Madeleine Abides

Frühstück für Tiffany


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meine Hände befreien.

      „Werde ich auch nicht!“, gab ich keck zurück. Der sollte nur gleich wissen, dass er so mit mir nicht umspringen konnte.

      „Ja, dann!“, entgegnete er achselzuckend und widmete sich mit unglaublich interessiertem Interesse der Speisekarte.

      „Machen Sie mich sofort los!“, fuhr ich ihn erbost an. Erschrak aber sofort über meine eigene Lautstärke, während er nur belustigt die Augenbrauen hochzog. „Machen Sie mich sofort los!“, wiederholte ich mit deutlich gedämpfter Stimme. „Oder ich …“

      „Oder was?“, gab er belustigt zurück. „Oder Sie rufen die Polizei? Lassen sich von der Bedienung losmachen? Oder gehen in Ihrem entzückenden Kleidchen zu den sechs Jungs in den beflockten T-Shirts, die da drüben etwas umwerfend Wichtiges mit gehaltvollen Mixgetränken begießen?“

      Er hatte recht. Das waren alles Möglichkeiten. Die ich alle unmöglich nutzen konnte. Zumindest, wenn ich mich nicht noch viel mehr blamieren wollte, als ich mich sowieso schon blamiert hatte.

      „Sie lernen gerade etwas sehr Wichtiges“, sagte er, während er mit einem leichten Schnippen die Bedienung auf sich aufmerksam machte.

      „Einen Campari Soda, bitte“, bestellte er gleich darauf ungerührt, „am besten gleich einen doppelten!“

      „Und für die Dame?“

      „Nichts, danke! Sie war nicht artig und darf leider nur zusehen.“

      Die Serviererin sah mich unschlüssig an, fragte sich wohl, ob das ein Scherz sein sollte, schien dann aber an meiner Miene nichts ablesen zu können. Was auch? Ich wusste ja selbst nicht, was ich davon halten sollte. Schließlich nickte sie knapp, brachte ein etwas halbherziges Lächeln zustande und hatte sich abgewandt, ehe ich auch nur ein Wort herausgebracht hatte. Und das wollte etwas heißen.

      „Sehen Sie“, sagte er mit genüsslichem Lächeln, „so ist das. Sie würden jetzt gerne etwas tun. Aber Sie sind nicht so frei in Ihrer Entscheidung, wie Sie es gewohnt sind. Das beeinflusst Ihr Verhalten.“

      Da hatte er recht. Aber das war nicht alles. Außerdem war ich nämlich auch noch stinksauer. So kaltschnäuzig hatte mich noch kein Kerl gegängelt. Und dann auch noch leer ausgehen lassen. Ein Gläschen egal womit wäre gerade genau das richtige für mein hitziges Gemüt gewesen.

      „Nehmen Sie das sofort zurück!“, zischte ich ihn wütend an.

      „Wie bitte?“

      „Nehmen Sie das sofort zurück!“, zischte ich noch einmal. Eigentlich hatte ich viel lauter zischen wollen als vorher, doch das hatte nicht so recht geklappt. Unwillkürlich hatte ich meine Stimme doch wieder gesenkt, damit die Leute am Nebentisch erst gar nicht auf uns aufmerksam wurden.

      „Oh, oh!“, sagte er denn auch tadelnd. „Für den Augenblick sind Sie auf meine Gunst angewiesen. Sie werden mich milde stimmen müssen, ob Sie wollen oder nicht. Sonst kommen Sie keinen Schritt weiter. Was ist das für ein Gefühl?“

      Schwer zu sagen.

      Vor allem hatte das Gefühl etwas von einem Zahnarztbesuch. So ungefähr die letzten Sekunden vor Beginn einer qualvollen Wurzelbehandlung. Dennoch hatte er recht. Ohne ihn wäre ich schön blöd dagestanden.

      Aber er zog einfach noch nicht ganz in die Richtung, in die ich wollte.

      Das wäre nicht weiter schlimm gewesen, denn normalerweise kriegte ich jeden Kerl, der was von mir wollte, mit einem Augenaufschlag in die Spur. Wenn überhaupt mal einer auf dumme Gedanken kam.

      Der hier war eine härtere Nuss, wie es schien.

      Und ausgerechnet jetzt waren mir buchstäblich die Hände gebunden.

      Trotzdem: So leicht sollte der mich nicht kleinkriegen.

