Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


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dass ich gar nicht vorhatte, diesen wundervoll sanften tiefbraunen Augen etwas anzutun, war meine Drohung schlichtweg albern. Gefesselt zu sein, war wirklich ein sehr realer Nachteil.

      „Sie haben da ein hübsches Mäntlein um“, sagte er herausfordernd. „Ist Ihnen damit nicht zu warm hier in der prallen Sonne? Ich könnte es Ihnen von den Schultern ziehen, wenn Sie möchten.“

      Was mich auf der Stelle mit den gefesselten Händen bloßgestellt hätte. Ich warf ihm einen bitterbösen Blick zu und sann auf blutige Rache, ehe mir noch eine Strategie für meine Verteidigung eingefallen war.

      Unwirsch zerrte ich an den Handfesseln, weil sie mir auf einmal ein ganzes Stück enger vorkamen, doch der Versuch brachte mich kein Stückchen weiter. Der Kerl hatte wirklich alle Trümpfe in der Hand.

      Für einen Moment senkte ich unwillkürlich den Blick, doch der fiel dadurch voll auf meine herrlich nach vorne ragenden Brüste. Die Haltung war ganz und gar nicht ideal für die Situation. Ich spürte, dass ich eine Winzigkeit weicher wurde.

      „Sie sehen hinreißend aus“, sagte er seelenruhig. „Ich glaube nicht, dass sich die Jungs da hinten lange bitten lassen, wenn ich Sie ihnen anbiete.“

      „Sie? Mich? Denen?“

      Mit einem Schlag war ich atemlos. Mir war, als wäre ich kurz davor, meine vorlaute Zunge zu verschlucken.

      Bei den neuerlich angesprochenen Jungs handelte es sich um eine Gruppe von vielleicht sechs oder sieben jungen Burschen, die ein paar Tische weiter grölend, lachen, saufend und schweinische Lieder absingend irgend etwas Bedeutendes zu feiern hatten. Etwas, das zweifellos in die Annalen der abendländischen Kultur eingehen würde.

      Sie mochten zu einer Handballmannschaft oder etwas ähnlichem gehören und trugen allesamt grellrote T-Shirts, die in schwarzer Schrift mit einem nicht besonders gut lesbaren Schriftzug beflockt waren. „Ruhm und Ehre“ konnte ich mit Mühe entziffern, dann noch etwas von einer „brasilianischen Flotte“. Wie südamerikanische Seebären sahen die acht oder neun überhaupt nicht aus, dafür um so mehr wie die typische Horde junger Kerls, der es unter dem Einfluss jenes unheilvollen Gemischs von Alkohol und Testosteron nicht das Geringste ausmachte, sich zwölf oder fünfzehn Mann hoch schön in der Reihe anzustellen, während vorne der Mannschaftskapitän dem armen flachgelegten Mädchen schon mal das schützende Höschen von den entblößt strampelnden Schenkeln zog.

      Eine grauenhafte, frauenverachtende, panikerregende Vorstellung!

      „Möchten Sie mich küssen, Herr Kreutzer?“, hörte ich mich plötzlich heiser hervorstoßen, und das war noch das Harmloseste. Viel beunruhigender war, dass ich das auf einmal tatsächlich wollte.

      Nicht zu fassen!

      Er aber schüttelte den Kopf:

      „Nein, nein, meine Liebe! So kann ich das nicht gelten lassen! Sie müssen mich schon richtig bitten.“

      Das war ja wohl die Höhe!

      Was sollte das überhaupt heißen, nein? So eine Frechheit hatte sich noch kein Mann herausgenommen, dem ich großherzig ein Stückchen des Weges ins Paradies freigegeben hatte.

      „Bitte, Herr Kreutzer, küssen Sie mich doch! Nur damit ich endlich diese dämliche Krawatte loswerde. Ich verspreche, ich werde es Ihnen auch ganz besonders schön machen.“

      Wenn ich angesichts seines vorher so ritterlichen Verhaltens erwartet hatte, dass er mich jetzt wenigstens billig davonkommen lassen würde, so sah ich mich rasch eines viel Schlechteren belehrt. Er genoss meine Kapitulation. Er genoss seinen Triumph. Und er ließ mich meine Niederlage mit einer Häme auskosten, die ich ihm niemals zugetraut hätte.

      Mehrmals schlug ich vor ihm die Augen nieder, sah wieder zu ihm auf, zerrte unwirsch an dieser doofen Handfessel und ärgerte mich bei jeder Bewegung, dass meine Brüste in meiner erzwungen aufreizenden Haltung ebenso schamlos wie effektvoll um ein bisschen Beachtung bettelten.

