverwirklichungsrecht im pluralistischen Kulturstaat?“

      „Das was?“

      Autsch! Dummerweise wusste ich plötzlich nicht einmal mehr, wo ich den imposanten Begriff gelesen hatte. Noch viel weniger hätte ich erklären können, was er denn eigentlich bedeuten sollte. Ich hatte den Kerl doch einfach nur mit irgendeinem klugen Spruch beeindrucken wollen. Also sagte ich nun frisch heraus und sehr darum bemüht, mir nicht die Spur Unsicherheit anmerken zu lassen:

      „Jeder Mensch will doch frei sein!“

      „Sind Sie das?“

      „Klar doch! Ist doch jeder.“

      „Ach ja? Was arbeiten Sie?“

      „Ich bin im öffentlichen Dienst.“

      „Aus Begeisterung?“

      „Wie, aus Begeisterung?“

      „Tun Sie das gerne? Würden Sie es auch tun, wenn Sie kein Geld dafür bekämen?“

      „Was ist denn das für eine Frage? Man arbeitet doch immer nur für Geld.“

      „Sehen Sie! Wie frei sind Sie dann wirklich?“

      So hatte ich das noch nie gesehen. Und natürlich war das Unsinn. Aber für den Moment wusste ich nicht so recht, womit ich noch dagegenhalten sollte. Einfach recht geben wollte ich ihm aber auf keinen Fall. Ich würde schon noch draufkommen, wo sein Denkfehler war.

      Doch so lange konnte ich jetzt nicht warten.

      „Sie reden Quatsch!“, schleuderte ich ihm daher angriffslustig entgegen, und ich gab mir wieder alle Mühe, so überzeugt wie möglich zu klingen. Obwohl ich ja keinen blassen Schimmer hatte. Der Kerl sollte erst gar nicht merken, dass ich nichts weiter zu bieten hatte als die nackte Behauptung.

      Anderen recht zu geben, war noch nie meine Stärke zu gewesen. Und einem Mann am allerwenigsten.

      Schon gar nicht, wenn er in die engere Wahl kam.

      Dieser hier war selbst in der engeren Wahl noch engere Wahl. So eng, dass er praktisch bereits auf Tuchfühlung mit mir war. Bildlich gesprochen, versteht sich.

      Freilich hätte ich nichts dagegen gehabt, wenn er es für einen Moment auch mal wörtlich genommen hätte. Nur so zum Ausprobieren.

      Weil mir aber trotz fieberhaften Überlegens keinerlei echtes Argument einfallen wollte, tat ich, was ich in solchen Fällen schon immer getan habe: Ich ging mit allem, was ich hatte, zum Angriff über:

      „So einen Quatsch habe ich noch nie gehört! Jedes Lebewesen hat seine ureigene Persönlichkeit. Das hat nichts mit frei oder unfrei zu tun!“

      „Doch!“

      So ein fieser Typ! Ich redete mir den Mund fusselig, weil ich eigentlich gar nichts zu sagen hatte, und er konterte mit einer Silbe. Gab mir nicht mal einen halben Satz lang Zeit, mir meine Strategie für die nächste Angriffswelle zu überlegen. Und dieser selbstgefällige Tonfall erst. Wie bei jemandem, der im Gegensatz zu mir ganz genau wusste, wovon er sprach!

      „Pah! Ich würde kein bisschen anders reagieren, egal ob nun frei oder nicht.“

      Wenigstens das hatte ich jetzt im Brustton der Überzeugung hinausgeschmettert. Es hätte ein Volltreffer sein müssen. Doch der Kerl schien völlig unbeeindruckt.

      „Sie wissen nicht, wovon Sie reden, Kindchen!“

      Das war zu viel. Natürlich wusste ich sehr genau, wovon ich redete! Und wenn mich jemand ‚Kindchen’ nannte, war das für den Betreffenden sowieso nichts anderes als der Fahrschein in die Hölle. One way ticket to hell, Rückfahrt nicht inbegriffen!

      „Oh, doch!“, keilte ich denn auch vehement zurück. „Das weiß ich sehr wohl!“

      Mittlerweile wusste ich in Wirklichkeit nicht einmal mehr genau, worüber wir eigentlich stritten. Das passiert mir öfter, wenn ich in Rage komme. Und in Rage komme ich eigentlich jedes Mal, wenn ich den Eindruck habe, dass mich jemand nicht ernst nimmt. Irgendwie ist mir dann immer, als ob für eine Weile die Sauerstoffzufuhr zu meinem Gehirn abgeschnitten wäre, weil schlagartig alles Blut zum Pochen meines heißen Herzens gebraucht würde. Es ist kein wirklich angenehmes Gefühl, wenn ich in diesen Zustand hineinschlittere, vor allem seit ich weiß, dass es nur selten gut ausgeht. Trotzdem habe ich noch kein wirksames Mittel dagegen gefunden. Vielleicht auch, weil ich gar keines gesucht habe.

      „Schauen Sie Kleines“, sagte er jetzt in väterlich beruhigendem Ton. „Sie reden da über etwas, wovon Sie wirklich nichts verstehen!“

      Damit war er endgültig gegen die Wand gedonnert. ‚Kindchen’ war schon schlimm gewesen, aber mit ‚Kleines’ hatte er jetzt den letzten Sargnagel gesetzt. Argumentativ, meine ich.

      Damit durfte ich ihn nicht durchkommen lassen!

      Wütend stemmte ich die Fäuste in die Hüften und sah ihn mit leicht vorgeneigtem Haupt zornerfüllt an:

      „Nein, Sie tun das!“, keifte ich ihn an. „Sie wissen gar nichts von mir, und Sie können von Glück reden, dass es keine Möglichkeit gibt, Ihnen zu beweisen, dass ich recht habe.“

      „Ach“, sagte er lässig und sah achselzuckend zur Seite. „Das wäre kein Problem. Aber das will ich Ihnen lieber ersparen.“

      Oh, dieser arrogante Heini!

      Seine Worte kamen derartig begütigend, als habe er soeben huldvoll einem dummen kleinen Schulmädchen