      „Das Gefühl ist gar nicht so aufregend“, sagte ich so lässig wie möglich. Blöd nur, dass mich gerade, als mir die selbstbewusste Erwiderung über die Lippen kam, eine erschreckende Erkenntnis befiel: Das Gefühl war in Wirklichkeit unglaublich aufregend!

      „Hmmm“, schwärmte er indessen und überflog schon einmal die Karte, in die ich noch keinen Blick hatte werfen können. „Das Umherstreifen unter freiem Himmel macht hungrig, nicht wahr?“

      Statt einer Antwort warf ich ihm nur einen bitterbösen Blick zu. Ich hatte gewaltigen Hunger. Bärenhunger, Löwenhunger, Spitzmaulnashornhunger, Piranhahunger – ganz egal. Ich brauchte nur endlich was zu futtern!

      „Gar kein Hunger?“, hakte er mit leichtem Stirnrunzeln nach. „Versteh ich nicht!“

      „Natürlich hab’ ich Hunger!“, zischte ich ihn wieder unterdrückt an.

      „Ach! Und warum haben Sie dann nichts ausgewählt?“

      „Ich kann doch nicht mal die Karte aufschlagen. Als ob Sie das nicht wüssten.“

      „Stimmt auch wieder. Aber Sie waren auch ziemlich aufsässig. Eigentlich geschieht Ihnen das ganz recht.“

      Gerade machte ich den Mund auf, um ihm ordentlich rauszugeben, da trug die Bedienung zwei herrliche Teller mit etwas verführerisch Duftendem vorbei. Ein flaues Gefühl im Bauch erfasste mich.

      Oh, gratinierte Kalbsmedaillons mit Thymian! Ich sterbe für Kalbsmedaillons, wenn sie hauchzart zubereitet sind! Sofern ich nicht blöderweise vorher verhungere.

      Hmmm! Gratiniert! Mit frischem Thymian!

      „Tut mir leid!“, hatte mein vorlauter Mund schon unbekümmert losgeplappert, ehe mein Gehirn auch nur eine Chance gehabt hatte, Einspruch zu erheben.

      „Was sagen Sie?“

      „Grrrr!“, machte ich drohend, doch falls ihn das sehr einschüchterte, ließ er sich davon nichts anmerken.

      „Ich verstehe nicht …“, sagte er mit dreist geheuchelter Unschuld.

      „Tut mir leid, wenn ich ein bisschen eklig zu Ihnen war!“, stieß ich ebenso kleinlaut wie erbost hervor: Im selben Moment fühlte ich ein eigentümliches Prickeln in meinem Schoß, das mich kurzzeitig sehr irritierte.

      Vermutlich hätte ich diesem sehr aufregenden Prickeln wesentlich mehr als nur flüchtige Beachtung schenken sollen. Nicht nur, weil es meinen Herzschlag von einer Sekunde zur nächsten schätzungsweise verdoppelte.

      In meinem Zustand hungertraumabedingter Unzurechnungsfähigkeit jedoch hatte ich plötzlich nur noch eines im Sinn: Futter!

      Er hingegen war die Gelassenheit selbst. Falls das mit dem Hunger unter freiem Himmel nicht bloß so dahingesagt gewesen war, hatte er die Folgen der Hungersnot im Gegensatz zu mir bestens im Griff.

      „Ah so!“, sagte er mit gespieltem Erstaunen, indem er sich auf seinem Stuhl zurücklehnte und lässig ein Bein über das andere schlug. „Also müssen Sie jetzt nur noch sagen: ‚Bitte küssen Sie mich, Herr Kreutzer!’ Dann bekommen Sie von mir, was Sie wollen. À la carte!“

      Ich sah ihn nur entgeistert an. Das war doch wirklich zu billig!

      „Keine Angst“, fügte er im Flüsterton hinzu. „Ich werde Ihre Bitte ausschlagen. Aber ich möchte diese verlockenden Worte zu gerne aus Ihrem entzückenden Mund hören!“

      „Das werde ich bestimmt nicht sagen“, erwiderte ich widerspenstig. „Sowas habe ich noch nie zu einem Mann gesagt.“

      „Sie waren ja auch noch nie einem Mann so ausgeliefert. Oder etwa doch?“

      „Natürlich nicht! Wofür halten Sie mich denn?“

      Er lächelte süffisant.

      „Heute werden Sie müssen. Oder Sie handeln sich eine Menge Unannehmlichkeiten ein.“

      „Unannehmlichkeiten?“

      „Sicher. Sie müssen mich doch unbedingt bei Laune halten, damit ich Sie wieder befreie.“

      „Eher kratze ich Ihnen die Augen