      „Und“, fragte er dann spöttisch grinsend mit einer weit ausholenden rechthaberischen Geste, „geben Sie jetzt zu, dass der Verlust der Freiheit direkten Einfluss auf Ihr Verhalten hat? Oder wollen Sie mir etwa erzählen, dass es ganz normal für Sie ist, dass Sie sich fremden Männern so schamlos an den Hals werfen wie mir gerade?“

      *

      Ich werde nie vergessen, wie gierig ich seinen Duft einatmete, als er sich danach über mich beugte, um mich endlich wieder von diesem widerlichen kleinen Stück Stoff zu befreien, das mich in eine so unangenehme Situation gebracht hatte.

      Wären wir nicht an einem denkbar öffentlichen Ort gewesen, ich glaube, ich wäre ihm spontan an die Wäsche gegangen. Es war ein so unglaublich gutes Gefühl, endlich wieder freizukommen, dass eine Woge des Glücks durch meine Adern brandete. Meine Wut auf ihn, all die guten bösen Vorsätze, ihm alles auf der Stelle heimzuzahlen, waren wie weggeblasen.

      Ich war schlagartig nur noch ein Weibchen, das die Nähe eines Männchens wittert. Und wären nicht gar so viele Leute um uns herum gewesen, von denen sowieso schon einige neugierig guckten – ich weiß nicht, ob ich mich nicht wirklich vergessen hätte.

      Aber nach allem, was er sich da gerade herausgenommen hatte, hätte ich das natürlich niemals zugegeben. Vor dem Hintergrund einer so beschämenden Niederlage auf ganzer Linie würde es schwer werden, ihm gegenüber wieder Land zu gewinnen. Weil mir aber nicht schnell genug etwas Besseres einfiel, setzte ich fürs erste bloß meine finsterste Miene auf und zischte zwischen zusammengepressten Zähnen hervor:

      „Sie … Sie … Sie mieser kleiner Erpresser…!“

      Der miese kleine Erpresser aber löste mit beängstigender Nonchalance diese doofe Krawatte vollends von meinen Handgelenken, wo sie nie hingehört hatte, und ging, ohne meinen finsteren Blicken Beachtung zu schenken, zurück an seinen Platz.

      „Arnold“, sagte er mit triumphierendem Lächeln, sobald er sich in aufreizender Gelassenheit wieder gesetzt hatte. „Bitte nennen Sie mich doch einfach Arnold!“

      2

      Connie war ein Schatz. Zwar hatte ich in der Aufregung total vergessen, sie anzurufen, dafür fand ich aber am nächsten Morgen gleich eine SMS auf dem Handy vor, in der sie vorschlug, dass wir uns am Nachmittag an unserer Stammstrecke am Museumsufer treffen sollten. Was wir auch taten.

      Liebend gerne hätte ich ihr sofort von Arnold erzählt. Doch da sie die Sache mit ihrem Chef noch nicht verkraftet hatte, wollte ich lieber kein Salz in offene Wunden streuen. Jedenfalls nicht gleich. Stattdessen fragte ich sie erst mal, ob sich wegen meiner neuen Bleibe schon was ergeben hatte.

      In den Wochen davor hatte ich alles Mögliche unternommen, um eine Wohnung zu finden, die meinen Ansprüchen genügte. Hatte aber keine gefunden. Jedenfalls keine, die der Ebbe auf meinen Konten gerecht geworden wäre. Es war schon enttäuschend, dass die Vermieter nicht Schlange standen, um mir ihre Wohnungen anzudienen. Und wie habgierig sie waren, wenn es um die Vermietung selbst der kleinsten Bruchbude ging!

      Deshalb ruhten meine Hoffnungen nun auf meiner besten Freundin. Connie kannte nicht nur meine Ansprüche, sie war auch die einzige, die mit der bedenklichen Entwicklung meiner Finanzen vertraut war. Manchmal kam es mir so vor, als ob sie die Lage besser erfasst hätte als ich selbst.

      Connie kennt mehr Leute in mehr wichtigen Positionen, als ich mir auch nur merken könnte. Sie hat früher bei der Frankfurter Rundschau gearbeitet und hatte sich irgendwann gerade zur stellvertretenden Stellvertreterin des kommissarischen Ressortleiters hochgedient, als ihr aufgegangen war, dass Journalismus auf Dauer doch nicht so ihr Ding ist. Zu viel leeres Getue, zu wenig Chancen, auch mal die Wahrheit drucken zu lassen.

      Naja, jedenfalls hatte sie sich erinnert, dass sie auf ihrem Tablet die Profile einiger Makler gespeichert hatte, von denen einer mal in zwielichtige Geschäfte verwickelt gewesen war. Connie hatte ihn am Ende verschont, weil er ihr eine Kommunalpolitikerin und einen Bauunternehmer quasi ans Messer geliefert hatte. Das hatte zwar nichts genützt, da die Story nie gedruckt worden war – jedenfalls